Es wurde zu einem Raunen.

Aus dem Raunen setzten sich einzelne Rufe ab. Fordernde Rufe:

»Erst wollen wir wissen, was los ist!«

»Stimmt es, da? die Navy auf uns geschossen hat?«

»Wann erreichen wir endlich Frisco?«

»Warum richten Sie Waffen auf uns?«

»Wir wollen mit dem Kapten sprechen!«

Nachdem der letzte Ruf erklungen war, beugte sich Schelp zu dem Mann am Steuerrad hinuber und raunte: »Beruhigen Sie die Leute, Kapten! Sie sollen alle wieder unter Deck gehen, dann passiert ihnen nichts.«

Hansen nickte seufzend und rief nach Joe Weisman, dem er das Steuer ubergab.

Der Kapitan hatte es langst bitter bereut, da? er mit Schelp gemeinsame Sache machte. Da? er jetzt einmal mehr den Handlanger fur ihn spielte, fand er aber vernunftig. Eine Meuterei an Bord wurde in einem Blutbad enden. Und wie es aussah, wurde Schelp dabei auch noch die Oberhand behalten.

Also sprach Hansen beruhigend auf die Passagiere ein. Er erzahlte ihnen, da? die ALBANY San Francisco in wenigen Tagen erreichen wurde.

Behielt die Bark ihren derzeitigen Kurs bei, stimmte das sogar. Um den Verfolgern zu entgehen, lie? der Kapitan sein Schiff nordwarts laufen. An der Kuste desjenigen Teils von Kalifornien entlang, der zu Mexiko gehorte.

»Und die Kanonen?« fragte ein kleiner, hagerer Mann mit dem strengen Gesicht eines Schulmeisters. Er trat einen Schritt vor, stemmte die Hande in die Huften und blickte den Kapitan trotzig an. »Wieso schie?t unsere eigene Navy auf uns?«

»Es war nicht die US-Navy«, log Hansen. »Es waren Raiders der Konfoderierten.«

»Raiders!«

Der Aufschrei pflanzte sich durch die Menge fort. Raiders nannte man die Kaperfahrer der Konfoderierten, die zahlreiche Uberfalle auf die Handelsmarine der Vereinigten Staaten unternahmen. Da die ALBANY unter der US-Flagge segelte, erschien Hansens Erklarung einleuchtend.

Bis der Mann mit dem Schulmeistergesicht fragte: »Wenn das vorhin Raiders der Konfoderierten waren, weshalb hatten sie dann die Flagge des Nordens gehi?t?«

In Gedanken lie? Piet Hansen eine ganze Flotte von deftigen Seemannsfluchen vom Stapel. Warum mu?te ausgerechnet dieser Besserwisser wahrend des Beschusses durch die Kriegsschiffe an Bord gewesen sein und alles beobachtet haben!

»Lassen Sie sich schnell was einfallen, Kapten!« zischte Schelp leise.

»Das war ein Trick, eine Tauschung«, beantwortete Hansen die Frage mit einer weiteren Luge. »Die Raiders wollten uns in Sicherheit wiegen.«

Der kleine Kerl mit dem strengen Aussehen schien immer noch nicht zufriedengestellt. Aber eine resolute Frau, die ihn um mehr als Haupteslange uberragte, trat vor und zog ihn, halb gegen seinen Willen, in die Reihen der anderen Passagiere zuruck.

»Geht alle unter Deck, Leute!« verlangte der aufatmende Kapitan Hansen. »Noch sind wir nicht aus der Gefahrenzone. Wenn die Raiders zuruckkehren und uns erneut unter Beschu? nehmen, ist euer Leben hier oben an Deck nicht sicher. Au?erdem behindert ihr meine Manner bei der Arbeit, wenn ihr hier herumsteht und jeden Durchgang verstopft.«

Das schien den Menschen einzuleuchten. Vielleicht hatte sich auch der Respekt vor den auf sie gerichteten Waffen in ihnen festgesetzt. Jedenfalls machten sie kehrt und strebten dem Durchgang zum Zwischendeck zu. Zwei kraftige Kerle stutzten den Mann, den Schelp angeschossen hatte.

»Gut gemacht, Kapten«, grinste Schelp und steckte seinen Derringer zuruck in die Westentasche. »Ich habe doch gleich gewu?t, da? mit einem Partner wie Ihnen an meiner Seite nichts schiefgehen kann. Sie fuhren Menschen genauso sicher wie ein Schiff.«

Der bei?ende Spott in Schelps Worten entging Piet Hansen nicht. Der Kapitan wu?te, auf welches Schiff der Rotkopf anspielte: auf die HENRIETTA!

Schelp wandte sich an Moller und sagte: »Nehmen Sie funf Bewaffnete mit und passen Sie auf die Passagiere auf! Die Leute sollen unter Deck bleiben und sich ruhig verhalten.«

»Und wenn sie Arger machen?« fragte der knochige Steuermann.

»Na, dann schie?en Sie!«

Schelp sagte es in einem Ton, als verstande sich das von selbst.

»Aye«, krachzte Moller.

Er wahlte seine Begleiter aus und bildete mit ihnen einen losen Ring um den Durchgang zum Zwischendeck. Sie trieben die Passagiere in den Bauch des Schiffes wie Schafer, die ihre Tiere zur Schlachtbank fuhrten.

Hansen war bei diesem Anblick nicht wohl.

Das Pulverfa? stand noch an Bord, nur die Funken spruhten nicht mehr ganz so heftig.

*

Als der schwarze Schatten uber Irene, Jamie und Jacob fiel, sah die junge Frau angstlich auf.

Sie blickte auf ein schwarzes Kleid, einen schwarzen Schleier und einen schwarzen Hut. Die verhullte Gestalt angstigte sie fast mehr als der Derringer in deren schwarz behandschuhten Rechten.

Rechts und links von der geheimnisvollen Gestalt standen ihre beiden mannlichen Begleiter. Die Waffen in ihren Fausten waren ungleich gro?er. Ein langlaufiger Leach & Rigdon-Revolver bei dem Captain der Konfoderierten und ein franzosischer LeMat bei dem Mexikaner.

Aber am bedrohlichsten wirkte nach wie vor die Frau in Schwarz.

»Nehmen Sie Ihr Kind und verschwinden Sie unter Deck!« befahl die Vermummte.

»Und. Jacob?« fragte Irene zogernd.

Sie wu?te nicht, wie sie sich verhalten sollte. War es richtig, Jacobs Tod vorzutauschen?

Oder war gerade das ein vielleicht todlicher Fehler?

Die schwarze Frau schien Jacob anzublicken, aber wegen des Schleiers konnte man das nicht genau feststellen.

»Der ist doch tot«, sagte sie Frau. »Am besten werfen wir ihn uber Bord.«

»Nein!« schrie Irene auf. »Jacob. hat immer gesagt, er mochte einmal richtig begraben werden. In guter Erde mit einem Kreuz daruber, auf dem sein Name steht.«

»Damit konnen wir hier nicht dienen«, versetzte die Schwarzgekleidete kalt.

»Wir schaffen ihn hinunter«, sagte Piet Hansen laut. Er hatte einen Matrosen herangewunken, der Jacobs Beine anhob. Hansen selbst nahm den Oberkorper des Reglosen auf.

Irene pre?te die Lippen fest zusammen und schickte ein Sto?gebet gen Himmel. Sie betete gleich um zwei Dinge.

Erstens darum, da? die unheimliche Frau Piet Hansen und den Matrosen gewahren lie?.

Und zweitens, da? Jacob nicht plotzlich aufstohnte oder sich anderweitig verriet. Irene hatte das Gefuhl, da? die Frau mit dem Derringer ihr begonnenes Werk dann zu Ende fuhren wurde. Denn Irene fiel nur eine Erklarung fur den Schu? auf Jacob ein: Die Verschleierte wollte nicht, da? jemand ihr Gesicht erkannte.

Wenn aber Jacob sie kannte, warum dann nicht auch Irene?

Gewi?, die verhullte Gestalt hatte etwas Vertrautes an sich. Vielleicht ware die junge Deutsche langst darauf gekommen, aber die sich ubersturzenden Ereignisse und die Sorge um Jacob lie?en kaum andere Gedanken zu.

»Meinetwegen schaffen Sie die Leiche unter Deck, Kapten«, sagte die mysteriose Frau und lie? den vierlaufigen Derringer sinken. »Nehmen Sie die Frau und das Kind mit!«

Ein erstes Aufatmen ging durch Irenes ganzen Korper, als die andere Frau und ihre beiden Begleiter den Weg fur den vorgeblichen Leichentransport freigaben.

Ein zweites Aufatmen folgte, als Hansen und der Matrose Jacob unten im Zwischendeck auf den Boden legten. In einer abgeschiedenen Ecke, wo keiner von Mollers bewaffnetem Trupp stand.

Hansen schickte seinen Begleiter wieder auf Deck und sagte zu Irene: »Kummere dich gut um Jacob, Madchen!«

Sie bi? sich auf die Lippen und fragte dann mit vorgetauschtem Unverstandnis: »Ich verstehe Sie nicht, Piet. Wie meinen Sie das? Jacob ist tot!«

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