»Vor wenigen Tagen kam ein Schiff aus Deutschland an, das als nachsten Hafen San Francisco ansteuern will. Es hat wohl Fracht fur Frisco geladen. Ein paar Platze sind auf dem Kahn frei geworden, weil er einige Auswanderer mitbrachte, die sich anscheinend nichts aus Gold machen. Sie sind gestern schon ins Landesinnere aufgebrochen, um sich dort irgendwo als Farmer niederzulassen.« Das Gesicht der Irin nahm einen bitteren Ausdruck an. »Ich wunsche ihnen mehr Gluck, als wir es hatten. Sie konnen es bestimmt gebrauchen!«
»Was ist mit diesem Schiff?« hakte Irene nach.
»Bis jetzt hat es keine neuen Passagiere aufgenommen. Der Kapitan und Captain Stout befurchten wohl einen Aufruhr derjenigen, die nicht an Bord kommen. Es hei?t, an Bord sei allenfalls Platz fur hundert Menschen.«
»Wer ist Captain Stout?« wollte Jacob wissen.
»Der Kommandant der hiesigen Garnison. Na ja, was sich so Garnison nennt. Es ist nur eine Handvoll Soldaten. Die meisten werden wohl an der Front gebraucht.«
Jacob wu?te sofort, da? die Irin vom Burgerkrieg sprach, der nun schon seit drei Jahren zwischen den Nord- und den Sudstaaten tobte.
»Ist der Kapitan ein Deutscher?« fragte er weiter, als er daran dachte, da? das Schiff aus Deutschland gekommen war.
»Ich glaube schon, ja«, nickte die Irin. »Obwohl es unter dem Sternenbanner segelt.«
»Vielleicht la?t sich da was machen«, murmelte der junge Auswanderer.
Das Gesicht der Witwe hellte sich auf, und sie fragte:
»Sie sind auch aus Deutschland, nicht wahr?«
»Richtig«, bestatigte Jacob. »Man hort es uns wohl an.«
»Ein wenig«, antwortete die Frau auf der Stra?e hoflich. »Falls Sie den Kapitan sprechen, wurden Sie dann an die O'Faolains und die Connors denken, Sir?«
»Ich werde sehen, was sich machen la?t.«
»Vielen Dank!« sagte die Frau, und es klang aufrichtig.
Sie ging mit ihrem Sohn von der Stra?e, und auch die beiden Kleiderschranke gaben den Weg frei.
Jacob loste die Bremse, trieb die Pferde an und bemerkte zu Irene:
»Das waren die hoflichsten Iren, die ich jemals getroffen habe.«
Die junge Frau lachelte und erwiderte:
»Wie haben die Nonnen, die mich aufgezogen haben, doch immer gesagt: Es geschehen noch Zeichen und Wunder!«
*
Der etwa achtjahrige Junge mit dem blonden Haarschopf rannte, so schnell er konnte, zum Hafen. Er hie? Frankie Herbert, und er hatte einen wichtigen, eiligen Auftrag zu erledigen. Noch dazu ein Auftrag, der ihm die Wahnsinnssumme von zwei Dollar einbrachte.
Golddollar, wohlgemerkt!
Fogerty hatte noch nie so viele Menschen beherbergt wie in diesen Tagen. Immer mehr vom angeblich Gelobten Land namens Oregon enttauschte Siedler drangte es zur Kuste, um eine Schiffspassage nach Kalifornien zu ergattern.
Naturlich hatten sie auch uber Land reisen konnen, wie es einige andere taten. Aber den Menschen, die zum Pazifik reisten, war der Landweg zu lang und zu beschwerlich.
Sie hatten sich lange genug abgemuht, um mit ihrer Hande Arbeit eine Existenz aufzubauen, gottgefallig und naturlich auch gewinntrachtig - seelisch und materiell. Aus dem einen oder anderen Grund war es ihnen nicht gelungen.
Es war wie uberall auf der Welt. Einige schafften, was sie sich vorgenommen hatten, und andere scheiterten. Und letztere zogen woanders hin, um neu anzufangen - und besser.
Aus diesem Grund waren sie oder ihre Vorfahren schon in die Neue Welt gekommen. Aus diesem Grund wollten sie jetzt nach Kalifornien.
Warum sich auf den Feldern ihrer Farmen abmuhen, wenn die Goldfelder einen so viel gro?eren und vor allen Dingen schnelleren Gewinn versprachen?
Schnell sein, das war bei der Jagd nach Reichtum wichtig. Deshalb verzichteten viele auf den Landweg. Er dauerte einfach zu lange. Was nutzte es, nach Kalifornien zu kommen, wenn die Goldfelder dann bereits geplundert waren und andere reich gemacht hatten?
Schlie?lich konnte niemand garantieren, da? auch jetzt soviel Gold aus dem Boden zu holen war wie damals beim gro?en Goldrausch im Jahre 1849!
Doch bis jetzt hielt der Run auf die Goldfelder an. Jedes glitzernde Kornchen, das gefunden wurde, wuchs in den Berichten der Menschen zu einer ganzen Ader und lockte weitere Glucksritter in das fruchtbare gro?e Land, das Mexiko 1848 an die Vereinigten Staaten von Amerika abgetreten hatte.
Und kaum jemand machte sich Gedanken daruber, da? nicht jeder reich werden konnte, nicht die meisten und nicht einmal viele. Fast jeder hielt sich fur den Auserwahlten, mochten vernunftig gebliebene Freunde und Verwandte auch noch so sehr auf die vom Goldfieber Befallenen einreden. Liebe mochte einen Menschen blind machen, das Gold machte ihn zusatzlich taub und engstirnig.
Auch Frankie Herbert sah nur das Gold vor seinen Augen. Den Golddollar in seiner Tasche und den, den er erhalten sollte, wenn er die Nachricht ablieferte.
Mehrmals rempelte er andere Menschen an, ohne weiter auf sie zu achten. Er entschuldigte sich nicht, und ihr Schimpfen und Fluchen beruhrte ihn nicht. Ja, das meiste davon horte er nicht einmal.
Endlich lag der Hafen vor ihm. Lagerhauser, Kisten und Fasser, Schiffe mit hohen Schornsteinen und noch hoheren Masten. Fur ein paar Sekunden blieb der Junge stehen, um diese gro?e Welt zu betrachten, die Ferne und Abenteuer verhie?.
Ihm, der keinen anderen Hafen kannte, erschien es jedenfalls gro?. Ein Mann aus New York oder San Francisco hatte nicht einmal daruber gelacht, den kleinen Hafen von Fogerty als gro? zu bezeichnen - er hatte nur nachsichtig gelachelt.
Das Gold, das in seiner Tasche und in seinem Kopf brannte, ri? ihn aus den Traumereien, denen er sich sonst stundenlang hingab, wenn sich der Sohn des Fleischers John Herbert im Hafen herumtrieb.
Zielstrebig steuerte er auf den Liegeplatz der ALBANY am unteren Hafen zu. Er brauchte nicht einmal seine rudimentaren Kenntnisse der Schrift zu bemuhen, um den in seinen Augen gro?en Segler zu finden. Naturlich hatte er sich die Ankunft der Bark nicht entgehen lassen und wu?te daher ganz genau, wo sie lag.
Zwei lange Musketenlaufe, auf denen spitze Bajonette im Licht der ab und zu hinter gro?en Wolken hervorschauenden Sonne blinkten, kreuzten sich vor seiner Brust. Eine kraftige Hand hielt den Jungen am Kragen der bunten Kalikojacke fest.
Jetzt erst bemerkte Frankie Herbert die beiden aus seiner Sicht gro?en Manner in den blauen Uniformen.
»He, was soll das!« fauchte er den schnurrbartigen Mann mit dem gelben Corporalswinkel am Armel an, der ihn am Kragen gepackt hielt. »Halten Sie mich fur einen gottverdammten Sudstaaten-Rebellen, Mister, oder was?«
Die beiden Soldaten platzten fast vor Lachen.
»Wer hat dir denn das Fluchen beigebracht, Junge?« fragte schlie?lich der Corporal, noch immer heftig kichernd. »Bestimmt nicht der Pfarrer in der Sonntagsschule, wie?«
Bei der letzten Bemerkung wurden die Uniformierten von neuen Lachkrampfen geschuttelt.
»Ich wei? nicht, wovon Sie sprechen!« rief Frankie Herbert argerlich und versuchte vergeblich, sich von der unnachgiebigen Klaue des Corporals zu losen.
»Das wei?t du nicht?« fragte der schnurrbartige Soldat mit hochgezogenen Brauen. »Du selbst hast doch eben von einem
»Das ist doch kein Fluch«, beschwerte sich der Junge. »So nennt mein Vater die Sudstaatler immer!«
»Na dann«, brummte der Corporal und unterdruckte muhsam ein weiteres Kichern. »Und was willst du hier, Junge. Etwa ein paar gottverdammte Sudstaatler jagen?«
»Nein, ich mu? zur ALBANY.«
Dabei zeigte Frankie Herbert auf den Dreimaster hinter den Soldaten.
»So ein Pech aber auch«, knurrte der Corporal im gespielten Arger. »Wir stehen namlich hier, damit