in den rauhen Handen, wie sich im Zirkus eine Schlange in der Gewalt ihres Bandigers wand.
»Schlu? mit den Fisimatenten!« knurrte der alte Seebar, in dessen rechter Faust der Stahl des Kerr- Revolvers bedrohlich im Schein der Blendlaternen blitzte.
Er trat auf die uberwaltigte Frau zu und streckte die Linke nach dem Schleier vor ihrem Gesicht aus.
»Jetzt will ich endlich wissen, wer mein geheimnisvoller Passagier ist!«
Diese Ankundigung erweckte neue, ungeahnte Krafte in der Gefangenen. Fur die Seeleute kam es uberraschend. Die Frau baumte sich mit solcher Heftigkeit auf, da? sie ihren rechten Arm frei bekam.
Nur fur Sekundenbruchteile verschwand die Hand in den Falten des schwarzen Kleides. Dann zeigte der vierlaufige Sharps Derringer auf den Kapitan. Der Daumen im schwarzen Leder zog den Hahn zuruck.
Einer der Seeleute war schneller. Mit einem brutalen Griff entwand er der Frau die kleine Schu?waffe und hielt ihren Arm fest.
»Danke, Gro?er«, brummte Hansen und trat dicht vor die Frau. »Mal sehen, wie diese gefahrliche Seehexe aussieht!«
»Nein, bitte nicht!« flehte die Frau. »Bitte!« .
Die Kalte war ebenso aus ihrer Stimme verschwunden wie die Wildheit, mit der sie beim Kampf gegen die Seeleute geschrien hatte. Jetzt wimmerte sie mitleiderregend. Es horte sich fast an wie ein kleines Kind, das darum bat, nicht von der Mutter getrennt zu werden.
»Nicht, Kapten, bitte nicht!« beschwor sie Hansen noch einmal, als seine Hand schon den schwarzen Schleier beruhrte.
Aber sie stie? bei Piet Hansen auf taube Ohren. Er hatte die Nase gestrichen voll, von der Heimlichtuerei und von den Leuten, die zu Arnold Schelp gehorten.
Au?erdem gab das vorherige Verhalten der Frau nicht dazu Anla?, jetzt Mitleid mit ihr zu empfinden.
Aus welchem Grund auch?
Was hatte sie dagegen, da? man ihr Gesicht sah?
Der alte Seebar dachte daran, wie sie mit voller Absicht auf Jacob Adler geschossen hatte, der jetzt im Zwischendeck lag und zwischen Leben und Tod schwebte. Mit einem festen Ruck zog er den schwarzen Hut und den daran befestigten Schleier weg.
Der Anblick lie? ihn ebenso erstarren wie alle anderen Manner in der Kabine. Entsetzte Rufe drangen aus einigen Mundern. Ein Mann bekreuzigte sich.
Auch Abel McCord stierte mit hervortretenden Augen das an, was man nur schwerlich ein Gesicht nennen konnte. Bei dem Gedanken an seine intimen Erlebnisse mit dieser Frau stulpte sich sein Magen um. Er konnte sich nicht einmal mehr nach vorn beugen, so schnell mu?te er sich ubergeben.
»Grundgutiger!« seufzte Piet Hansen und beeilte sich, Hut und Schleier wieder an den angestammten Platz zu bringen. Dann streifte er die Rocke uber die nicht minder entstellten Beine, deren Zustand er bisher gar nicht bemerkt hatte.
Er starrte die Frau an und fragte: »Wie. wie ist das blo? passiert?«
Als er keine Antwort erhielt, fragte er: »Wer sind Sie uberhaupt?«
Endlich sagte die Frau etwas, das an das Zischen einer Schlange erinnerte: »Dafur werde ich Sie toten, Kapitan!«
Hansen wandte sich von ihr ab.
Er befahl, die vier Gefangenen an Armen und Beinen zu fesseln und in der vordersten und gro?ten Kabine, Schelps Unterkunft, zusammenzulegen. Vor der Tur wurde ein bewaffneter Wachtposten aufgestellt.
Alle Kabinen und die Gefangenen wurden sorgfaltig nach Waffen durchsucht. Schu?waffen und Messer wurden eingesammelt und mitgenommen.
Aber niemand achtete auf den kleinen, fur seinen Besitzer in der jetzigen Situation scheinbar unnutzen Angeberstock, der neben dem gefesselten Schelp auf dem Kabinenboden lag.
*
»Alles in Butter«, rieb Piet Hansen zufrieden seine ledernen Seemannshande, als er ins Zwischendeck hinabstieg und sich Irene und Jacob naherte. »Die ALBANY hat ihren Kurs zum zweitenmal in dieser hollischen Nacht geandert, jetzt endgultig. Es geht nach Norden, nach Frisco. Und die vier Obergauner liegen hubsch zusammengeschnurt in der Kabine. Ist fur sie zwar nicht gerade die bequemste Art zu reisen, aber ein bi?chen zu leiden, wird ihren schwarzen Seelen nicht schaden.«
Die Miene des Kapitans wurde ernst, als er vor den deutschen Auswanderern stand.
Irene hockte vor Jacob, der mit geschlossenen Augen auf dem Rucken lag, und tupfte seine Stirn mit einem feuchten Tuch ab.
»Wie geht es ihm?« fragte Hansen.
»Wie es einem so geht, uber dessen Kopf eine ganze Buffelherde getrampelt ist«, stohnte Jacob und schlug die grunbraunen Augen auf. »Jedenfalls fuhle ich mich, als sei ich in eine Stampede geraten.«
Vorsichtig tastete seine Hand zum Kopf. Als die Finger den verbundenen Schadel beruhrten, zuckte der junge Deutsche vor Schmerzen zusammen.
»Er ist bei Bewu?tsein!« rief Hansen erfreut aus. »Seit wann?«
»Vor drei Minuten hat er zum erstenmal die Augen aufgeschlagen«, antwortete Irene, deren kleiner Sohn noch immer friedlich schlummerte. »Und das erste, was er sagte, war, er habe Hunger.«
»Hunger?« echote der Kapitan unglaubig.
»Ja, Hunger«, bestatigte der verwundete Zimmermann mit noch bruchiger Stimme. »Ich fuhle mich, als wurde mein Magen in den Kniekehlen hangen.«
»Bei Neptuns Dreizack, jetzt fuhle ich es auch!« nickte Hansen und strich uber seinen Bauch. »Ist ja auch 'ne ziemliche Weile her, da? wir etwas gegessen haben. Was haltet ihr beide von einem intimen Mitternachts-Dinner am Kapitanstisch, bei Kerzenschein naturlich?« Nach einer kurzen Pause fugte er mit Blick auf den Verwundeten hinzu: »Falls Jacob aufstehen kann.«
»Immer, wenn es was zu futtern gibt«, grinste Jacob ein wenig uberheblich.
Ihm ging es nicht halb so gut, wie er tat. Aber Gejammere half nicht weiter und wurde die beiden Freunde nur beunruhigen.
Auf Hansen gestutzt konnte er zur gro?en Kapitanskajute gehen, deren prachtvolle Ausstattung der alte Seebar von seinem Vorganger Josiah Haskin ubernommen hatte.
Irene brachte den schlafenden Jamie mit.
Hansen ging in eine Ecke, offnete eine mit aufwendigen Schnitzereien verzierte Waschetruhe und sagte zu der jungen Mutter: »Leg deinen Sohn doch da hinein, Madchen. Ein Kinderbett habe ich hier leider nicht.«
»Das werden Sie auch wohl kaum brauchen«, lachelte Irene und bettete Jamie vorsichtig in die Truhe.
Es ging besser, als sie gedacht hatte. Der uberstehende Rand verhinderte, da? ihr Sohn aus dem provisorischen Bett fiel.
Wahrend der Smutje in der Kombuse hantierte, um ein kraftiges Essen fur den Kapitan und seine Gaste zu bereiten, brachte der Schiffsjunge, ein etwa dreizehnjahriger Neger, eine Blechkanne mit Kaffee und drei gro?e Keramiktassen, die er mit der dampfenden schwarzen Flussigkeit fullte.
Hansen nahm eine edel geformte Flasche aus einem Wandschrank und stellte sie auf den Tisch.
»Bester franzosischer Kognak, noch aus Josiah Haskins Bestanden«, teilte er mit. »Wer mochte?«
»Ich nicht«, lachelte Irene. »Mir brummt noch der Kopf von dem, was heute geschehen ist.«
»Mein Schadel brummt zwar auch«, meinte Jacob, »aber etwas innere Warme kann wohl nicht schaden.«
»Das ist ein Mannerwort«, brummte Hansen zufrieden. Er reicherte Jacobs und seinen eigenen Kaffee mit einem ordentlichen Schu? des franzosischen Weinbrands an und setzte sich dann zu den beiden Auswanderern an den Tisch.
»Auf den Hafen von Frisco, den wir im Laufe des morgigen Tages hoffentlich wohlbehalten und ohne weitere Zwischenfalle anlaufen!« sagte der Kapitan laut, wahrend er seine Tasse hob.
Dann nahm er einen ordentlichen Schluck. Ein paar dunkle Tropfen blieben in seinem Bart hangen und glitzerten im hellen Licht des uber dem Tisch hangenden kristallenen Lusters. Er stellte die Tasse zuruck und schuttelte sich plotzlich. Sein eben noch Wohlbehagen ausdruckender Gesichtsausdruck verzog sich zu einer Grimasse.
»Was haben Sie, Piet?« fragte Irene, die selbst gerade einen Schluck getrunken hatte. »Ich finde, der Kaffee