»Wir müssen Johnny holen«, sagte sie schwach. Und dann preßte sie ihre Finger vor den Mund und starrte Ben mit weit aufgerissenen Augen an wie ein kleines Kind.
»Na... kommen Sie, Sie... setzen sich jetzt hin«, sagte er zu ihr. »Sie wissen nicht, was diese Kreaturen sind. Das dort draußen ist kein Konfirmandenpicknick...«
Sie fing an, hysterisch, stoßartig zu weinen. Es war klar, daß sie endgültig zusammengebrochen war.
»Bitte... biiiiitte... Nein... nein... Johnny... Johnny... biiiiitte...«
Ben setzte alles daran, sie zu beruhigen, sie festzuhalten, während sie sich krümmte und wand, um von ihm loszukommen. Trotz seiner Kraft konnte sie sich losreißen, aber nur, weil er sich bemühte, ihr nicht weh zu tun. Sie starrte ihn an, und ihre stummen Blicke trafen sich für den Bruchteil einer Sekunde. Doch dann schrie sie wieder, schlug auf ihn ein und trat ihn - trat ihn immer wieder, während er alle Mühe hatte, ihre Arme abzuwehren und sie gegen die Wand zu drücken. Schließlich schob er sie gewaltsam zurück und warf sie in einen weich gepolsterten Sessel. Aber sie sprang sofort wieder auf, schrie und schlug ihm ins Gesicht. Daher war er gezwungen, sie wieder fest anzupacken. Er packte sie ungestüm und schleuderte sie dann praktisch in eine Ecke. Dann - er fand grauenhaft, was er tun mußte - holte er mit der geballten Faust aus, um ihr aufs Kinn zu schlagen - aber sie riß ihren Kopf beiseite. Da Bens Angriff fehlschlug, war sie immer noch nicht außer Gefecht gesetzt. Aber das Mädchen verfiel in ein dumpfes, verletztes Schweigen, das lange genug andauerte, daß er noch einmal seine Faust einsetzen konnte. Ben traf sie voll. Mit traurigen Augen schaute sie ihn an und wurde schwach in den Knien. Schlapp wie ein Mehlsack taumelte sie gegen ihn. Er fing sie auf und
nahm sie behutsam in seinen Arm.
Er hielt sie fest und blickte sich benommen im Zimmer um. Sein Blick fiel auf ein Sofa. Er mußte sie nicht tragen, sondern konnte sie fast zum Sofa hinüber führen. Dort bettete er ihren bewußtlosen Körper hin und schob vorsichtig ein Kissen unter ihren Kopf.
Ben trat ein paar Schritte zurück und schaute auf sie hinunter. Es tat ihm leid, daß er sie hatte schlagen müssen. Doch Barbara lag jetzt ganz friedlich auf der Couch, als ob sie sich überhaupt nicht in Gefahr befände. Nur ihr blondes Haar war verstrubbelt und ihr Gesicht tränenbenetzt. An der Stelle am Kinn, wo seine Faust sie getroffen hatte, würde sie schon bald einen blauen Fleck haben.
Ben zitterte. Er hoffte um ihrer beider willen, daß er eine Möglichkeit fand, wie er das durchstehen konnte. Das würde nicht leicht werden.
Das würde überhaupt nicht leicht werden.
3. KAPITEL
Neben der Couch, auf der Barbara jetzt bewußtlos lag, stand ein altes Schrankradio, wie es die Leute in den dreißiger Jahren gekauft hatten. Ben drückte auf einen Knopf, und der gelb getönte Anzeiger für die Sender fing an zu leuchten. Während er darauf wartete, daß das Gerät warm wurde, machte er sich auf die Suche nach der Nageldose, die er Barbara zuvor gegeben hatte. Er fand sie auf dem Boden, wo Barbara sie hingestellt hatte, suchte ein paar Nägel heraus und steckte sie in seine Tasche. Das Radio zischte und rauschte. Ben wandte sich wieder zu dem Gerät um und spielte mit dem Senderwahlknopf. Zuerst konnte er nichts anderes empfangen als ein Rauschen aber dann plötzlich drehte er an etwas vorbei, das wie eine Stimme klang. Ben schaltete behutsam hin und her und versuchte, den Sender zu finden. Schließlich drang eine monotone, metallisch klingende Stimme aus dem Radio...
»... STANDS-RADIOSTATION DER ZIVILEN VERTEIDIGUNG. NORMALE SENDELEISTUNG KANN VORÜBERGEHEND NICHT GEWÄHRLEISTET WERDEN. BLEIBEN SIE AUF DIESER WELLENLÄNGE, WENN SIE INFORMATIONEN ÜBER DEN NOTSTAND HÖREN WOLLEN. DIE POLIZEI RÄT IHNEN DRINGEND, ZU HAUSE ZU BLEIBEN. HALTEN SIE. ALLE TÜREN UND FENSTER VERSCHLOSSEN UND VERBARRIKADIEREN SIE SIE. GEHEN SIE MIT LEBENSMITTELN, WASSER UND MEDIKAMENTEN SPARSAM UM. ZIVILE VERTEIDIGUNGSEINHEITEN VERSUCHEN, DIE SITUATION UNTER KONTROLLE ZU BEKOMMEN. HALTEN SIE SICH IN DER NÄHE DES RADIOS AUF, UND LASSEN SIE DIESE FREQUENZ EINGESCHALTET. BENUTZEN SIE AUF KEINEN FALL IHR AUTO. HALTEN SIE IHRE TÜREN UND FENSTER VERSCHLOSSEN.«
Eine lange Pause. Ein Knacken. Dann fing die Meldung von vorn an. Es handelte sich um eine Aufzeichnung.
»UNSERE RUNDFLINKMITARBEITER WERDEN DIE NACHRICHTEN ÜBERMITTELN, DIE SIE VOM HAUPTQUARTIER DER ZIVILEN VERTEIDIGUNG ERHALTEN HABEN. SIE HÖREN DIE NOTSTANDSRADIOSTATION DER ZIVILEN
VERTEIDIGUNG. NORMALE SENDELEISTUNG KANN VORÜBERGEHEND NICHT GEWÄHRLEISTET WERDEN. BLEIBEN SIE AUF DIESER WELLENLÄNGE...«
Ben wurde von der Wiederholung im Radio genervt und wedelte abwehrend mit der Hand. Die Meldung wurde erneut durchgegeben, aber er lief weg und kehrte zu der schweren Tischplatte zurück, die immer noch neben dem Wohnzimmerfenster an der Wand lehnte. Ben schob den Vorhang ein ganz kleines Stück beiseite, damit er in die Dunkelheit hinaus auf den Rasen spähen konnte. Dabei bemühte er sich, seinen Körper im Schatten des Zimmers verborgen zu halten.
Er sah, daß jetzt vier von diesen ominösen Gestalten im Garten herumlungerten.
Die metallische Stimme der Radioaufzeichnung verlas die Meldung von neuem.
Und die Gestalten standen ganz reglos da. Er konnte erkennen, daß ihre Kleider abgerissen und ihre Haare zerzaust waren. Es waren kalte, tote Wesen.
Irgend etwas, ganz in der Ferne, beunruhigte Ben plötzlich. Von der anderen Seite der Straße kam eine Gestalt auf das Haus zu. Stunde um Stunde vermehrten sich diese makabren Kreaturen. Es war nicht so, daß Ben nicht damit gerechnet hatte, daß er das nicht in Betracht gezogen hatte, und trotzdem - daß es nun tatsächlich der Fall war, machte ihm angst. Jedesmal, wenn es einer mehr wurde, machte sein Herz einen Satz.
Wenn sie zahlenmäßig erst einmal genug waren, dann war es sicherlich nur noch eine Frage der Zeit, daß sie anfingen, das Haus anzugreifen und sich mit Gewalt Einlaß verschafften.
Ben wandte sich blitzschnell von der Tür ab und hastete zum Kamin hinüber. Er streckte die Hand nach den Streichhölzern aus. In einer kleinen Zeitschriftenablage neben der Couch, auf der Barbara bewußtlos lag, war ein Stapel von alten Illustrierten aufgetürmt. Ben schnappte sie sich, riß die Seiten heraus, zerknüllte sie und warf sie in den Kamin. Dann stapelte er Anmachholz und dicke Holzscheite obendrauf. Er hielt ein Streichholz an das Papier und sah zu, wie die Flammen auf das Holz übersprangen.
Auf dem Kaminsims stand eine Dose Holzkohlenbrennflüssigkeit, die Ben sich dankbar schnappte. Davon goß er ein bißchen in das Feuer. Flammen schlugen zischend hoch, und die Hitze hätte beinah das Gesicht des großen Mannes versengt. Schließlich hatten auch die dickeren Holzscheite Feuer gefangen. Ben kehrte ans Fenster zurück.
Die aufgezeichnete Nachricht fing wieder von vorn an.
»...LIZEI RÄT IHNEN DRINGEND, ZU HAUSE ZU BLEIBEN. HALTEN SIE ALLE TÜREN UND FENSTER VERSCHLOSSEN UND VERBARRIKADIEREN SIE SIE. GEHEN SIE MIT LEBENSMITTELN, WASSER UND MEDIKAMENTEN SPARSAM UM. ZIVILE VERTEIDIGUNGSEINHEITEN VERSUCHEN...«
Ben hievte die Tischplatte auf das Fensterbrett und preßte sie mit seinem Körper an den Rahmen, während er einen Nagel an die gewünschte Stelle hielt. Dann schlug er mit dem Tischlerhammer auf den Stahlstift... von Verzweiflung getrieben... einen anderen Nagel... und noch einen.
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