Wir entschieden uns fur einen Donnerstagabend ungefahr in der Mitte eines Junis, der zu den schonsten gehorte, an die ich mich erinnern kann. An Sommerabenden trank Arlette gern einmal ein Glas Wein, jedoch selten mehr. Aus gutem Grund. Sie gehorte zu den Menschen, die nie zwei Glaser trinken konnen, ohne vier, dann sechs, dann die ganze Flasche zu leeren. Und eine zweite Flasche, wenn eine da ist. »Ich muss sehr vorsichtig sein, Wilf. Der schmeckt mir zu gut. Zum Gluck habe ich einen starken Willen.«
An jenem Abend sa?en wir auf der Veranda, beobachteten den letzten Lichtschimmer uber den Feldern und horchten auf das einschlafernde Zirpen der Grillen. Henry war in seinem Zimmer. Er hatte sein Abendessen kaum angeruhrt, und wahrend Arlette und ich in unseren Schaukelstuhlen sa?en, deren Kissen passenderweise mit MA und PA bestickt waren, glaubte ich, ein leises Gerausch zu horen, so als musste er sich ubergeben. Ich wei? noch, wie ich dachte, dass er im entscheidenden Moment wohl schlappmachen wurde. Seine Mutter wurde morgen fruh verkatert aufwachen, ohne zu ahnen, wie nahe sie daran gewesen war, nie wieder einen Sonnenaufgang in Nebraska zu erleben. Trotzdem machte ich wie geplant weiter. Weil ich einer dieser russischen Matroschka- Puppen glich? Vielleicht. Vielleicht ist jeder Mann so. In mir steckte der Hinterhaltige, aber in dem Hinterhaltigen steckte wiederum der Hoffnungsvolle. Dieser Bursche starb irgendwann zwischen 1922 und 1930. Der Hinterhaltige verschwand einfach, nachdem sein schandliches Werk getan war. Ohne seine ehrgeizigen, wiewohl unredlichen Plane kam mir das Leben nur noch hohl vor.
Ich hatte die Flasche auf die Veranda mitgenommen, aber als ich Arlette nachschenken wollte, bedeckte sie ihr Glas mit der Hand. »Du brauchst mich nicht betrunken zu machen, um zu kriegen, was du willst. Ich will es ja auch.
Mich juckt es hier unten.« Sie machte die Beine breit und legte eine Hand in den Schritt, um mir zu zeigen, wo es sie juckte. In ihr steckte eine ordinare Person - vielleicht sogar eine Hure -, die der Wein immer zum Vorschein brachte.
»Trink trotzdem noch ein Glas«, sagte ich. »Wir haben etwas zu feiern.«
Sie betrachtete mich misstrauisch. Schon von einem Glas Wein wurden ihre Augen feucht (als wurde sie irgendwie um all den Wein, den sie wollte, aber nicht kriegte, Tranen vergie?en), und im Widerschein des Sonnenuntergangs sahen sie so orangerot aus wie die Augen einer Kurbislaterne, in der eine brennende Kerze steht.
»Es wird keinen Prozess geben«, erklarte ich ihr, »und keine Scheidung. Wenn die Farrington Company es sich leisten kann, uns au?er den 40 Hektar deines Vaters meine 30 abzukaufen, ist unser Streit beendet.«
Zum ersten und einzigen Mal in unserer unruhigen Ehe stand ihr buchstablich der Mund offen. »Was sagst du da? Hab ich das richtig gehort? Versuch blo? nicht, mich zum Narren zu halten, Wilf!«
»Das tue ich nicht«, sagte der Hinterhaltige. Er sprach mit aufrichtigem Ernst. »Henry und ich haben lange daruber gesprochen …«
»Ihr habt wie Pech und Schwefel zusammengehalten, das ist wahr«, sagte sie. Sie hatte die Hand von ihrem Glas genommen, und ich nutzte die Gelegenheit, um ihr nachzuschenken. »Habt standig im Heuschober oder auf dem Holzsto? gehockt oder auf dem Feld die Kopfe zusammengesteckt. Ich dachte immer, es geht um die kleine Cotterie.« Ein Schnauben und ein Kopfhochwerfen. Aber ich glaubte, auch etwas Wehmut zu erkennen. Sie nahm einen kleinen Schluck von ihrem zweiten Glas Wein. Zwei weitere kleine Schlucke, dann wurde sie das Glas noch abstellen und ins Bett gehen konnen. Vier weitere, dann konnte ich ihr genauso
»Nein«, sagte ich. »Wir haben nicht uber Shannon geredet.« Allerdings hatte auch ich gesehen, wie Henry manchmal mit der kleinen Cotterie Handchen hielt, wenn sie die zwei Meilen zur Schule in Hemingford Home gingen. »Wir haben uber Omaha gesprochen. Er will dorthin, schatze ich.« Ich durfte nicht zu dick auftragen, nicht nach einem einzigen Glas Wein und zwei kleinen Schlucken aus einem weiteren. Sie war von Natur aus misstrauisch, meine gute Arlette, stets auf der Suche nach einem verborgenen Motiv. Und in diesem Fall hatte ich naturlich eines. »Wenigstens mal einen Versuch damit machen. Und Omaha ist nicht allzu weit von Hemingford entfernt …«
»Nein, das ist es nicht. Wie ich euch beiden schon tausendmal gesagt habe.« Sie trank noch einen kleinen Schluck, aber statt das Glas wie zuvor abzustellen, behielt sie es nun in der Hand. Der orangerote Lichtschein am Horizont wurde zu einem unwirklichen dunklen Purpurgrun, das in dem Weinglas zu brennen schien.
»Ware es St. Louis, ware die Sache anders.«
»Den Gedanken habe ich aufgegeben«, sagte sie. Was naturlich bedeutete, dass sie diese Moglichkeit erkundet, aber problematisch gefunden hatte. Naturlich hinter meinem Rucken. Alles hinter meinem Rucken bis auf die Sache mit dem Firmenanwalt. Aber auch zu dem ware sie heimlich gegangen, wenn sie ihn nicht als Druckmittel gegen mich hatte einsetzen wollen.
»Glaubst du, dass sie das ganze Stuck kaufen werden?«, fragte ich. »Alle 70 Hektar?«
»Woher soll ich das wissen?« Wieder ein kleiner Schluck. Das zweite Glas war halb leer. Hatte ich jetzt gesagt, sie habe genug, und versucht, ihr das Glas wegzunehmen, hatte sie es nicht mehr hergegeben.
»Du wei?t es bestimmt«, sagte ich. »Diese 70 Hektar sind wie St. Louis. Du hast dich
Sie sah mich mit schlauem Blick von der Seite an … dann brach sie in raues Gelachter aus. »Vielleicht hab ich’s getan.«
»Ich finde, wir konnten uns ein Haus am Stadtrand suchen«, sagte ich. »Damit wir wenigstens Ausblick auf ein paar Felder haben.«
»Wo du den ganzen Tag im Schaukelstuhl auf der Veranda sitzen und zur Abwechslung deine Frau die ganze Arbeit machen lassen kannst? Hier, schenk noch mal nach. Wenn wir feiern, dann richtig.«
Ich fullte beide Glaser. In meines kam nur ein Spritzer, weil ich bislang nur einen einzigen Schluck getrunken hatte.
»Ich konnte mir vielleicht Arbeit als Mechaniker suchen. Autos und Lastwagen und naturlich Landmaschinen. Wenn ich den alten Farmall-Traktor da in Schuss halten kann …« Ich deutete mit meinem Glas auf den dunklen Koloss neben der Scheune. »… kann ich vermutlich auch alles andere am Laufen halten.«
»Und Henry hat dich dazu uberredet.«
»Er hat mich davon uberzeugt, dass es besser ist, die Chance zu ergreifen, in der Stadt glucklich zu werden, als hier in sicherem Elend allein zu bleiben.«
»Der Junge beweist Vernunft, und der Mann hort auf ihn! Endlich! Halleluja!« Sie leerte ihr Glas und hielt es mir hin, um sich nachschenken zu lassen. Dabei umklammerte sie meinen Arm und lehnte sich so weit heruber, dass ich in ihrem Atem vergorene Trauben riechen konnte. »Vielleicht bekommst du heute Nacht diese Sache, die du so magst, Wilf.« Sie beruhrte die Mitte ihrer Oberlippe mit der purpurrot gefarbten Zungenspitze. »Diese
»Darauf freue ich mich schon«, sagte ich. Wenn es nach mir ginge, wurde in dieser Nacht in dem Bett, das wir uns seit 15 Jahren teilten, etwas noch Garstigeres passieren.
»Henry soll herkommen«, sagte sie. Inzwischen sprach sie mit schwerer Zunge. »Ich will ihm dazu gratulieren, dass ihm endlich ein Licht aufgegangen ist.« (Habe ich erwahnt, dass das Verb
»Trink erst noch ein Glas Wein«, sagte der Hinterhaltige.
Sie trank sogar zwei weitere, dann war die Flasche leer. (Die erste Flasche.) Inzwischen sang sie mit ihrer besten Minstrel-Stimme »Avalon« und gab ihr bestes Minstrel-Augenrollen. Es war schmerzlich anzusehen und noch schmerzlicher anzuhoren.
Ich ging in die Kuche, um eine weitere Flasche Wein zu holen, und hielt den Zeitpunkt fur gekommen, Henry zu rufen. Obwohl ich mir, wie schon gesagt, keine gro?en Hoffnungen machte. Ich konnte es nur tun, wenn er mein williger Komplize war, und war im Grunde meines Herzens davon uberzeugt, dass er vor der Tat zuruckschrecken wurde, wenn nicht mehr geredet, sondern gehandelt werden musste. In diesem Fall wurden wir sie einfach zu Bett bringen. Am Morgen wurde ich ihr sagen, dass ich das Land meines Vaters nun doch nicht verkaufen wolle.
Henry kam herbei, und nichts auf seinem blassen, kummervollen Gesicht machte mir Hoffnung auf Erfolg.