schon da, bevor seine Besitzerin gestorben war.

»Also gut, Papa. Wir wollen … wir wollen sie in den Himmel schicken.« Henrys Miene hellte sich bei diesem Gedanken auf. Wie grasslich mir das jetzt erscheint, vor allem wenn ich bedenke, wie er spater endete.

»Es geht schnell«, sagte ich. Als Junge und Mann hatte ich funfzehn Dutzend Schweinen die Kehle durchgeschnitten und dachte deshalb, es wurde schnell gehen. Aber ich irrte mich.

Ich will es kurz machen. In meinen schlaflosen Nachten - und davon gibt es viele - lauft alles immer wieder in qualender Langsamkeit vor mir ab, jedes Umsichschlagen und jedes Rocheln und jeder Tropfen Blut, deshalb will ich’s kurz machen.

Wir gingen ins Schlafzimmer, ich mit dem Fleischermesser in der Hand voraus, dann mein Sohn mit dem Rupfensack.

Bitte lass sie nicht stark bluten, dachte ich. Lass den Sack das Blut aufsaugen. Noch besser: Lass Henry jetzt, in letzter Minute, einen Ruckzieher machen.

Aber das tat er nicht. Vielleicht dachte er, ich wurde ihn dafur hassen; vielleicht hatte er sich damit abgefunden, sie in den Himmel befordern zu mussen; vielleicht dachte er an diesen obszonen Mittelfinger, der einen Kreis um ihren Schritt steppte. Ich wei? es nicht. Ich wei? nur, dass er »Leb wohl, Mama« flusterte und ihr den Rupfensack uber den Kopf warf.

Sie schnaubte und versuchte sich wegzudrehen. Ich hatte vorgehabt, unter den Sack zu greifen, um meine Arbeit zu tun, aber Henry musste sich daruberbeugen, um sie festzuhalten, so dass ich das nicht konnte. Ich sah, wie ihre Nase sich unter dem Rupfen wie die Ruckenflosse eines Hais abzeichnete. Ich sah auch die beginnende Panik auf seinem Gesicht und wusste, dass er nicht lange durchhalten wurde.

Ich stemmte ein Knie aufs Bett und legte eine Hand auf ihre Schulter. Dann zerschnitt ich den Sack und die Kehle darunter. Blut quoll durch den Schlitz in dem groben Rupfen. Ihre Hande kamen hoch und fuchtelten ins Leere. Henry torkelte mit einem hohen, dunnen Aufschrei vom Bett weg. Ich bemuhte mich, sie festzuhalten. Sie zerrte mit den Handen an dem Sack, aus dem weiter das Blut stromte,

Mit den ersten beiden Schnitten hatte ich ihr die Kehle aufgeschlitzt, beim ersten Mal tief genug, um den Knorpel der Luftrohre sichtbar werden zu lassen. Mit den letzten beiden hatte ich ihr Wange und Mund aufgeschnitten, Letzteren so tief, dass sie nun ein Clownsgrinsen trug. Es reichte von einem Ohr zum anderen und lie? die Zahne sehen. Sie stie? ein gutturales, gedampftes Brullen aus, wie es ein Lowe zur Futterungszeit horen lassen konnte. Das Blut spritzte aus ihrer Kehle bis zum Fu?ende der Tagesdecke. Ich wei? noch, wie ich dachte, dass es wie der Wein in dem Glas aussieht, das sie im letzten Tageslicht hochgehalten hatte.

Sie wollte vom Bett aufstehen. Ich war erst uberrascht, dann aufgebracht. Sie hatte mir wahrend unserer Ehe immer nur Arger gemacht und machte auch jetzt, bei unserer blutigen Scheidung, nichts als Arger. Aber was hatte ich anderes erwartet?

»O Papa, mach, dass sie aufhort!«, kreischte Henry. »Mach, dass sie aufhort, o Papa, mach um Himmels willen, dass sie aufhort!«

Ich sturzte mich wie ein feuriger Liebhaber auf sie und druckte sie in ihr blutgetranktes Kopfkissen zuruck. Tief aus ihrer zerfleischten Kehle kamen weitere dumpfe Knurrlaute. Ihre in den Hohlen rollenden Augen vergossen Strome von Tranen. Ich schlang ihr Haar um meine Hand, riss ihr den Kopf zuruck und durchschnitt ihr nochmals die Kehle.

Dann machte ich die Tagesdecke auf meiner Seite des Betts frei und wickelte sie ihr um den Kopf - jedoch zu spat, um den ersten aus ihrer Halsschlagader spritzenden Blutstrahl auffangen zu konnen. Dieser Strahl war mir ins Gesicht gegangen, so dass mir jetzt hei?es Blut von Kinn, Nase und Augenbrauen tropfte.

Hinter mir verstummten Henrys Schreie. Ich drehte mich um und sah, dass Gott Erbarmen mit ihm gehabt hatte (vorausgesetzt, dass Er sich nicht von uns abgewandt hatte, als Er sah, was wir vorhatten): Er war ohnmachtig geworden. Ihr Umsichschlagen wurde schwacher. Schlie?lich lag sie still da … aber ich blieb ausgestreckt auf ihr und druckte sie auf die Tagesdecke, die nun mit ihrem Blut getrankt war. Ich erinnerte mich daran, dass sie nie etwas bereitwillig getan hatte. Und ich behielt recht. Nach drei?ig Sekunden (die blecherne Uhr aus dem Versandhandel zahlte sie ab) baumte sie sich noch einmal auf und wolbte das Ruckgrat diesmal so kraftig, dass sie mich fast abwarf. Ride’em, Cowboy, dachte ich. Vielleicht sagte ich es auch laut. Daran kann ich mich nicht mehr erinnern, so wahr mir Gott helfe. An alles andere, aber nicht daran.

Sie sank erschopft zusammen. Ich zahlte weitere drei?ig blecherne Ticklaute, dann noch einmal drei?ig, um ganz sicherzugehen. Auf dem Fu?boden bewegte Henry sich und stohnte. Erst schien er sich aufsetzen zu wollen, uberlegte sich die Sache dann aber wohl anders. Er kroch in die entfernteste Ecke des Zimmers und rollte sich dort zu einer Kugel zusammen.

»Henry?«, sagte ich.

Nichts von der zusammengerollten Gestalt in der Ecke.

»Henry, sie ist tot. Sie ist tot, und ich brauche Hilfe.«

Wieder nichts.

»Henry, fur eine Umkehr ist es jetzt zu spat. Die Tat ist geschehen. Wenn du nicht ins Gefangnis willst - und dein

Er kam auf die Beine und torkelte in Richtung Bett. Die Haare waren ihm uber die Brauen in die Augen gefallen; hinter den von Schwei? verklebten Locken glitzerten seine Augen wie die eines im Gebusch lauernden Tieres. Er leckte sich immer wieder die Lippen.

»Tritt nicht in das Blut. Hier drinnen gibt’s viel mehr sauberzumachen, als ich wollte, aber das schaffen wir. Das hei?t, wenn wir’s nicht im ganzen Haus verteilen.«

»Muss ich sie mir ansehen? Papa, muss ich sie mir ansehen

»Nein. Das muss keiner von uns.«

Wir wickelten sie ein und machten dadurch die Tagesdecke zu ihrem Leichentuch. Als wir damit fertig waren, wurde mir klar, dass wir sie so nicht aus dem Haus tragen konnten: In meinen unausgegorenen Planen und Tagtraumen hatte ich nicht mehr als einen dezenten Blutfaden an der Stelle der Tagesdecke gesehen, unter der ihre durchtrennte Kehle (ihre glatt durchtrennte Kehle) war. Die Wirklichkeit hatte ich nicht vorausgesehen, nicht einmal in Erwagung gezogen: In dem dusteren Raum war die wei?e Tagesdecke schwarzlich purpurrot und leckte Blut, wie ein tropfnasser Schwamm Wasser abgibt.

Im Kleiderschrank lag ein Quilt. Ich musste unwillkurlich daran denken, was meine Mutter sagen wurde, wenn sie sahe, wofur ihr liebevoll besticktes Hochzeitsgeschenk zweckentfremdet wurde. Ich breitete ihn auf dem Boden aus. Wir legten Arlette darauf. Dann wickelten wir sie ein.

»Schnell«, sagte ich. »Bevor auch der zu tropfen anfangt. Nein … warte … hol eine Lampe.«

Er blieb so lange fort, dass ich schon befurchtete, er ware weggelaufen. Dann sah ich einen Lichtschein den kurzen Flur entlanghuschen, der an Henrys Zimmer vorbei in das hatten. Ich konnte die Tranen sehen, die ihm uber das wachsbleiche Gesicht liefen.

»Stell sie auf die Kommode.«

Er stellte die Lampe neben das Buch, das ich gerade las: Hauptstra?e von Sinclair Lewis. Ich habe es nie zu Ende gelesen; ich konnte es nicht ertragen, das zu tun. Im Lampenlicht zeigte ich ihm die Blutflecken auf dem Boden und die gro?e Lache unmittelbar neben dem Bett.

»Aus dem Quilt tropft auch welches«, sagte er. »Hatte ich gewusst, wie viel Blut sie in sich hat …«

Ich zog meinen Kopfkissenbezug ab und streifte ihn uber das untere Ende des Quilts wie einen Strumpf uber ein blutendes Schienbein. »Nimm ihre Fu?e«, sagte ich. »Was jetzt kommt, mussen wir gleich erledigen. Und werd nicht wieder ohnmachtig, Henry, allein schaff ich’s namlich nicht.«

»Ich wollte, das alles ware nur ein Traum«, sagte er, aber er buckte sich und umschlang das Ende des Quilts mit den Armen. »Glaubst du, es konnte ein Traum sein, Papa?«

»Heute in einem Jahr, wenn alles hinter uns liegt, werden wir’s fur einen halten.« Irgendwie glaubte ich das sogar. »Schnell jetzt. Bevor der Kissenbezug zu tropfen anfangt. Oder der restliche Quilt.«

Wie Mobelpacker, die ein in einen Teppich gewickeltes Mobelstuck schleppten, trugen wir sie den Flur entlang, durchs Wohnzimmer und dann zur Haustur hinaus. Ich atmete auf, sobald wir die Verandatreppe hinunter waren; Blutspuren auf dem Hof lie?en sich leichter beseitigen.

Henry hielt sich gut, bis wir um die Ecke des Kuhstalls bogen und der alte Brunnen in Sicht kam. Er war von eingerammten Zaunlatten umgeben, damit niemand versehentlich auf den Holzdeckel trat, mit dem er verschlossen war. Im Sternenschein wirkten diese Stecken trostlos grausig,

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