Hansen grinste und sagte leise: »Dann ist er der verdammt lebendigste Tote, den ich jemals getragen habe. Ich mu?te beim Transport mehrmals die Hand auf seinen Mund legen, um das Stohnen zu unterdrucken.«

»Warum haben Sie das getan, Piet?« fragte Irene. »Sie hatten sich die Sache leichter machen und Jacob an die seltsame Frau verraten konnen.«

Fast linkisch fuhr die sonnengebraunte Lederhand des Seebaren durch seinen ergrauten Bart.

»Hm«, brummte er stirnrunzelnd. »Ich glaube nicht, da? die Sache dadurch fur mich einfacher geworden ware, eher im Gegenteil. Sie ist schon schwer genug. Ich stecke ganz schon tief im Sumpf. Wie tief, das habe ich erst erkannt, als ich unseren Freund Jacob an der Reling liegen sah und ihn fur tot hielt.« Er seufzte. »Jetzt mu? ich sehen, wie ich aus der Sache wieder herauskomme!«

»Was fur eine Sache?« fragte Irene. »Sprechen Sie von dem Waffentransport fur die Konfoderierten?«

Hansen nickte betrubt.

»Warum machen Sie da mit, Piet? Wieso arbeiten Sie mit solchen Leuten wie diesem Schelp und der schwarzen Frau zusammen? Uberhaupt - die Frau. Sie kommt mir irgendwie bekannt vor. Wer ist sie?«

»Das wei? ich nicht, wirklich.« Der Kapitan legte eine Hand auf Irenes Schulter. »Alle anderen Fragen mussen warten, Madchen. Ich mu? an Deck. Pa? gut auf Jacob auf. Und sieh zu, da? Moller und seine Manner nicht mitbekommen, wie lebendig er ist!«

Wie zur Bestatigung von Hansens Worten walzte sich Jacob herum und stie? einen tiefes Stohnen aus.

Sofort wanderten Irenes Augen durch das Zwischendeck. Zum Gluck war niemand sonst in der Nahe.

Auch wenn Jacobs Stohnen verraterisch sein konnte, sie freute sich daruber.

Uber jedes Lebenszeichen, das er von sich gab!

»Ich lasse von mir horen«, versprach Hansen und entfernte sich.

Irene sah, wie er die schmale Treppe hinaufstieg.

Ihre Welt bestand aus dem Halbdunkel einer fernen Ollampe, aus Jacobs schwachem Atmen und seinem gelegentlichen Stohnen und aus Jamies leisem Wimmern.

Sie druckte ihr Kind an sich, strich uber das kleine Kopfchen mit dem immer dichter werdenden Haar und sagte sanft: »Armer kleiner Jamie. Was du schon alles erleben mu?test. Ich hoffe, da? du noch nicht viel von all dem mitbekommst!«

Und sie wunschte, da? es fur sie selbst so ware.

*

Als Piet Hansen wieder an Deck kam, hatte sich der Nebel gro?tenteils gelichtet.

Besser ausgedruckt, er war gelichtet worden. Und zwar durch den Sturmwind, der die Segel aufblahte und die Bark nach Norden hetzte.

»Moller hat unten alles unter Kontrolle«, sagte Hansen zu Schelp, der bei Joe Weisman am Ruder stand.

Der Zweite Steuermann gab sich unbeteiligt. Aber sein verbissenes Gesicht und die dusteren Blicke, die er seinem Kapitan dann zuwarf, wenn er sich unbeobachtet glaubte, verrieten, was er von Hansen hielt: nichts Gutes.

Die geheimnisvolle Frau und ihre beiden Begleiter standen in der Nahe an der Steuerbordreling und unterhielten sich leise. Immer wieder blickte sie aufs Meer hinaus. Am Horizont tauchte verschwommen ein dunkler Strich auf.

Don Emiliano loste sich von der Gruppe und trat zum Platz des Steuermanns.

»Ich mu?te mich sehr tauschen, wenn das da druben nicht die Kuste von Mexiko ist«, sagte er in seinem spanisch gefarbten Englisch.

»Es ist die Sudspitze Kaliforniens«, erwiderte Hansen.

»Das ist dasselbe«, fauchte der Mexikaner. »Wir nennen es Baja California. Und wenn es das ist, dann fahren wir schon seit einiger Zeit nach Norden. Dahin zuruck, von wo wir gekommen sind. Konnen Sie mir das erklaren, Capitan?«

Don Emilianos Hand schwebte wie zufallig uber der rechten Au?entasche seines blauen Samtrocks. Die Tasche war stark ausgebeult. Und da? er die Hand ausgerechnet dort hatte, war bestimmt kein Zufall. Schuld an der Ausbeulung war der LeMat-Revolver.

»Aber gern.« Hansen zwang sich zu einem Lacheln. »Wir fahren nach Norden, weil ein gunstiger Wind in diese Richtung weht.«

Da? diese Antwort den Mexikaner nicht zufriedenstellte, verriet das erregte Zucken seiner von einem tief schwarzen Bart umfa?ten Mundwinkel. Seine Hand naherte sich noch weiter der ausgebeulten Tasche.

»Unser Ziel liegt aber nicht im Norden, sondern im Suden!« entgegnete er scharf.

»Sie irren sich, Senor«, blieb Hansen gelassen. »Unser Ziel liegt nicht im Suden.«

Der Sonderbeauftragte der mexikanischen Exilregierung legte die olivenfarbene Haut auf seiner Stirn in tiefe Falten.

»Senor Capitan, was soll das bedeuten? Ich bin zu Scherzen jetzt nicht aufgelegt. Naturlich mussen wir nach Suden fahren!«

»Ja, das mussen wir«, gab der alte Seebar zu. »Aber unser Ziel liegt im Osten. Sie selbst haben doch im Grand Hotel von Fogerty erklart, da? wir unsere Fracht in einer Bucht sudlich von Guaymas loschen sollen. Nun, wir befinden uns ziemlich genau auf der Hohe von Guaymas, wenn mich nicht alle nautischen Kenntnisse verlassen haben.«

»Das hei?t, diese verwunschten Gringo-Schiffe haben uns vor der mexikanischen Kuste angegriffen?« explodierte Don Emiliano. »Wo sie gar nichts zu suchen haben?«

»So sieht es aus«, bestatigte der Kapitan. »Aber sie hatten sehr wohl etwas hier zu suchen, namlich uns.«

»Wie meinen Sie das, Kapten?« bellte Schelp, »Ich halte das plotzliche Auftauchen der kleinen Flottille nicht fur einen Zufall«, erklarte Hansen. »Die Kriegsschiffe haben uns zweifellos gesucht. Sonst hatten sie uns nicht sofort bei ihrem Erscheinen zur Ubergabe aufgefordert und so schnell das Feuer auf uns eroffnet.«

»Verflucht!« Schelp kratzte uber sein rotes Haar. »Da ist was dran. Aber das bedeutet ja, da? uns jemand verraten hat!«

»Ja«, erwiderte Hansen nur.

»Aber wer?«

»Fragen Sie mich was Leichteres, Schelp«, seufzte der Kapitan. »Ich habe zur Zeit andere Probleme.«

»Si, Senor Capitan, die haben Sie«, nickte der Mexikaner mit noch immer umwolkter Stirn. »Namlich unseren Kurs. Verkaufen Sie mich nicht langer fur dumm! Auch wenn Sonora und Guaymas im Osten liegen, wir mussen nach Suden fahren, um ans Ziel zu kommen.«

»Das stimmt, Don Emiliano«, sagte Hansen. »Wir mussen die Sudspitze von Baja California umsegeln, um in den Golf von Kalifornien zu gelangen.«

»Dann segeln Sie endlich nach Suden!« verlangte der Mexikaner sehr laut und sehr scharf. Offenbar war er mit seiner Geduld am Ende.

»Das ware aber au?erst dumm«, entgegnete der Kapitan. »Damit rechnen die Kriegsschiffe doch. Sie werden uns dort auflauern.«

»Ah, ich verstehe«, nickte Schelp. »Deshalb der Nordkurs.«

»Ja, deshalb«, bekraftigte Hansen.

Schelps offensichtliche Freude uber sein Begreifen verflog ebenso schnell wieder, wie sie sein Gesicht aufgehellt hatte. Mit einem fast ebenso skeptischen Blick wie Don Emiliano sagte er: »Aber wir konnen nicht ewig so weitermachen, Kapten. Was tun wir, wenn die Yankee-Schiffe im Suden bleiben, wovon wir leider ausgehen mussen? Bis zum Nordpol fahren?«

»Dafur sind wir nicht ausgerustet«, versetzte Hansen trocken. »Nein, naturlich konnen wir nicht immer weiter nach Norden fahren. Wir mussen uns an den Kriegsschiffen vorbeischleichen. Aber ich denke, wir sollten damit warten, bis es dunkel ist.«

Ein breites Grinsen uberzog Schelps derbes Gesicht. Er versetzte Hansen einen zustimmenden Schlag auf die Schulter.

»Ja, das ist ein guter Plan, Kapten. Genauso machen wir es. Sobald es Nacht ist, andert die ALBANY ihren Kurs um hundertachtzig Grad und gleitet unbemerkt an den Yankees vorbei. Wunderbar!«

»Si, es konnte funktionieren«, meinte auch Don Emiliano und ging zuruck zur Reling, um Captain McCord

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