ist sehr gut. Oder schmeckt Ihnen der Kognak nicht?«

»Nein, der ist gut. Ich mu?te nur gerade an diese Frau denken, an. an das. Gesicht!«

Das letzte Wort kam ihm nur schwer uber die Lippen. Das Entsetzen, das er beim Anblick der entschleierten Frau empfunden hatte, spiegelte sich auf seinen Zugen wider.

»Sie haben das Gesicht gesehen?« erkundigte sich Irene neugierig.

Der Kapitan nickte.

»Es ist ein scheu?licher Anblick. Die Haut - sie scheint mit den Knochen verschmolzen zu sein. Ich wei?, da? es Unsinn ist, aber so sieht es aus. Als hatte jemand Salzsaure uber das Gesicht geschuttet und alles weggeatzt, was auch nur entfernt menschlich war. Nur das rote Haar scheint unberuhrt geblieben zu sein. Aber sonst ist sie stark entstellt, vielleicht am ganzen Korper. Zumindest die Beine sehen so aus wie das Gesicht. Die Haut ist.«

Er brach ab, als er Irenes besturzten, bleichen Gesichtsausdruck bemerkte.

»Verzeiht, Freunde, ich wollte euch nicht erschrecken. Ich denke auch, meine Beschreibung genugt.«

»Das tut sie«, versicherte Jacob. »Mich konnten Sie ubrigens gar nicht erschrecken. Ich habe das Gesicht der Frau schon auf Deck gesehen, kurz bevor sie auf mich scho?.«

»Stimmt ja«, nickte der Kapitan, der die Szene hilflos mitangesehen hatte. »Ich mochte wissen, was mit der Frau geschehen ist. Und naturlich auch, mit wem wir es uberhaupt zu tun haben. Mir hat sie es jedenfalls nicht gesagt.«

»Ich kenne sie«, sagte Jacob und blickte die junge Frau an. »Du ubrigens auch, Irene.«

»Ja, das Gefuhl hatte ich auch. Allerdings komme ich nicht darauf, wer sie ist.«

»Denk an den Ohio River und an unsere Fahrt auf der ONTARIO!«

»O Gott!« Irene schlug die Hande vor ihr schones, noch jugendlich glattes Gesicht. »Willst du damit sagen, da?.« Dann nickte sie. »Ja, naturlich, sie ist es. Das rote Haar, die Stimme. Es ist Vivian Marquand!«

»Ihr beide kennt sie?« fragte der Kapitan verwundert. »Vom Ohio River? Klingt so, als hattet ihr eine Menge erlebt, seit ihr die ALBANY in New York verlassen habt.«

»Das kann man wohl sagen«, lachte Jacob auf, als er an die mannigfachen Abenteuer dachte, die hinter ihm und Irene lagen. Schon in New York City hatten sie begonnen und waren zu verla?lichen Begleitern der beiden Deutschen bei ihrer Reise quer durch den nordamerikanischen Kontinent geworden.

Dann erzahlte er Piet Hansen davon, wie Vivian Marquand, die mit ihrem Mann Alec eine Frachtagentur in Pittsburgh betrieben hatte, ihn und seinen Freund Martin Bauer als Frachtbegleiter anheuerte. Zusammen mit Irene und dem kleinen Jamie waren sie auf dem Schaufelraddampfer ONTARIO den Ohio River hinuntergefahren. Bis sie feststellen mu?ten, da? die begleitete Fracht nicht aus Konserven bestand, sondern aus Revolverkanonen. Vivian Marquand war eine Agentin der Konfoderierten und wollte die Waffen zu der von den Nordstaatlern eingeschlossenen Stadt Vicksburg bringen.

»Dann ist sie ihrem Metier ja treu geblieben«, brummte Hansen und genehmigte sich noch einen Schluck des veredelten Kaffees. »Was geschah dann?«

»Eine Menge«, antwortete Jacob und berichtete von dem schurkischen Max Quidor, dessen unangenehme Bekanntschaft Jacob und seine Freunde bereits in New York City gemacht hatten. Dort raubte Quidor den kleinen Jamie und wollte sich Irene gefugig machen.

»Auf dem Ohio haben wir Quidor wiedergetroffen«, fuhr der Zimmermann fort. »Er war der Organisator des Waffenschmuggels. Ein Dampfer der US-Marine scho? die von Quidors Mannern besetzte ONTARIO in Brand. Die Ladung explodierte. Quidor hatte Irene, Martin und mich umgebracht.«

»Und?« fragte Hansen gespannt. »Was ist passiert?«

»Vivian Marquand tauchte auf und scho? Quidor in den Rucken. Er fiel in den Flu?.«

»Diese Frau hat euch gerettet?« meinte der unglaubige Kapitan. »Warum?«

»Wegen ihres Sohns George, sagte sie. Ihr Junge starb, als die Yankees zur Plantage der Marquands kamen und daraufhin die Negersklaven rebellierten. Sie wollte nicht, da? Jamie ein ahnliches Schicksal ereilte. Deshalb scho? sie auf Quidor. Dann starb sie selbst - jedenfalls glaubten wir das. Alles brach auf der ONTARIO auseinander. In dem Wirrwarr sturzte die Frau uber Bord. Da sie von den Suchtrupps nicht gefunden wurde, hielten wir sie fur tot. Der Ohio konnte ihre Leiche sonstwohin gespult haben.«

»Wirklich eine abenteuerliche Geschichte«, murmelte Piet Hansen und wurde sich dann erst bewu?t, da? die Geschichte, in die sie alle zur Zeit verwickelt waren, kaum weniger abenteuerlich war. »Aber eins verstehe ich nicht: Wenn diese Mrs. Marquand euch damals geholfen hat, warum wollte sie dich vor ein paar Stunden umbringen, Junge?«

»Eine gute Frage«, seufzte Jacob. »Daruber habe ich auch schon nachgedacht. Erst glaubte ich, sie wollte nicht, da? man sie erkennt. Vielleicht war es tatsachlich auslosend fur den Schu? auf mich, da? ich ihr entstelltes Gesicht sah. Ich wurde auch nicht wollen, da? mich jemand so sieht. Aber ich glaube, da? da noch mehr ist. Sie scheint mich aus tiefster Seele zu hassen. Moglich, da? es mit ihrer Entstellung zusammenhangt.«

Irene bohrte ihren Blick in Jacobs Gesicht und fragte: »Woran denkst du?«

»An die Explosionen, die damals die ONTARIO geradezu in Stucke rissen. Uberall waren Flammen. Waren wir nicht rechtzeitig in den Flu? gesprungen, waren wir elend verbrannt. Was ist, wenn Mrs. Marquand nicht solches Gluck hatte?«

»Aber ich denke, sie ist ins Wasser gesturzt«, wandte Hansen ein.

»Schon wahr«, sagte Jacob. »Aber gleichwohl konnte sie unter die brennenden Trummer des Dampfers geraten sein. Vielleicht wurde sie nicht durch Saure so entstellt, sondern durch Feuer!«

»Ja, das ware moglich«, meinte Irene leise.

»Fragen wir sie doch einfach!« schlug Hansen vor. »Das Essen ist eh noch nicht fertig.« »Geht nur«, nickte Irene. »Ich bleibe bei Jamie.« »Einverstanden«, sagte Jacob zu dem Kapitan. Der junge Auswanderer war begierig, mehr uber Vivian Marquands Schicksal zu erfahren.

*

Don Emiliano Maria Hidalgo de Tardonza war der erste, der die eintonige Gerauschkulisse der gegen den Schiffsrumpf schlagenden Wellen ubertonte: »Das alles ist ganz allein Ihre Schuld, Senor Schelp! Sie haben diesen Capitan Hansen angeschleppt, der uns hier eingewickelt hat wie gefangene Fische. Dafur wird meine Regierung Sie zur Verantwortung ziehen!«

Trotz der truben Lage zauberte Arnold Schelp zur allgemeinen Verwunderung der anderen Gefangenen ein breites Grinsen auf sein Gesicht.

»Erstens existiert Ihre Regierung nur auf dem Papier, Don Emiliano. In Mexiko gibt es im Augenblick wohl nur zwei Parteien, die etwas zu sagen haben: die Franzosen und die Anhanger von Benito Juarez.« Er achtete nicht auf den protestierenden Gesichtsausdruck des Mexikaners und fuhr fort: »Zweitens durfte es, wie es jetzt aussieht, eher die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika sein, die mich zur Verantwortung zieht. Und nicht nur mich, sondern uns alle, Sie eingeschlossen, Hidalgo.«

Mit voller Absicht verzichtete Schelp auf das formliche >Don Emilianoc. Er wollte dem hochnasigen Mexikaner bewu?t machen, da? sie alle in einem Boot sa?en - oder in einem Schiff lagen, was in diesem Fall aufs selbe herauskam.

»Mich bestimmt nicht«, zischte der Mexikaner. »Als Sonderbeauftragter der mexikanischen Exilregierung genie?e ich diplomatische Immunitat!«

Wieder grinste Schelp.

»Ich glaube nicht, da? sich die Yankees davon beeindrucken lassen, Senor. Schlie?lich steht Mr. Lincoln eher auf der Seite von Juarez. Und Lincoln ist nicht erbaut uber die europaische Einmischung, die Ihre sogenannte Exilregierung nach Mexiko gebracht hat. Au?erdem fackeln die Nordstaatler nicht lange mit Spionen, Saboteuren und Blockadebrechern. Ich konnte mir gut vorstellen, da? Ihre diplomatische Immunitat vor einem Erschie?ungskommando endet!«

»Das alles ist nur Ihre Schuld!« keifte Don Emiliano, trotzig wie ein kleines Kind. Aber er konnte damit nicht ubertunchen, da? die Worte des Deutschen ihm Angst gemacht hatten.

Schelp, der ihn genau beobachtete, fuhlte sich bei dieser Erkenntnis befriedigt.

Der Deutsche kam aus einfachen Verhaltnissen und hatte sich immer weiter nach oben durchgekampft. Er ha?te alle hochwohlgeborenen Herren und Damen, die auf Manner wie ihn voller Abscheu herabblickten, falls sie ihn denn uberhaupt zur Kenntnis zu nehmen pflegten. Jedesmal, wenn er einem adligen Fatzken eins auswischen konnte, war es ihm eine besondere Genugtuung, selbst in dieser bescheidenen Lage.

Die Frau in Schwarz - Vivian Marquand, die sich zur Tarnung Vivian Smith genannt hatte - hatte sich wieder

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