in der Gewalt. Als sie jetzt sprach, klang ihre Stimme fast so kuhl und gefuhllos wie stets. Fast - denn ein Vorwurf war unuberhorbar:

»Wenn wir uns gegenseitig zerfleischen, bringt uns das nicht weiter! Wir sollten lieber gemeinsam nach einem Ausweg suchen. Und zwar schnell, bevor wir San Francisco erreichen!«

»Ganz Ihrer Meinung, Lady«, erwiderte Schelp. Er ignorierte den Vorwurf und sprach ganz so, als handle es sich bei der Suche nach einem Ausweg um eine blo?e Formsache.

»Sie scheinen ja sehr zuversichtlich zu sein, da? uns rechtzeitig etwas einfallt«, bemerkte die Frau.

»Das brauche ich gar nicht, Madam, denn mir ist schon etwas eingefallen.«

»Was?«

»Wir sollten uns befreien und das Schiff mit einem der Rettungsboote verlassen. Spater in der Nacht, wenn sich die Aufregung gelegt hat und die meisten Menschen an Bord schlafen.«

»Und die Ladung?« fragte Vivian Marquand.

»Es ist naturlich bedauerlich, da? wir die kostbare Fracht auf der ALBANY zurucklassen mussen. Aber wie der Uberfall durch Kapten Hansen gezeigt hat, kann ich mich nicht auf die Manner verlassen, die sich mein gutes Geld in die Taschen gestopft haben. Deshalb schlage ich vor, da? wir versuchen, uns die Fracht in Frisco zuruckzuholen. Der Goldrausch zieht allerlei Gesindel an, und die meisten finden nicht einmal ein Kornchen Gold. In Frisco durften sich eine Menge Manner herumtreiben, die fur Geld zu allem bereit sind.«

»Das klingt ja alles sehr vernunftig«, sagte Don Emiliano sauerlich. »Nur furchte ich, da? Ihr hochtrabender Plan schon in seiner Anfangsphase an einem kleinen, aber nicht unwichtigen Detail scheitern wird, Senor Schelp!«

»So?« Der Deutsche zog die rotlichen Brauen hoch. »Wollen Sie so gutig sein, mir dieses Detail zu verraten, Don Emiliano?«

»Aber gern. Ich meine die Befreiung. Die Heilige Jungfrau Maria mag wissen, wie wir uns befreien sollen, so zusammengeschnurt, wie wir sind! Dieser Fuchs von Capitan hat uns nicht die kleinste Klinge gelassen.«

»Doch, er hat!«

Schelp sonnte sich zwanzig, drei?ig Sekunden in der Wirkung seiner Worte. Dann zeigte er den anderen, was er meinte.

Zwar konnte er die Arme nicht bewegen, aber durch geschicktes Hin- und Herrollen hatte er es geschafft, seinen Stock zwischen die Finger der gefesselten Hande zu bekommen. Er drehte sich noch ein Stuck, so da? die anderen ihn gut sehen konnten.

»Was soll das?« grunzte der Mexikaner unwillig. »Wollen Sie den Capitan verprugeln, damit er uns freila?t?«

»Nicht notig, fur unsere Befreiung sorge ich schon selbst.«

Schelps Finger drehten an dem Silberknauf. Es gab ein leises Klacken. Aus dem unteren Stockende sprang eine etwa acht Zoll lange, scharfe Klinge.

Nur wenig Licht drang durch die Fensteraufbauten auf Deck hinunter in die Kajute. Kapitan Hansen hatte alle Lampen einsammeln lassen, damit sich die Gefangenen nicht Feuer und Glas zunutze machen konnten. Aber als Schelp den Stock langsam drehte, reichte das Licht, um den scharfen Stahl aufblitzen zu lassen.

»Sehr gut«, lobte die Frau.

»Si, Sie haben mich uberzeugt, Senor Schelp«, verkundete gro?mutig Don Emiliano. »Worauf warten Sie noch? Schneiden Sie uns endlich los!«

»Noch nicht. Wir mussen uns noch ein paar Stunden gedulden. Bis die Nacht alter ist und wir naher an Kalifornien sind.« Schelp warf einen langen Blick auf den Mexikaner und fugte hinzu: »Ich meine das amerikanische Kalifornien, Don Emiliano, nicht Ihr Baja California.«

»Still!« zischte Vivian Marquand.

Sie horten die Schritte, die sich rasch der Kajute naherten. Jemand sprach mit dem Wachtposten vor der Tur.

Schnell lie? Schelp durch eine Drehung am Knauf die Klinge in den Stock zuruckgleiten und verbarg das wertvolle Stuck unter seinem Korper.

Da wurde die Tur auch schon geoffnet.

*

Piet Hansen betrat den Raum.

Halb hinter ihm stand Jacob Adler, die Finger der rechten Hand um die dunnen, gebogenen Blechstabe geklammert, aus denen der Doppelgriff einer Blendlaterne bestand. Der Griff war so gearbeitet, da? man die Laterne an einen Gurtel hangen konnte und beide Hande bei der Arbeit frei hatte. Der helle Lichtstrahl, der durch die mattglasige Vergro?erungslinse drang, wanderte uber die vier am Boden liegenden Menschen und verharrte auf den Stricken, mit denen sie gefesselt waren.

»Scheint alles in Ordnung zu sein«, stellte der junge Deutsche fest.

Er konnte nicht ahnen, wie sehr er sich tauschte. Schelp lag so auf seinem Stock, da? von der zur Waffe umfunktionierten Gehhilfe auch nicht die kleinste Spitze zu sehen war. Der rothaarige Geschaftemacher hatte ein unbeteiligtes, abweisendes Gesicht aufgesetzt und lie? sich seine Erleichterung nicht anmerken, da? der Kapitan der ALBANY sich nicht fur ihn interessierte.

Hansen beugte sich uber die Frau, offnete ein abgegriffenes Klappmesser und zerschnitt ihre Fu?fesseln. Er zogerte, ob er sie auch von den Armfesseln befreien sollte, entschied sich dann dagegen und klappte die Klinge zuruck in den holzernen Messergriff.

»Mrs. Marquand, stehen Sie bitte auf«, sagte er fast ubertrieben hoflich. »Ich helfe Ihnen dabei.«

»Ist das Ihr richtiger Name?« entfuhr es Abel McCord. Seit der Gefangennahme hatte der Sudstaaten- Captain geschwiegen. Scham uber die Art seiner Uberwaltigung, Verwirrung uber die plotzlich veranderte Lage, Selbstvorwurfe wegen seiner Leichtsinnigkeit und Abscheu vor den erlebten Intimitaten mit der Frau in Schwarz hatten seine Gedanken beschaftigt und seine Lippen versiegelt.

Er erhielt keine Antwort.

Die Frau schwieg, lie? sich von Hansen aufhelfen und verlie? mit ihm und Adler die Kajute.

Erst als sich die Tur geschlossen hatte, drehte sich der Mexikaner zu dem Sudstaatler um und fragte vorwurfsvoll: »Capitan, Sie wissen nicht, wer Ihre Begleiterin ist?« »Nein.«

»So ein Leichtsinn. Das hatte es in der mexikanischen Armee nicht gegeben!«

»Welche mexikanische Armee meinen Sie, Don Emiliano?« fragte McCord scharf. »Die, die fur Benito Juarez kampft? Oder die, die dem franzosischen Marschall Bazaine gehorcht?«

Der Sonderbeauftragte der mexikanischen Exilregierung sah den Captain der Konfoderierten konsterniert an. Arnold Schelp konnte einen lauten Lachanfall nur mit Muhe unterdrucken und in ein ersticktes Husten verwandeln.

*

Piet Hansen und Jacob Adler fuhrten die Frau in Schwarz nach achtern in einen engen Raum, ganz am Ende der ALBANY. Er bot gerade genug Platz fur die drei Menschen. Neben allerlei Hausrat und einem kleinen Ofen gab es einen winzigen Tisch und einen Hocker, der auf drei wackligen Beinen stand.

»Setzen Sie sich, Ma'am«, sagte der Kapitan und zeigte auf den grob geschnitzten Hocker. Zogernd gehorchte die Frau und fragte: »Wo sind wir?« »Im Bereitschaftsraum fur den Stewart«, erklarte Hansen. »Aber auf dieser Fahrt hat die ALBANY keinen Stewart an Bord. Wir sind hier also ungestort.« »Warum wollen Sie, da? wir ungestort sind?« »Damit Sie uns ein paar Fragen beantworten, Ma'am.« Hansen zeigte auf Jacob, der die Blendlaterne auf ein niedriges Bord zwischen verstaubte Tassen und Teller gestellt hatte.

»Mein junger Freund hat mir erzahlt, was sich auf dem Ohio ereignet hat. Er hielt Sie fur tot und war ziemlich uberrascht, Sie wiederzutreffen. Und jetzt fragt er sich, weshalb Ihnen so viel daran liegt, sein Leben drastisch verkurzen zu wollen.«

»Das haben Sie doch schon gesehen!« fauchte Vivian Marquand und lie? alle vorgetauschte Gefuhllosigkeit fahren. »Sie beide. Oder mochten Sie noch einmal in mein schones Gesicht blicken?«

Jacob horte deutlich den Vorwurf in ihren Worten. Und wieder fragte er sich, ob die schreckliche Entstellung der alleinige Grund fur ihren Ha? war.

Ein anderer Gedanke tauchte auf: Konnte es sein, da? die Frau beim Untergang der ONTARIO den Verstand verloren hatte?

Laut fragte er: »Mrs. Marquand, werfen Sie mir etwa vor, was Ihnen zugesto?en ist?«

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