Plötzlich spuckte das Radio, das eingeschaltet war, aber nicht funktionierte, ein paar Worte aus, die Johnny jedoch nicht verstand, und verstummte dann wieder. Er starrte das Radio an, schlug dann auf das Gerät und drehte wie wild an dem Senderwahlknopf, aber es gelang ihm nicht, einen weiteren Ton zu empfangen. Das ist seltsam, dachte er, und ebenso verwirrend und frustrierend und quälend wie alles andere, das ihm an diesem ekelhaften Tag widerfahren war. Er kochte vor Wut. Wenn das Radio tot war, warum spuckte es dann hin und wieder ein paar Worte aus? Es sollte entweder tot oder nicht tot sein, anstatt sich launisch oder halb verrückt zu gebärden.

Er hieb noch ein paarmal auf das Gerät ein und fingerte an den Knöpfen herum. Er glaubte, das Wort »Notstand« in dem Wirrwarr von Wortfetzen aufgeschnappt zu haben, das durch das Rauschen drang. Aber seine Hiebe hatten keinerlei Erfolg. Das Radio blieb stumm.

»Verflucht noch mal!« sagte Johnny laut, als er den Schlüssel aus der Zündung riß und ihn in seiner Tasche verstaute. Dann stieg er aus und schlug die Tür zu.

Er schaute sich nach Barbara um. Ihm fiel der Kranz ein, den sie mitgebracht hatten, um ihn auf das Grab ihres Vaters zu legen. Daher öffnete er den Kofferraum des Wagens und holte ihn heraus. Er war in einer braunen Papiertüte, die er unter den Arm klemmte, während er den Kofferraumdeckel ins Schloß fallen ließ - und wieder schaute er sich nach Barbara um. Als er feststellte, daß ihr nicht in den Sinn gekommen war, auf ihn zu warten, wurde er wieder wütend.

Sie war die Terrasse hochgestiegen, von wo aus sie einen guten Ausblick auf die Kirche hatte, die in einer Senke zwischen Bäumen versteckt lag. Das Gotteshaus war mitten im Wald errichtet worden. Ganz vorsichtig, damit seine Schuhe nicht schmutzig wurden, stieg er den grasbewachsenen Abhang hinunter und trat neben sie.

»Das ist eine nette Kirche«, sagte sie. »Mit den Bäumen und allem. Das ist ein schöner Ort.«

Es handelte sich um eine typisch ländliche Kirche, einen weiß angestrichenen Holzbau mit einem roten Kirchturm und hohen, schmalen, altmodischen Fenstern aus farbigem Glas.

»Na, dann laß uns mal erledigen, weswegen wir gekommen sind, und dann machen wir uns wieder auf den Weg«, sagte Johnny in seinem mürrischen Tonfall. »Es ist schon fast dunkel, und wir haben noch eine dreistündige Fahrt vor uns, bis wir wieder daheim sind.«

Verdrießlich zuckte sie mit den Schultern, doch jetzt folgte er ihr zur Kirche hinunter.

Es gab keinen Rasen, kein Tor - nur Grabsteine, die aus dem hohen Gras unter den Bäumen herausragten. Hin und wieder knirschte Laub unter ihren Füßen. Die Reihe der Grabsteine begann schon ein paar Meter neben der Kirche und zog sich durch die Bäume und das Blätterwerk bis hin zum Rand des Waldes.

Die Steine waren von unterschiedlicher Größe: angefangen von kleinen Platten, auf denen nur ein Name stand, bis hin zu großen Gedenksteinen, die äußerst sorgfältig gearbeitet waren. Hin und wieder stieß man auf ein franziskanisches Kreuz oder das in Stein gemeißelte Antlitz eines Schutzengels. Die ältesten Grabsteine, die über die Jahre hinweg grau und braun angelaufen waren, wirkten kaum noch wie Grabsteine, sondern eher wie große Steine in einem Wald. Ihre Umrisse waren in der dunklen Stille, die die kleine, ländliche Kirche umgab, kaum zu erkennen.

Am grauen Himmel schimmerte noch das sanfte Glühen der eben untergegangenen Sonne, so daß die Bäume und die langen Grashalme in der einbrechenden Dunkelheit zu leuchten schienen. Über allem lag eine friedliche Stille, die von dem unaufhörlichen Zirpen der Grillen und dem raschelnden Laub, das hin und wieder von einer leichten Brise aufgewirbelt wurde, eher unterstrichen als gestört wurde.

Johnny blieb stehen und beobachtete, wie Barbara zwischen den Gräbern herumspazierte. Sie ließ sich Zeit und achtete darauf, daß sie nicht auf ein Grab trat, während sie den Stein ihres Vaters suchte. Johnny hatte den Hauch einer Ahnung, daß die Vorstellung, nach Sonnenuntergang auf einem Friedhof zu sein, sie erschreckte. Dieser Gedanke amüsierte ihn, denn er war immer noch sauer auf sie und wollte, daß sie ein bißchen dafür litt, daß sie ihn dazu gebracht hatte, zweihundert Meilen zu fahren, um einen Kranz auf ein Grab zu legen - ein Unterfangen, das er für dumm und sinnlos hielt.

»Erinnerst du dich, in welcher Reihe es ist?« rief ihm seine Schwester erwartungsvoll zu.

Aber er weigerte sich, ihr zu antworten. Statt dessen schmunzelte er in sich hinein und beobachtete sie nur. Sie lief von Stein zu Stein und blieb vor jedem stehen, der ihr etwas bekannter vorkam. Jedesmal las sie den Namen des Verstorbenen. Sie wußte noch ganz genau, wie der Grabstein ihres Vaters aussah, und sie konnte sich auch noch an die Namen der Personen erinnern, die in seiner Nähe begraben waren. Aber in der zunehmenden Dunkelheit fiel es ihr schwer, schnell voranzukommen.

»Ich glaube, ich bin in der falschen Reihe«, sagte sie schließlich.

»Hier ist doch
niemand«, sagte
Johnny, der sie absichtlich daran erinnern wollte, daß sie allein waren. Dann fügte er hinzu: »Wenn es nicht so dunkel wäre, könnten wir ihn mühelos finden.«

»Tja, wenn du früher aufgestanden wärst...«, sagte Barbara. Sie sprach den Satz nicht zu Ende, sondern marschierte eine andere Gräberreihe entlang.

»Das ist das allerletzte Mal, daß ich einen Sonntag für so einen Irrsinn drangebe«, sagte Johnny. »Entweder müssen wir Mutter hier heraus verpflanzen oder das Grab in ihre Nähe verlegen lassen.«

»Manchmal glaube ich, daß du nur jammerst, um dich reden zu hören«, gab Barbara zurück. »Außerdem, du bist einfach dumm. Du weißt verdammt genau, daß Mutter viel zu krank ist,

um solch eine Fahrt auf sich zu nehmen.«

Plötzlich entdeckte Johnny einen Grabstein, der ihm bekannt vorkam. Er musterte ihn genau, erkannte, daß es der ihres Vaters war, und überlegte, ob er es vor Barbara verschweigen sollte, damit sie noch eine Weile herumirrte. Aber sein Drang heimzukehren war stärker als sein Bedürfnis, sie zu quälen.

»Ich glaube, es ist dort drüben«, sagte er. Seine Stimme klang tief und distanziert. Er beobachtete, wie Barbara hinüberlief und nachsah. Wieder achtete sie darauf, daß sie nicht auf fremde Gräber trat.

»Ja, das ist es«, rief seine Schwester. »Du solltest dich freuen, Johnny - jetzt können wir uns bald wieder auf den Weg machen.«

Er kam hinüber zum Grab ihres Vaters und betrachtete kurz die Inschrift, bevor er den Kranz aus der braunen Papiertüte holte.

»Ich kann mich nicht einmal mehr daran erinnern, wie Vater ausgesehen hat«, sagte er. »Fünfundzwanzig Dollar für dieses Ding hier, und ich kann mich an den Kerl nicht einmal richtig erinnern.«

»Aber ich erinnere mich«, schalt Barbara ihn, »und ich war viel jünger als du, als er starb.«

Beide schauten den Kranz an, der mit Plastikblumen verziert war. Ein Stück rotes Plastikband war unten daran befestigt und zu einer großen Schleife gebunden, die eine goldene Inschrift zierte: »In ständiger Erinnerung«.

Johnny kicherte.

»Mutter möchte unseres Vaters gedenken - deshalb müssen wir zweihundert Meilen weit fahren, um einen Kranz auf ein Grab zu legen. Als ob er aus der Erde hochsehen würde, um die Dekoration zu kontrollieren und sich zu vergewissern, daß sie ihm

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