gehorchen.

»Konnen Sie nicht schlafen, Schelp?«

Der Angesprochene grinste breit.

»Es ist die freudige Erwartung, Kapten. Ich hoffe, morgen unseren Verbindungsmann zu treffen. Dann konnen wir unsere Reise fortsetzen und zu einem ebenso erfolgreichen wie eintraglichen Abschlu? bringen.«

»Das erzahlen Sie mir schon seit drei Tagen, seit wir vor Fogerty ankern«, brummte der alte Seebar und strich durch seinen dichten Vollbart, der fruher einmal schwarz war, jetzt aber mehr grau schimmerte. »Ich habe fast das Gefuhl, Ihr Verbindungsmann hat Sie versetzt. Oder er ist nicht durchgekommen. Vielleicht haben die Nordstaatler ihn geschnappt.«

Schlagartig verdusterte sich Schelps Miene und nahm einen harten, verbissenen Ausdruck an.

»So etwas sollten Sie nicht sagen, Kapten, nicht einmal denken! Unser Verbindungsmann wird kommen, da bin ich mir sicher.«

»Was macht Sie so sicher?«

»Die Wichtigkeit unserer Fracht.«

»Und warum ist dieser geheimnisvolle Herr nicht punktlich, wenn es so wichtig fur ihn und seine Leute ist?«

»Es sind unruhige Zeiten hier in Amerika.« Schelp seufzte und sah fur einen Moment so aus, als wurde sein Blick uber den ganzen riesigen Kontinent schweifen. »Vielleicht wurde er tatsachlich aufgehalten. Aber er wird durchkommen! Auch Sie sollten es sich wunschen, Kapten. Schlie?lich verdienen Sie auch daran.«

Das stimmte. Aber so oft Piet Hansen auch an das Geld dachte, es machte ihn nicht glucklich.

*

Am folgenden Tag.

Der von vier Pferden gezogene Planwagen erreichte Fogerty am fruhen Nachmittag.

Als er die Silhouette der Stadt am Horizont auftauchen sah, rief der Mann auf dem Bock leise den Namen seiner Begleiterin nach hinten: »Irene! Wir sind da!«

Irene Sommer, die ihren kleinen Sohn Jamie unter der Plane in den Schlaf gesungen hatte, kletterte nach vorn und setzte sich neben Jacob Adler auf den Fahrerkasten.

»Sieht einerseits nicht gerade erhebend aus«, meinte sie nach einem langen Blick nach vorn. »Andererseits ist es wohl die gro?te Stadt, die wir seit Kansas City gesehen haben.«

Der junge Zimmermann nickte und grinste.

»Ja, ich mochte sogar sagen, seit Kansas City ist es der erste Ort, der die Bezeichnung Stadt wirklich verdient.«

»Beleidige Abners Hope nicht!« sagte die Frau mit gespielter Strenge und dachte an die Freunde, die sie und Jacob in der neuen Siedlung zuruckgelassen hatten.

Naturlich war Abners Hope keine Stadt. Es hatte nicht einmal richtige Hauser. Nur verstreut in einem fruchtbaren Tal liegende Blockhutten, in deren Fensteroffnungen mangels Glas keine Scheiben sa?en.

Und doch zogen die Menschen dort es jeder Stadt vor. Es war ihre neue Heimat und ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Eine Zukunft, in der Menschen wei?er und schwarzer Hautfarbe gleichberechtigt und in Freundschaft zusammenlebten - so wie die Manner und Frauen in Abners Hope.

Bedauern mischte sich in Irenes Gedanken. Bedauern daruber, Abners Hope und den Freunden, insbesondere Martin und Urilla Bauer, den Rucken zugekehrt zu haben.

Aber Irene und Jacob mu?ten weiter, jeder aus seinem eigenen personlichen Grund.

Jacob war nach Amerika gefahren, um seinen Vater und seine Geschwister wiederzufinden, die er auf dem Anwesen seines Onkels Nathan Berger in Texas vermutete.

Und Irene wollte zu den Goldfeldern Kaliforniens, zu Carl Dilger, Jamies Vater.

Dort wollte Jacob sie abliefern, bevor er seine Reise nach Texas fortsetzte. In Fogerty hofften sie eine Schiffspassage nach Suden zu finden.

Aber als der Planwagen, auf die Stadt zurollte, schwand die Hoffnung der deutschen Auswanderer auf eine schnelle Schiffsverbindung nach Kalifornien.

Fogerty, obwohl keine besonders gro?e Stadt, verfugte zwar uber richtige Hauser - einige sogar aus Stein - mit Fenstern aus richtigem Glas, aber um den Ort herum zog sich ein ziemlich kruder Kranz von windschiefen Bretterhutten, Zelten oder einfachen Unterstanden aus aufgespannten Decken. Eine aus dem Boden gestampfte Siedlung, die nur auf kurze Zeit angelegt war.

»Was hat das zu bedeuten?« fragte Irene, als ihr Planwagen langsam zwischen Zelten und Hutten hindurchfuhr. »Dagegen ist Abners Hope ja New York City!«

»Keine Ahnung«, brummte Jacob. »Sieht aus, als seien die Menschen auf der Flucht.«

Sie waren nicht auf der Flucht, sondern auf der Jagd. Das erfuhren die beiden Deutschen von einer Frau, deren Kind fast unter die Hufe der Zugpferde geraden ware.

Der kleine, vielleicht funf- oder sechsjahrige Junge lief plotzlich hinter einer wackligen Hutte hervor und sprang auf die Fahrbahn, ohne auf den Planwagen zu achten. Er war ganz damit beschaftigt, ein schwarzwei?es Tier zu jagen, das aber glucklich in dem engen Spalt zwischen zwei Hutten auf der anderen Stra?enseite verschwand.

Irene schrie auf, als der Junge mitten auf der unbefestigten Fahrbahn einfach stehenblieb.

Jacob reagierte sofort. Er ri? an den Zugeln, rief den Pferden das Haltekommando zu und zog die Bremse so abrupt an, da? der Wagen ins Schlingern geriet.

Die beiden vorderen Zugpferde hielten keine zwei Yards vor dem kleinen Jungen an.

»Puh«, machte Irene und lie? den vordersten der HickoryBogen los, uber den die gro?e Segeltuchplane gespannt war; sie hatte sich instinktiv daran geklammert, als der Wagen ins Schlingern geriet. »Das war denkbar knapp.«

Die junge Deutsche wischte dicke Schwei?tropfen von ihrer Stirn, als aufgeregtes Geschrei von hinten an ihren Ohren drang.

»Das ist Jamie«, erkannte Jacob sofort, fast wie ein besorgter Vater. »Du solltest nach ihm sehen, Irene.«

Sie nickte und seufzte:

»Das Schlingern hat ihn aufgeweckt - und gerade hatte ich ihn in den Schlaf gesungen.«

»Macht doch nichts«, grinste Jacob. »Dann singst du halt noch einmal. Jamie und ich horen es gern!«

»So mu? es wohl sein«, sagte Irene, warf dem gro?en, breitschultrigen Mann mit dem sandfarbenen Haar und dem offenen Gesicht einen warmen Blick zu und verschwand wieder unter der Plane.

Zur selben Sekunde lief eine andere Frau auf die Fahrbahn, stellte sich neben dem kleinen Jungen mit in die Huften gestemmten Handen auf und sagte laut zu Jacob:

»Sind Sie verruckt, Fremder? Fast hatten Sie meinen kleinen Timmy uberfahren. Er hatte tot sein konnen. Passen Sie gefalligst besser auf!«

Das verschlug dem Auswanderer, der sich keiner Schuld bewu?t war, die Sprache. Wahrend er nach Worten suchte, betrachtete er die Frau.

Sie war klein und stammig. Selbst das weitgeschnittene Kleid aus grobem Leinen konnte ihren starken Korperbau nicht verbergen. Unter einer unformigen Wollmutze lugte struppiges Haar in einer Farbe hervor, die keine war. Beim besten Willen hatte Jacob nicht zu sagen vermocht, ob er das Haar dunkelgrau, hellbraun oder sonstwie nennen sollte.

»Wollen Sie sich nicht mal entschuldigen, Mister?« keifte die Frau weiter. »Die Witwe O'Faolain ist es nicht gewohnt, da? man sie derart mi?achtet!«

Eine Irin! dachte Jacob und bereitete sich auf das Schlimmste vor. Seit er in New York City an Land gegangen war, hatte er mehrere Zusammensto?e mit den hitzkopfigen Leuten aus Irland gehabt, und fast alle waren ihm in schlechter Erinnerung geblieben.

Kaum war er mit diesem Gedanken zu Ende, als das Verhangnis auch schon in Gestalt zweier Kleiderschranke von Mannern durch den Schlamm auf den Planwagen zustapften.

Sie waren vielleicht nicht ganz so gro? wie der hunenhafte Deutsche, aber dafur fast doppelt so breit. Ihre groben, dusteren Gesichter versprachen nichts Gutes. Aber am erstaunlichsten fand Jacob, da? sich die Kerle ahnlicher waren als ein Ei dem anderen.

»Was ist hier los, Katie?« fragte einer der beiden noch recht jungen Burschen mit einer seltsam hohen

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