niemand an Bord der ALBANY kommt!«

»Warum?« wollte der Junge wissen. »Steht das Schiff etwa unter Kantine?«

»Kantine ist gut«, lachte der Kamerad des Corporals, ein gemeiner Soldat, noch jung an Jahren. »Da konnte ich jetzt drauf.«

Er rieb uber seinen uniformierten Bauch.

»Du meinst wohl Quarantane!« sagte der Corporal zu Frankie Herbert.

Der Junge nickte, ein wenig erschrocken. Er dachte bereits daruber nach, wie man an Bord eines Schiffes gelangte, das unter Quarantane, Kantine oder was auch immer stand.

»Nein, die ALBANY steht nicht unter Quarantane«, verkundete der Corporal zur Erleichterung des Fleischersohns. »Aber es ist so etwas ahnliches. Der Kapitan des Schiffes und unser Captain Stout befurchten, da? es zu Gewalttatigkeiten unter den Leuten kommt, die eine Passage nach Kalifornien haben wollen. Die wenigen Platze auf dem Schiff sollen gerecht ausgelost werden. Damit sich vorher niemand heimlich an Bord schleicht oder sich gewaltsam Zugang verschafft, stehen wir hier.«

»Ich will nicht nach Kalifornien«, klarte Frankie Herbert die Soldaten auf. »Ich mu? nur etwas an Bord des Schiffes bringen.«

»Was denn?« Der Corporal legte die Stirn unter seiner blauen Forage-Mutze in Falten. »Du tragst doch gar nichts bei dir!«

»Doch, eine Nachricht«, erwiderte der blonde Junge im Tonfall gro?ter Wichtigkeit. »Aber die ist sehr geheim und personlich!«

»So ist das also«, meinte der Corporal und nickte mit vorgetauschtem Verstandnis, wahrend er seinem Kameraden verschworerisch zuzwinkerte. »Dann bist du also eine Art Geheimkurier.«

»Genau!« stimmte Frankie Herbert zu, erleichtert daruber, da? ihn die Manner in Blau endlich zu verstehen schienen.

»Und fur wen ist deine Nachricht bestimmt?«

»Das ist doch geheim!«

Verargert stampfte der Junge mit dem Fu? auf. Offenbar verstanden die Soldaten ihn doch nicht.

»Aber nicht fur uns«, lachelte der Corporal. »Wir sind Soldaten. Vor uns darf niemand Geheimnisse haben.« Er zeigte auf seinen gelben Winkel. »Sieh her, ich bin sogar Corporal.«

»Ist das so etwas wie Friedensrichter oder Burgermeister?«

»Noch viel hoher«, versicherte der Corporal, wahrend er dem anderen Soldaten erneut zuzwinkerte. »Ein Friedensrichter und ein Burgermeister werden von der Bevolkerung gewahlt. Ich aber bin ernannt worden, und wei?t du, von wem?«

»Nein, von wem?« fragte Frankie Herbert gespannt.

»Vom Prasidenten.«

»Von Lincoln?«

Der Corporal nickte.

So ganz gelogen war es nicht einmal. Als Soldat der Union war sein oberster Befehlshaber tatsachlich Abraham Lincoln. Nur hatte der Prasident im fernen Washington noch nie etwas von dem Corporal William Backleton aus der kleinen Garnison von Fogerty gehort.

»Dann kann ich es Ihnen ja sagen«, meinte Frankie Herbert erleichtert, nachdem er sein Staunen uberwunden hatte. »Die Nachricht ist fur Mr. Schelp.«

»Das ist doch dieser Dutch mit dem vielen Geld, der an Bord ist«, sagte Corporal Backleton zu seinem Kameraden, dem Gemeinen Fred Hickel.

»Woher wei?t du, da? er viel Geld hat?« entgegnete Hickel.

»So, wie der rumlauft! Die Nachricht ist bestimmt von einem hubschen Girl, das er sich in der Stadt angelacht hat, um sich die Zeit zu vertreiben.«

»Du hast eine schmutzige Phantasie, Corporal«, lachte Hickel.

Doch der Junge nickte bekraftigend und sagte:

»Yes, Sir, eine Dame hat mir die Nachricht ubergeben.«

»Eine Dame, horst du?« fragte der Corporal belustigt. »Um was soll es auch sonst gehen, wenn es sehr geheim und personlich ist?«

Er lie? den Jungen endlich los und sagte: »Also gut, uberbring deine Nachricht, Gro?er. Wir wollen den Dutch-Gentleman doch nicht um sein Rendezvous bringen!«

Frankie Herbert verstand zwar langst nicht alles, was die beiden Soldaten miteinander redeten. Aber er verstand, da? er an Bord der ALBANY durfte. Das genugte ihm.

Freudig lief er uber eine schmale Planke an Bord, wo er sich erneut zwei gro?en Mannern gegenubersah. Seeleute diesmal, ohne Waffen, wenn man ihre kraftigen Arme au?er acht lie?.

»Was willst du hier, Knirps?« fragte einer der beiden.

Da rief der Corporal:

»Er hat eine Nachricht fur euren Mr. Schelp.«

»Ja«, lachte der andere Soldat. »Sehr geheim und personlich.«

Der Seemann nickte, sah den Jungen an und sagte:

»Komm mit!«

Er wandte sich um. Frankie Herbert folgte ihm durch die fremde Welt des Schiffsdecks. Er fuhlte sich wie ein Kapitan auf gro?er Entdeckungsfahrt.

*

Die deutschen Auswanderer fuhren durch die von Menschen uberfullte Stadt, bis Jacob vor dem gro?ten, alle anderen Hauser uberragenden Gebaude anhielt. Es war aus Stein erbaut.

Ein Schild, das sich uber die halbe Vorderfront zog, verkundete, da? es sich um das Fogerty Grand Hotel handelte.

»Wollen wir uns hier wirklich einquartieren, Jacob?« fragte Irene zweifelnd. »Du hast doch gehort, was die Witwe O'Faolain uber die Zimmerpreise gesagt hat.«

»Fragen kostet nichts. Au?erdem wollen wir ja nicht fur ewig hier bleiben.«

Jacob stieg ab und lie? Irene mit Jamie auf dem Wagen zuruck. Ein paar niedrige Stufen fuhrten zur breiten, von zwei eingetopften kleinen Tannen gesaumten Doppelflugeltur hinauf.

Er offnete einen Turflugel und betrat eine gro?e, fur seinen Geschmack ein wenig zu dunkle Empfangshalle. Es roch muffig. Bei naherem Hinsehen war die luxuriose Einrichtung nicht mehr ganz so beeindruckend. Aus den zerschlissenen, teilweise aufgerissenen Polstern quoll schon die Fullung hervor.

In Hamburg oder gar in New York hatte dieses >Grand Hotel< wohl keinen Blumentopf gewonnen. Aber fur Fogerty war es vermutlich eine kleine Sensation.

Er hatte den Empfangstresen noch nicht erreicht, da schlurfte schon ein alterer Mann mit hangenden Schultern aus einem verborgenen Raum nach vorn und musterte den Deutschen skeptisch.

Jacob konnte sich gut vorstellen, da? er auf den Mann einen zweifelhaften Eindruck machte. Die weite, anstrengende Reise hatte ihre Spuren an Jacobs Kleidern und an ihm selbst hinterlassen. Sein Gesicht und sein ganzer Korper waren noch ziemlich zerschunden von der gefahrlichen Begegnung, die er und Irene mit den Nez- Perce-Indianern und den Siedlern von Greenbush gehabt hatten.

»Die billigsten Zimmer kosten drei Dollar pro Person und Nacht, Mister«, schnarrte der grauhaarige Mann hinter dem Tresen, bevor Jacob noch etwas sagen konnte. »Aber diese Zimmer sind nicht gro? und nur sehr einfach ausgestattet.«

»Drei Dollar pro Person?« brummte der junge Deutsche unwillig und strich mit der Hand uberlegend an seinem Kinn entlang. »Das ist ein ziemlich stolzer Preis, Sir.«

»Es ist der Preis.«

Jacob dachte an die Schiffspassage, die auch Geld kosten wurde. Und daran, da? er und Irene nicht wu?ten, was sie in Kalifornien erwartete.

Gewi?, sie konnten den Wagen und die Pferde verkaufen. Aber dennoch war es ratsam zu sparen.

Ein paar weitere Nachte im Planwagen wurden Irene und Jamie auch noch uberstehen. Und Jacob war an das Schlafen unterm Sternenzelt seit seiner dreijahrigen Walz durch Deutschland gewohnt.

»Sir, ich danke Ihnen fur die Auskunft«, sagte er enttauscht. »Aber das ist zuviel fur einen armen Zimmermann.«

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