was vor. Er sagte immer wieder zu ihr, sie habe aristokratische Hände. Das warf mich um. Am andern Ende der Bar saßen lauter höchst zweifelhafte Knaben. Sie sahen eigentlich nicht äußerlich zweifelhaft aus - ich meine, sie hatten weder übertrieben lange Haare noch sonst etwas -, aber man wußte doch gleich Bescheid. Endlich tauchte Luce auf.

Dieser Luce. Das war einer! In Whooton hatte er das Amt gehabt, meine Schularbeiten zu beaufsichtigen, aber er pflegte immer nur über sexuelles Zeug zu dozieren, wenn spät abends eine Gruppe in seinem Zimmer versammelt war. Damit kannte er sich recht gut aus, besonders in bezug auf Perverse und so. Er erzählte uns immer viel von diesen krankhaften Burschen, die es mit Schafen machen oder sich Mädchenschlüpfer als Futter in den Hut nähen. Über Schwule und Lesbierinnen.

Er war über jeden Schwulen und jede Lesbierin in den Vereinigten Staaten informiert. Man brauchte nur irgendeinen beliebigen Namen zu erwähnen, dann teilte der gute Luce mit, ob der Betreffende pervers oder normal war. Oft traute ich meinen Ohren kaum, wenn er von Filmschauspielern und solchen Leuten redete. Lieber Gott, manche, die er als pervers bezeichnete, waren sogar verheiratet.

Ich sagte immer wieder: «Meinst du das wirklich von Joe Blow? Joe Blow? Dieser große, wilde Kerl, der immer Gangster und Cowboys spielt?» Und Luce antwortete: «Ganz gewiß.» Er sagte immer «ganz gewiß». Er behauptete, es spiele keine Rolle, ob einer verheiratet oder unverheiratet sei. Die Hälfte aller verheirateten Männer sei pervers, nur wüßten sie es manchmal nicht. Er sagte, man könne von einem Tag auf den andern pervers werden, und jagte uns damit den größten Schrecken ein. Ich wartete immer auf diese Verwandlung zum Schwulen bei mir. Komischerweise war aber wohl gerade Luce selbst ein bißchen schwul. Immer wenn man den Korridor entlangkam, sagte er: «Probiern Sie das doch mal an, wegen der Größe», und dann kitzelte er einen wie verrückt.

Wenn er zum Beispiel auf die Toilette ging, ließ er immer die verdammte Tür offenstehen und
schwätzte,
während man sich die Zähne putzte oder sich wusch. So etwas gehört sicher schon in diese Richtung. Ich habe in den Schulen eine ganze Reihe von dieser Art kennengelernt, und alle machten mit Vorliebe solches Zeug. Deshalb hatte ich immer meine Zweifel über den guten Luce selber. Er war übrigens recht intelligent, das muß man sagen. Er sagte nie guten Tag. Als er sich zu mir setzte, sagte er statt einer Begrüßung, er könne nur ein paar Minuten bleiben. Er sei verabredet.

Dann bestellte er einen Martini.

«Du, ich habe einen Perversen für dich», sagte ich. «Drüben an der Bar. Schau aber jetzt nicht hin. Ich habe ihn für dich reserviert.»

«Sehr witzig», sagte er. «Typisch Caulfield. Wann wirst du wohl erwachsen?»

Ich langweilte ihn offenbar sehr. Aber er amüsierte mich. Er gehört zu den Leuten, die mich immer sehr amüsieren.

«Was macht dein Liebesleben?» fragte ich. Er konnte es nicht ertragen, wenn man solche Fragen an ihn stellte.

«Entspanne dich», sagte er. «Mach's dir gemütlich und entspann dich, um Himmels willen.»

«Ich bin schon entspannt», sagte ich. «Wie ist es in Columbia? Gefällt es dir?»

«Ganz gewiß. Sonst wäre ich nicht auf diese Universität gegangen.» Er konnte auch oft reichlich langweilig sein.

«Was studierst du?» fragte ich. «Perverse?» Ich machte nur Unsinn.

«Versuchst du vielleicht geistreich zu sein?»

«Nein, ich mache nur Spaß», sagte ich. «Aber jetzt im Ernst, Luce. Du bist ein Intellektueller. Ich brauche deinen Rat. Ich bin in einer fürchterlichen -»

Er stöhnte laut. «Hör mal, Caulfield. Wenn du hier sitzen und friedlich trinken willst und zu einer ruhigen, friedlichen Unterhaltung bereit bist -»

«Schon gut, schon gut», sagte ich, «reg dich nicht auf.»

Offensichtlich war er nicht in der Stimmung, über irgend etwas Ernsthaftes mit mir zu sprechen. Das ist mit diesen Intellektuellen immer so. Sie wollen nur dann über etwas Ernsthaftes reden, wenn sie selbst dazu aufgelegt sind. Ich begnügte mich also mit allgemeinen Themen. «Sag mir im Ernst, was macht dein Liebesleben?» fragte ich.

«Hast du immer noch die gleiche wie damals in Whooton? Die mit den tollen -»

«Großer Gott, nein», sagte er.

«Warum nicht? Was ist aus ihr geworden?»

«Keine Ahnung. Aber vermutlich, wenn du schon fragst, ist sie die Oberhure von New Hampshire geworden.»

«Das ist aber nicht nett. Wenn sie so anständig war und die ganze Zeit für dich hergehalten hat, dann solltest du wenigstens nicht in der Art über sie reden.»

«O Gott!» sagte Luce. «Soll das ein typisches Caulfield-Gespräch werden? Ich will's lieber gleich wissen.»

«Nein», sagte ich, «aber jedenfalls ist das nicht nett. Wenn sie so anständig und freundlich war und dich -»

«Müssen wir unbedingt diese schrecklichen Gedankengänge weiterverfolgen?»

Ich schwieg. Ich fürchtete, daß er aufstehen und mich sitzenlassen könnte, wenn ich noch etwas davon sagte. Ich bestellte also nur einen dritten Whisky. Ich hatte Lust, mich gründlich zu betrinken.

«Welche hast du jetzt?» fragte ich. «Willst du mir das verraten?»

«Keine, die du kennst.» «Aber wie heißt sie. Vielleicht kenne ich sie doch.»

«Eine von Greenwich Village. Bildhauerin. Wenn du das wissen mußt.»

«Wirklich? Im Ernst? Wie alt ist sie?»

«Das hab ich sie nie gefragt, um Himmels willen.»

«Aber wie alt ungefähr?»

«Wohl Ende Dreißig denke ich», sagte Luce.

«Ende Dreißig? Wirklich? Hast du das gern?» fragte ich. «Hast du es gern, wenn die Frauen so alt sind?» Ich fragte ihn deshalb, weil er wirklich etwas von diesem Gebiet verstand. Er gehörte in meinem Bekanntenkreis zu den wenigen, von denen ich das wußte. Er hatte schon mit vierzehn Jahren seine Unschuld verloren. Tatsächlich.

«Ich schätze reife Frauen sehr, falls du das damit meinst. Ganz gewiß.»

«So? Warum? Im Ernst, eignen sie sich besser dafür?»

«Hör mal, wir wollen einen Punkt klarstellen. Ich lehne es ab, heute abend irgendwelche typischen Caulfield-Fragen zu beantworten. Wann zum Teufel wirst du wohl erwachsen?»

Ich schwieg wieder. Ich gab es eine Weile auf. Dann bestellte Luce einen zweiten Martini.

«Seit wann hast du denn diese Bildhauerin?» fragte ich. Es interessierte mich wirklich. «Hast du sie schon gekannt, als du noch in Whooton warst?»

«Das nicht. Sie kam erst vor ein paar Monaten nach Amerika.»

«Wirklich? Wo kommt sie her?»

«Von Shanghai.»

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