gefällt.«

»Johnny, das kostet dich fünf Minuten«, sagte Barbara wütend, und sie kniete sich vor das Grab und fing an zu beten, während Johnny den Kranz nahm, neben den Grabstein trat und den Drahtdorn in die festgetretene Erde bohrte.

Er stand auf und bürstete seine Kleidung ab, als ob sie schmutzig geworden wäre, und schimpfte dann wieder los. »Es dauert eben nicht fünf Minuten. Es dauert drei Stunden und fünf Minuten. Nein, sechs Stunden und fünf Minuten. Drei Stunden hierher und drei Stunden zurück. Plus die zwei Stunden, die wir mit der Suche nach dem Friedhof vergeudet haben.«

Sie unterbrach ihr Gebet, blickte auf und warf ihm einen finsteren Blick zu. Schließlich hörte er auf zu reden.

Gelangweilt stierte er zu Boden. Und dann fing er an herumzuzappeln. Mit den Händen in den Taschen wippte er nervös auf und ab. Barbara betete weiter und brauchte unnötig lange - so schien es ihm wenigstens. Sein Blick schweifte ab. Er schaute sich in der Dunkelheit um und betrachtete die Umrisse der Grabsteine und die Schatten auf dem Friedhof. Wegen der Dunkelheit waren weniger Grabsteine als zuvor sichtbar. Es hatte den Anschein, als ob es gar nicht so viele gäbe, denn nur die größeren waren deutlich zu sehen. Und die Geräusche der Nacht wirkten lauter, weil keine menschlichen Stimmen zu hören waren. Johnny stierte in die Dunkelheit.

In der Ferne tauchte ein seltsamer Schatten auf, der sich bewegte, und es sah beinah so aus, als ginge eine geduckte Gestalt zwischen den Gräbern herum.

Wahrscheinlich der Friedhofsaufseher oder ein Trauernder, der spät dran ist, dachte Johnny. Ungeduldig warf er einen Blick auf seine Armbanduhr. »Komm schon, Barbara, der Gottesdienst hat heute morgen stattgefunden«, sagte er nervös. Aber Barbara ignorierte ihn und fuhr mit ihrem Gebet fort. Man konnte glauben, daß sie vorhatte, es so lange wie möglich hinauszuziehen, nur um ihn auf die Palme zu bringen.

Johnny zündete sich eine Zigarette an, inhalierte genießerisch und blickte sich wieder um.

In der Ferne war tatsächlich jemand, der zwischen den Gräbern herumlief. Johnny kniff die Augen zusammen, aber es war zu dunkel. Er konnte nicht mehr als eine undeutliche Form erkennen, die mit den Umrissen der Bäume und der Grabsteine verschwamm, während sie langsam über den Friedhof spazierte.

Johnny wandte sich an seine Schwester und wollte gerade etwas sagen, aber im selben Moment bekreuzigte sie sich, stand auf und war bereit zu gehen. Schweigend wandte sie sich von dem Grab ab, und gemeinsam entfernten sie sich langsam. Johnny rauchte und kickte kleine Steine vor sich her, während er neben ihr hertrottete.

»Gebete gehören in die Kirche«, sagte er mit tiefer Stimme.

»Ein Kirchenbesuch würde dir auch ganz guttun«, hielt Barbara ihm vor. »Du verwandelst dich langsam, aber sicher in einen
Heiden.«

»Na ja, Großvater hat mir schließlich erzählt, daß ich zur Hölle verdammt sei. Erinnerst du dich? Genau hier - ich versteckte mich hinter einem Baum und bin auf dich zugesprungen. Großvater machte einen Satz und sagte mir, daß ich verdammt sei und in der Hölle landen würde.«

Johnny lachte.

»Früher hast du hier Angst gehabt«, sagte er mit einem teuflischen Grinsen. »Erinnerst du dich? Genau hier bin ich hinter dem Baum hervorgesprungen und hab' dich erschreckt.«

»Johnny!« rief Barbara ärgerlich. Aber sie lächelte, um ihm zu zeigen, daß er ihr keine Angst machte. Doch sie wußte auch, daß es zu dunkel war, als daß er ihr Lächeln überhaupt sehen konnte.

»Ich glaube, daß du dich immer noch ängstigst«, bohrte er weiter. »Ich glaube, daß du Angst vor den Leuten in ihren

Gräbern hast. Vor den
Toten.
Was, wenn sie aus ihren Gräbern steigen und hinter dir her sind, Barbara? Was würdest du dann tun? Wegrennen? Beten?«

Er drehte sich um und warf ihr einen heimtückischen Blick zu, als wolle er sich jeden Augenblick auf sie stürzen.

»Johnny, hör auf!«

»Du hast immer noch Angst.«

»Nein!«

»Du hast Angst vor den Toten!«

»Hör auf, Johnny!«

»Sie steigen aus ihren Gräbern, Barbara! Sieh doch. Hier kommt schon einer von ihnen!«

Er deutete auf die geduckte Gestalt, die zwischen den Gräbern herumspaziert war. Der Aufseher, oder wer auch immer er war, blieb stehen und sah offenbar in ihre Richtung, aber es war jetzt zu dunkel, um das mit hundertprozentiger Sicherheit sagen zu können.

»Er kommt, um dich zu holen, Barbara! Er ist tot! Und er wird dich kriegen.«

»Johnny, hör auf - er wird dich jetzt hören - du bist ein Ungläubiger.«

Aber Johnny rannte von ihr weg und versteckte sich hinter einem Baum.

»Johnny, du -«, begann sie, aber dann schämte sie sich und hielt inne. Ängstlich blickte sie zu Boden. Die Gestalt, die in der Ferne herumspazierte, kam langsam näher, und es war ganz offensichtlich, daß ihre Wege sich kreuzen würden.

Es schien ihr seltsam, daß jemand anderer als sie und ihr Bruder zu dieser ungewöhnlichen Stunde auf einem Friedhof war.

Wahrscheinlich ein Trauernder oder der Aufseher.

Sie blickte auf, lächelte und wollte ihn begrüßen.

Doch plötzlich legte der Mann seine Hände um Barbaras Hals, drückte zu und riß an ihren Kleidern. Sie versuchte wegzulaufen, zu schreien oder sich zur Wehr zu setzen. Aber seine Finger umklammerten ihren Hals so fest, daß sie keine Luft mehr bekam. Der Angriff war so plötzlich gekommen und so gewalttätig, daß sie vor Angst fast gelähmt war.

Johnny kam herübergerannt, sprang gegen den Mann und griff ihn an - und alle drei gingen zu Boden. Johnny schlug mit den Fäusten auf den Mann ein, und Barbara trat ihn und schlug mit ihrer Handtasche zu. Kurz darauf rollten Johnny und der Mann über den Boden und schlugen aufeinander ein, während Barbara, die schrie und um ihr Leben kämpfte, sich endlich losreißen konnte.

In Panik geraten und verängstigt wie sie war, wollte sie zuerst einfach weglaufen.

Der Angreifer schlug um sich und klammerte sich anscheinend an allen Körperteilen von Johnny fest, die er zu fassen bekam. Johnny hatte alle Mühe, durchzuhalten. Die beiden Kämpfer kamen mühsam wieder auf die Beine, und jeder hielt den anderen so fest umklammert, wie er konnte - aber der Angreifer war wie ein wildes Tier und kämpfte weitaus gewalttätiger, als die meisten Männer das normalerweise taten. Er schlug um sich, ballte die Fäuste und biß sogar in Johnnys Hände und Hals. Voller Verzweiflung klammerte Johnny sich an ihn, und sie fielen aufeinander.

Da es total dunkel war, wirkten die beiden ineinander verschlungenen Männer auf Barbara wie ein einziges Wesen, das um sich schlug. Sie fürchtete sich vor dem Ausgang des Kampfes. Sie hatte nicht die Möglichkeit zu erkennen, welcher der beiden im Vorteil war oder welcher gewinnen oder

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