war. Dann sah sie plötzlich auf der andern Seite des Foyers einen Jüngling, den sie kannte. Einen in dem üblichen dunkelgrauen Flanellanzug mit karierter Weste. Typisch Ivy League. Überwältigend. Er stand an der Wand, rauchte sich fast zu Tode und sah höchst gelangweilt aus. Sally sagte fortwährend: «Den kenne ich von irgendwoher.» Überall, wo man mit ihr hinging, kannte sie irgend jemand oder bildete es sich wenigstens ein. Sie wiederholte es so oft, bis ich genug davon hatte und sagte: «Dann geh doch zu ihm, wenn du ihn kennst, und gib ihm einen Kuß. Das wird ihn freuen.» Daraufhin war sie beleidigt.

Schließlich entdeckte dieser Mensch sie aber und kam zu uns herüber. Die Begrüßung war sehenswert. Als ob sie sich seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hätten. Als ob sie als Kinder in der gleichen Badewanne gesessen hätten oder was weiß ich. Alles verlogen. Es konnte einem schlecht werden. Vermutlich waren sie einander erst ein einziges Mal in irgendeiner Affengesellschaft begegnet. Als sie endlich ganz erschöpft waren, stellte Sally mich vor. Er hieß George Soundso - ich erinnere mich nicht mehr - und war in Andover. Ungeheure Ehre. Am schönsten war, als Sally ihn fragte, wie ihm das Stück gefiele. Er gehörte zu den affektierten Eseln, die sich zuerst Raum schaffen müssen, bevor sie eine Frage beantworten können. Er trat also einen Schritt zurück und trat dabei der hinter ihm stehenden Dame auf den Fuß. Wahrscheinlich zertrümmerte er ihr sämtliche Zehen. Er sagte, das Stück sei an sich kein Meisterwerk, aber die Lunts spielten natürlich absolut göttlich. Göttlich! Herr im Himmel. Göttlich! Das war mir zuviel.

Dann schwätzten er und Sally über alle möglichen gemeinsamen Bekannten. Es war die affektierteste Unterhaltung, die man sich vorstellen kann. Beide dachten immer so rasch sie nur konnten an alle Orte, die ihnen einfielen, und nannten dann den Namen von irgend jemand, der dort wohnte. Ich war gerade bereit zu kotzen, als wir endlich an unsere Plätze zurück mußten. Und nach dem zweiten Akt setzten sie wirklich dieses sterbenslangweilige Gespräch fort. Es fielen ihnen noch weitere Namen und Orte ein. Am schlimmsten war aber wohl seine Stimme - eine gekünstelte Ivy-League-Stimme, fürchterlich müde und blasiert. Dieser Hund fand es ganz in Ordnung, mit seiner Mädchenstimme auf meine Begleiterin einzureden. Nach dem Theater dachte ich zuerst, er werde sich sogar mit uns ins Taxi setzen, weil er zwei Häuserblocks mitging, aber dann sagte er, er müsse ein paar Leute zum Cocktail treffen. Ich sah deutlich vor mir, wie sie alle mit ihren verdammten karierten Westen in einer Bar hockten und mit ihren müden, blasierten Stimmen Theaterstücke und Bücher und Frauen kritisierten. Diese Burschen machen mich krank.

Als wir ins Taxi stiegen, hatte ich schon beinah einen Haß auf die gute Sally, nachdem ich zehn Stunden lang diesem Andover Affen hatte zuhören müssen. Ich war im Begriff, sie einfach nach Hause zu bringen - allen Ernstes -, aber sie sagte: «Ich hab eine wunderbare Idee!» Wunderbare Ideen hatte sie immer. «Wann mußt du zum Essen zu Hause sein?» fragte sie. «Ich meine, bist du furchtbar eilig oder so? Mußt du zu einer bestimmten Zeit zu Hause sein?»

«Ich? Nein. Zu keiner bestimmten Zeit.» Ein wahreres Wort wurde noch nie ausgesprochen, weiß der Himmel. «Warum?»

«Dann wollen wir auf dem Eisplatz von Radio City Schlittschuh laufen.»

Diese Sorte Ideen war charakteristisch für sie.

«Schlittschuh laufen? Dort? Jetzt sofort meinst du?»

«Nur für eine Stunde oder so. Willst du nicht? Wenn du keine Lust hast-»

«Ich habe nicht gesagt, daß ich keine Lust habe. Wenn du das willst, dann gehen wir natürlich.»

«Im Ernst? Du brauchst es nicht zu sagen, wenn du nicht wirklich Lust hast. Ich meine, es ist mir ganz gleichgültig, ob wir gehen oder nicht.»

Gleichgültig war es ihr allerdings.

«Man kann dort so süße Schlittschuhröckchen mieten», sagte sie. «Jeanette Cultz hat das letzte Woche auch gemacht.» Aus diesem Grund lag ihr so viel daran. Sie wollte sich in so einem kurzen Röckchen sehen, was gerade so über den Hintern reicht.

Wir fuhren also hin, und nachdem wir Schlittschuhe bekommen hatten, mietete Sally ein winziges blaues Röckchen. Es stand ihr aber verdammt gut, das muß ich zugeben. Und es soll nur niemand meinen, sie hätte das nicht gewußt. Sie ging immer vor mir her, damit ich sehen konnte, wie entzückend ihr kleines Hinterteil aussah. Es war auch entzückend, das kann man nicht leugnen.

Komischerweise liefen wir von allen Leuten auf dem ganzen elenden Eisplatz am schlechtesten Schlittschuh. Tatsächlich am schlechtesten. Dabei konnten viele andere auch nichts. Sallys Knöchel knickten dermaßen um, daß sie praktisch das Eis berührten. Es sah nicht nur lächerlich aus, sondern es tat ihr wohl auch höllisch weh. Meine taten mir jedenfalls weh. Sie brachten mich fast um. Wir müssen einen herrlichen Anblick geboten haben. Und das schlimmste war, daß mehrere hundert Gaffer herumstanden, die nichts Besseres zu tun hatten, als zuzuschauen, wie die andern über ihre eigenen Beine fielen.

«Sollen wir drinnen einen Tisch suchen und etwas trinken?» fragte ich schließlich.

«Das ist die wunderbarste Idee von allen deinen Vorschlägen heute», sagte sie. Sie gab schon fast den Geist auf. Entsetzlich. Sie tat mir wirklich leid.

Wir zogen also die verdammten Schlittschuhe aus und gingen in die Bar, wo man ohne Schuhe sitzen und die Eisläufer betrachten kann. Sobald wir einen Tisch hatten, streifte Sally die Handschuhe ab, und ich gab ihr eine Zigarette. Sie schien nicht besonders glücklich zu sein. Als der Kellner kam, bestellte ich eine Coca für sie - sie trank keinen Alkohol - und einen Whisky mit Soda für mich; dieser Hund wollte mir aber keinen bringen, so daß ich ebenfalls eine Coca nehmen mußte. Dann fing ich an, Streichhölzer anzuzünden. Das tue ich oft, wenn ich dazu aufgelegt bin. Ich lasse sie brennen, bis ich sie nicht mehr halten kann, und werfe sie dann in den Aschenbecher. Eine nervöse Gewohnheit.

Plötzlich sagte Sally aus heiterem Himmel: «Du, ich muß wissen, ob du zu mir kommen willst, um mit mir den Baum zu schmücken? Ich muß das jetzt wissen.» Sie war immer noch gereizt, weil ihr die Knöchel vom Schlittschuhlaufen weh taten.

«Ich hab dir ja schon geschrieben, daß ich käme. Du hast mich mindestens schon zwanzigmal gefragt. Natürlich komme ich.»

«Ich meine nur, daß ich es jetzt wissen muß», sagte sie. Ihre Augen schweiften in der verdammten Bar herum.

Ich hörte plötzlich mit den Streichhölzern auf und beugte mich näher zur ihr über den Tisch. Ich hatte ein paar wichtige Themen vor. «Du, Sally», sagte ich.

«Was?» fragte sie. Dabei schaute sie zu einem Mädchen hinüber, das an einem andern Tisch saß.

«Hast du schon einmal alles satt gehabt?» fragte ich. «Ich meine, hast du schon einmal Angst gehabt, daß alles schlimmer wird, wenn du nicht etwas unternimmst? Hast du die Schule gern, meine ich?»

«Nein, sie langweilt mich gräßlich.»

«Aber ist sie dir wirklich verhaßt? Ich weiß natürlich, daß sie gräßlich langweilig ist, aber ich möchte wissen, ob sie dir richtig verhaßt ist.»

«Ach, eigentlich nicht verhaßt. Man muß schließlich doch immer-»

«Schön, aber mir ist sie wirklich verhaßt. Herr im Himmel, mir ist sie verhaßt», sagte ich. «Aber nicht nur die Schule. Einfach alles. New York und das alles hasse ich auch - die Taxis und die Autobusse, wo der Fahrer einen immer anbrüllt, daß man hinten aussteigen soll. Und

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