Ich habe gro?e Angst vor dir.

»Recht durftige Beweise«, sagte sie. »Falls Sie versucht haben sollten, jemandem etwas nachzuweisen.«

»Gar keine!« Er lachte frohlich, aber die haselnussbraunen Augen blieben kalt. »Hatte ich welche gehabt, hatten Mr. Anderson und ich unser kleines Gesprach nicht in seinem Buro gefuhrt, Darcy. Wir hatten es in meinem Buro gefuhrt. Das niemand verlasst, bevor ich sage, dass er gehen kann. Oder naturlich, bevor sein Anwalt ihn freibekommt.«

»Vielleicht wird’s Zeit, dass Sie aufhoren, um den hei?en Brei herumzuschleichen, Holt.«

»Also gut«, stimmte er zu. »Warum nicht? Weil mir inzwischen schon jeder normale Schritt verdammt wehtut. Der Teufel soll diesen alten Dwight Cheminoux holen! Und ich will Sie nicht den ganzen Vormittag belastigen, also machen wir’s kurz. Ich konnte nachweisen, dass ein Toyota 4Runner am Tatort - oder in der Nahe des Tatorts - zweier Morde aus Beadies erster Serie war. Nicht derselbe Wagen, ein andersfarbiger. Aber ich konnte auch nachweisen, dass Ihrem Mann in den Siebzigerjahren ein weiterer 4Runner gehort hat.«

»Das stimmt. Der Wagen hat ihm gefallen, also hat er ihn fur ein neueres Modell in Zahlung gegeben.«

»Genau, das tun Manner manchmal. Und der 4Runner ist in Gegenden beliebt, in denen fast ein verdammtes halbes Jahr lang Schnee liegt. Aber nach dem Mord an Stacey Moore - und nach unserem Gesprach - hat er ihn gegen einen Suburban eingetauscht.«

»Nicht sofort«, sagte Darcy lachelnd. »Den 4Runner hatte er bis lange nach der Jahrtausendwende.«

»Ich wei?. Er hat ihn 2004 in Zahlung gegeben, nicht lange bevor Andrea Honeycutt drunten bei Nashua ermordet wurde. Ein graublauer Suburban, Baujahr 2002. Ein genau dieser Farbgebung ist in den Wochen vor Mrs. Honeycutts Ermordung verhaltnisma?ig oft in ihrem Wohnviertel gesehen worden. Aber nun kommt etwas Merkwurdiges.« Er beugte sich vor. »Ich habe einen Zeugen gefunden, der ausgesagt hat, der Suburban sei in Vermont zugelassen gewesen, und eine andere Zeugin - eine kleine alte Dame von der Art, die aus Mangel an besserer Beschaftigung den ganzen lieben Tag lang am Wohnzimmerfenster sitzt und die Ereignisse in der Nachbarschaft beobachtet - hat gesagt, der eine, den sie gesehen habe, habe New Yorker Kennzeichen gehabt.«

»Bob hatte Kennzeichen aus Maine«, sagte Darcy. »Wie Sie recht gut wissen.«

»Naturlich, naturlich, aber Kennzeichen kann man stehlen, wissen Sie.«

»Was ist mit den Shaverstone-Morden, Holt? Ist in Helen Shaverstones Wohnviertel ein graublauer Suburban gesehen worden?«

»Wie ich sehe, haben Sie den Fall Beadie etwas genauer verfolgt als die meisten Leute. Auch etwas genauer, als Sie anfangs haben erkennen lassen.«

»Ist einer gesehen worden?«

»Nein«, sagte Ramsey. »Das nicht. Aber ein graublauer Suburban ist bei Amesbury in der Nahe des Baches, in den die Leichen geworfen wurden, gesehen worden.« Er lachelte wieder, wahrend seine kalten Augen sie musterten. »Wie Mull abgeladen.«

Sie seufzte. »Ich wei?.«

»An die Kennzeichen des Suburban bei Amesbury konnte sich niemand erinnern, aber hatte jemand darauf geachtet, waren sie wohl aus Massachusetts gewesen. Oder aus Pennsylvania. Oder sonst woher, nur nicht aus Maine.«

Er beugte sich wieder vor.

»Beadie hat Mitteilungen beigelegt, wenn er uns die Ausweise seiner Opfer geschickt hat. Hat uns verspottet, wissen Sie - hat uns herausgefordert, ihn zu erwischen. Vielleicht wollte er irgendwie sogar geschnappt werden.«

»Vielleicht«, sagte Darcy, obwohl sie das in Wirklichkeit nicht glaubte.

»Seine Mitteilungen waren in Druckbuchstaben geschrieben. Leute, die das tun, glauben, Druckschrift lasse sich nicht identifizieren, aber meistens ist das doch moglich. Die Ahnlichkeiten treten hervor. Sie haben wahrscheinlich keine Akten Ihres Mannes mehr im Haus?«

»Die nicht an seine Firma zuruckgegangen sind, habe ich entsorgt. Aber ich vermute, dass es dort reichlich Schriftproben gibt. Wirtschaftsprufer werfen nie etwas weg.«

Er seufzte. »Genau, aber solche Firmen rucken ohne richterliche Anordnung nichts heraus, und um die zu bekommen, musste ich meinen Verdacht begrunden konnen. Was ich einfach nicht kann. Ich habe eine Menge Zufalle - die meiner Uberzeugung nach allerdings keine Zufalle sind. Und ich habe eine Anzahl von … nun, Annaherungen, so konnte man sie nennen, aber nicht entfernt so viele, dass sie als Indizienbeweise gelten konnten. Deshalb bin ich zu Ihnen gekommen, Darcy. Ich dachte erst, Sie wurden mich sofort rausschmei?en, aber Sie waren sehr freundlich.«

Sie sagte nichts.

Er beugte sich noch weiter vor und kauerte jetzt fast uber dem Tisch. Wie ein Raubvogel. Aber in der Eiseskalte seiner Augen war noch etwas anderes sichtbar. Sie glaubte, es konnte Gute sein. Sie betete darum, dass es Gute war.

»Darcy, war Ihr Mann Beadie?«

Sie war sich daruber im Klaren, dass er ihr Gesprach moglicherweise aufzeichnete; das war immerhin denkbar.

»Sie haben sehr lange nichts geahnt, nicht wahr?«

Sie sagte nichts. Sah ihn nur an. Sah in ihn hinein, wie man es manchmal bei Leuten tat, die man gut kannte. Nur musste man dabei vorsichtig sein, weil man nicht immer das sah, was man zu sehen glaubte. Das wusste sie inzwischen.

»Und dann haben Sie’s gewusst? Eines Tages haben Sie’s gewusst?«

»Mochten Sie noch eine Tasse Kaffee, Holt?«

»Eine halbe«, sagte er. Dann lehnte er sich zuruck und verschrankte die Arme vor der schmalen Brust. »Von mehr bekame ich Sodbrennen, und ich habe vergessen, heute Morgen mein Zantac einzunehmen.«

»Ich glaube, dass ich oben im Medizinschrankchen ein paar Prilosec habe«, sagte sie. »Die haben Bob gehort. Soll ich sie holen?«

»Ich wurde nichts von ihm einnehmen, auch wenn ich innerlich in Flammen stunde.«

»Wie Sie wollen«, sagte sie mild und schenkte ihm etwas Kaffee nach.

»Entschuldigung«, sagte er. »Aber manchmal gehen meine Gefuhle mit mir durch. Diese Frauen … all diese Frauen … und der Junge, der sein ganzes Leben noch vor sich hatte. Das war das Schlimmste.«

»Ja«, sagte sie und gab ihm die Tasse. Sie sah, wie seine Hand zitterte, und vermutete, dass dies sein letztes Rodeo war, ganz gleich, wie clever er war - und er war erschreckend clever.

»Eine Frau, die erst sehr spat im Spiel rausbekommt, was ihr Mann ist, befande sich in einer schwierigen Lage«, sagte Ramsey.

»Ja, das kann ich mir vorstellen«, sagte Darcy.

»Wer wurde ihr glauben, wenn sie behauptet, sie habe all diese Jahre mit einem Mann zusammengelebt und nie geahnt, was er war? Nun, dann ware sie ein Wie-hei?t-er-gleichwieder, dieser Vogel, der im Maul eines Krokodils lebt?«

»Angeblich«, sagte Darcy, »lasst das Krokodil den Vogel leben, weil der ihm die Zahne saubert. Pickt die Korner in den Zwischenraumen heraus.« Mit den Fingern der rechten Hand machte sie Pickbewegungen. »Das stimmt vermutlich nicht … wahr dagegen ist, dass ich Bobby haufig zum Zahnarzt gefahren habe. Hatte ich’s nicht getan, hatte er seine Termine oft absichtlich ›vergessen‹. In Bezug auf Schmerzen war er schrecklich wehleidig.« Ihre Augen fullten sich unerwartet mit Tranen. Sie verwunschte sich und wischte sie mit den Handballen weg. Dieser Mann wurde keine um Robert Anderson vergossenen Tranen respektieren.

Vielleicht tauschte sie sich da aber auch. Ramsey nickte ihr lachelnd zu. »Und ihre Kinder. Die wurden unter die Rader geraten, wenn die Welt erfuhre, dass ihr Vater reihenweise Frauen gefoltert und ermordet hat. Und dann zum zweiten Mal, wenn die Welt glauben musste, ihre Mutter habe ihn viele Jahre lang gedeckt. Ihm vielleicht sogar geholfen, wie Myra Hindley diesem Ian Brady geholfen hat. Wissen Sie, wer die beiden waren?«

»Nein.«

»Schon, lassen wir das. Aber stellen Sie sich folgende Frage: Was wurde eine Frau in einer solch

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