Nur kurz flackerte in dem Kapitan der ALBANY die Frage auf, wie die Nordstaatler ihm auf die Schliche gekommen waren. Zu ihrer Beantwortung hatte er weder die Moglichkeiten noch die Zeit.

Seine Hande und Arme waren eins mit dem schweren Steuerrad. Sein ganzer Korper schien mit dem holzernen Leib der ALBANY verwachsen. Immer wieder anderte er den Kurs, um den drei Kriegsschiffen zu entgehen.

Zum Verhandeln war es langst zu spat. Er mu?te sein Schiff durchbringen. Seine Hande krampften sich so fest ums Steuerrad, da? die Knochel wei? hervortraten.

Er mu?te es schaffen!

Nicht noch einmal wollte sich Piet Hansen den Vorwurfen und Seelenqualen aussetzen, leichtfertig ein Schiff und viele Menschenleben geopfert zu haben. Schon Jacob Adlers Tod war zuviel und lastete schwer auf ihm.

Was damals, vor uber zwanzig Jahren, im Armelkanal mit der HENRIETTA geschehen war, durfte sich nicht wiederholen!

»Mr. Weisman!« brullte er gegen den hollischen Larm.

Sein Zweiter Steuermann wandte sich von Irene Sommer weg zu Hansen um.

»Aye, Kapten?«

»Wo stehen Sie?«

»Wie meinen Sie das, Kapten?«

»Ich spreche von den anderen dort.« Hansen nickte hinaus auf See; es war klar, da? er die Kriegsschiffe meinte. »Halten Sie zu denen, oder helfen Sie mir, die ALBANY aus diesem Chaos zu bringen?«

Der deutsch-amerikanische Steuermann uberlegte kurz. Er hatte nicht gewu?t, da? die ALBANY ein Blockadebrecher war. Und er billigte es nicht. Aber dann dachte er an die Seeleute und an die hundert Passagiere, unter denen sich Frauen und Kinder befanden. Sie konnten nichts dafur. Sie wurden unschuldig sterben.

»Geben Sie Ihre Befehle, Kapten.«

»Alle Segel setzen!« schnarrte Hansen. »Und besorgen Sie ein neues Gaffel!«

»Alle Segel, Kapten?« wiederholte der Steuermann unglaubig. »Aber das Wetter! Das ist schon kein Wind mehr, sondern ein Sturm. Wir werden kaum noch manovrierfahig sein!«

»Aber dafur schnell!«

Weisman nickte verstehend und rannte uber das schwankende Deck, um die Befehle des Kapitans weiterzugeben.

Da tauchte auch der Erste Steuermann auf Deck auf, Georg Moller. Hansen mochte den Mann nicht, der zum erstenmal auf der ALBANY fuhr.

Arnold Schelp hatte ihn Hansen empfohlen. Nun, empfohlen war wohl der falsche Ausdruck. Schelp hatte darauf bestanden, da? der Kapitan Moller zum Ersten Steuermann ernannte.

Genauso, wie Schelp einen Teil der Besatzung angeschleppt hatte. Alles seine Vertrauensleute, die dafur sorgten, da? Hansen sich Schelps Willen beugte.

Und tatsachlich erschien Schelps grobe Gestalt gleich hinter dem knochigen Moller im Kajutenaufgang.

Schelp war wie stets so gut gekleidet, da? es schon ins Auge stach. Trotz der rasanten Fahrt des Schiffes sa? der schwarze Chapeau claque auf seinem rotbehaarten Schadel, und der kleine Stock mit dem schweren Silberknauf - kein Gehwerkzeug fur ihn, sondern eine au?erst wirksame Waffe -lag in seiner wei?behandschuhten Linken.

Aber auf dem heftig schwankenden Deck verlor er seine aufrechte Haltung und seinen Zylinder. Hatte er sich nicht in Mollers dunkelblauer Seemannsjacke verkrallt, ware er unsanft auf den Planken gelandet. Sorgsam achtete er darauf, den Stock nicht zu verlieren.

Fast gierig griff er nach einem der Pfosten, an dem sich auch Irene festhielt. Er baute sich vor Hansen auf und forderte: »Kapten, ubergeben Sie das Steuer an Moller!«

»Unmoglich!« knurrte Hansen und lenkte die ALBANY auf einen Kurs, der sie auf zwei der Kriegsschiffe zufuhrte.

Es handelte sich um die beiden umgebauten Kauffahrer, die zur Zeit dicht beieinander in der zunehmend aufgewuhlten See kreuzten.

»Sie Narr, was tun Sie?« kreischte Schelp. »Sie bringen das Schiff geradewegs vor die Yankee- Kanonen!«

»Das ist meine Absicht!« nickte Hansen und hielt den Segler verbissen auf Kurs.

Schelp klemmte den Stock unter die Achsel und griff unter den dunklen Rock in eine Tasche seiner seidig glanzenden Weste. Die Hand kam mit einem Derringer wieder hervor.

Die kleine Waffe sah genauso protzig aus wie alles an ihrem Besitzer. Sie war versilbert, der Griff gar vergoldet.

Aber als Schelp den Hahn zuruckzog und den kurzen Doppellauf unter Hansens Kinn druckte, war es vollkommen unwichtig, wie stutzerhaft die Waffe wirken mochte. Wichtig war nur, da? sie den Kapitan unweigerlich toten wurde, sobald der rothaarige Deutsche den Abzug betatigte.

»Ubergeben Sie das Schiff an Moller! Ich sage es nicht noch einmal.«

»Sie sind der Narr, Schelp!« fauchte Hansen, ohne sich von der Waffe, deren Mundung unter seinem Gesicht schwebte, beirren zu lassen. »Sehen Sie nicht, da? ich die ALBANY in Sicherheit bringe?« Er seufzte und fugte leise hinzu:

»Jedenfalls versuche ich es.«

Schelp zog irritiert die rotlichen Brauen hoch.

»Wie das?« fragte er hektisch. »Sie bringen uns doch vor die feindlichen Geschutze!«

»Zwischen die feindlichen Geschutze«, berichtigte der Kapitan den Mann, mit dem er eine verhangnisvolle Allianz eingegangen war.

»Wo ist der Unterschied?« brullte Schelp. »Wenn uns gleich zwei Yankee-Schiffe beschie?en, ist es doch nur noch schlimmer!«

Wieder korrigierte Hansen den anderen: »Falls sie uns beschie?en, Schelp. Falls!«

»Was meinen Sie damit?«

»Sehen Sie doch, wie eng die Bark und die Brigg beieinander liegen! Der Kapitan der Brigg ist schuld daran. Er hat sehr unglucklich manovriert. Wenn wir schnell genug zwischen den beiden durchkommen, konnen sie ihre Kanonen nicht abfeuern, ohne zu riskieren, sich gegenseitig in Stucke zu schie?en.«

Der Schimmer der Erkenntnis leuchtete in Schelps sonst eher truben Augen auf.

»Glauben Sie, da? wir schnell genug sind, Kapten?«

»Meine Jungs sorgen gerade dafur.« Hansen zeigte hinauf in die Masten.

Mit affenartiger Behendigkeit turnten die Seeleute der ALBANY in der schwindelerregenden Hohe herum, um auf Hansens Befehl samtliche Segel zu setzen. Gleichzeitig waren ein paar Manner am Besanmast damit beschaftigt, unter der Aufsicht von Joe Weisman und des Segelmachers das zerfetzte Gaffelsegel gegen ein neues auszutauschen.

Schelp blickte den Ersten Steuermann an.

»Was sagen Sie, Moller? Kann das hinhauen?«

»Es ist ein Spiel mit dem Feuer«, knurrte der knochige Mann und kaute nervos auf seiner Unterlippe herum. »Im wahrsten Sinne des Wortes!« »Das ist keine Antwort, verdammt! Hat Hansens Plan Ihrer Meinung nach Aussicht auf Erfolg oder nicht?«

Moller sah auf, als wolle er seine Unterlippe verschlingen. Schlie?lich nickte er langsam und sagte gedehnt: »Nun, Herr Schelp, es konnte klappen. Aber ich wurde keine gro?e Summe darauf wetten.«

»Haben Sie einen besseren Plan, Moller?«

»Nein, jetzt sowieso nicht mehr.«

»Was hei?t das nun wieder?«

»Schauen Sie doch, Herr Schelp!« Mollers rechter Arm streckte sich bugwarts aus. »Wir sind schon viel zu nah an den beiden Kriegsschiffen. Wurden wir jetzt noch abdrehen und ihnen unsere Breitseite darbieten, wurden uns die Kanonen auf jeden Fall treffen!«

Schelps Augen blitzten bose, als sie sich wieder auf den alten Seebaren am Steuerrad richteten.

»Zur Holle, Hansen, Sie haben mich hereingelegt!«

Schelp druckte die doppelte Mundung des Remington Derringers gegen Hansens Kehle.

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