daß die Menschen erwachen aus dem Tode. Oh, und es wäre auch so schrecklich nicht», sprach sie, die Rosen zusammenfügend, «endlich ausruhn! Ganz ausruhn! In süßer, stiller, traumloser Nacht. Ausruhn vom Leben! Denn gibt es Leben ohne Schmerz? Ohne Sehnen? Ohne leisen, niegestillten Wunsch? Ich kann's nicht denken.»
Und sie hielt inne im Flechten ihres Kranzes und stützte das Haupt auf das Handgelenk. Die Tauben flogen weg: denn die Herrin achtete ihrer nicht.
«Den Seinen hat der Herr», sprach Arria feierlich, «die selige Stätte bereit: sie werden nicht mehr hungern noch dürsten. Es wird auch nicht auf sie fallen die Sonne, oder irgendeine Hitze. Denn Gott der Herr wird sie leiten zu dem lebendigen Wasserbrunnen und abwischen alle Tränen von ihren Augen.»
«Alle Tränen von ihren Augen», sprach Miriam nach. «Rede
weiter. Es klingt so gut.»
«Dort werden sie leben, wunschlos, den Engeln gleich, und sie werden Gott schauen, und sein Friede wird Palmenschatten über sie breiten, sie werden vergessen Haß und Liebe und Schmerz und alles, was ihre Herzen bewegt auf Erden. Und ich habe viel gebetet, Miriam, für dich; und auch deiner wird sich der Herr erbarmen und dich versammeln zu den Seinen.»
Aber Miriam schüttelte leise das Haupt. «Nein. Arria, da ist fast besserer Trost der ewige Schlaf. Denn wie kann deine Seele lassen von dem, was deiner Seele Leben ist? Wie kannst du abtun dein tiefstes Sein und doch dieselbe bleiben? Wie soll ich selig sein und vergessen, was ich liebe? Ach, nur das, daß wir lieben, ist ja des Lebens wert. Und hätt' ich zu wählen: hier alle Seligkeit des Himmels und sollte abtun meines Herzens einzig Gut, oder behalten meines Herzens Liebe mit all ihrer ewigen Sehnsucht - ich neidete den Seligen ihren Himmel nicht. Ich wählte meine Liebe und mein Weh.»
«Kind, sprich nicht so! Lästre nicht. Sieh, was geht über Mutterliebe? Nichts auf Erden! Doch wird auch die im Himmel nicht mehr leben! Die Liebe, die das Mädchen zieht zum Mann, sie ist ein Traum von Gold. Mutterliebe ist ein ehern Band, das ewig schmerzend bindet. O mein Jucundus, mein Jucundus! Möchtest du bald wiederkommen, daß ich dich noch schauen kann hienieden, eh meine Augen volle Nacht bedeckt. Denn droben im Himmelreich wird auch die Mutterliebe untergehen in der ewigen Liebe Gottes und der Heiligen. Und doch möcht ich ihn noch einmal fassen und umfangen und mit den Händen betasten sein geliebtes Haupt. Und höre nur, Miriam: ich hoffe und vertraue, bald, bald werd' ich ihn wiedersehen.»
«Du darfst mir nicht sterben, Arria.» - «Nein, so mein' ich's nicht! Hier auf Erden noch muß ich ihn wiedersehen. Ich muß ihn wiederkommen sehen des Weges, den er gegangen.»
«Mutter», sagte Miriam sanft, wie man einem Kinde einen
Wahn ausredet, «wie magst du noch immer daran glauben! Dein Jucundus ist seit dreißig Jahren verschwunden!»
«Und doch kann er wiederkommen! Es ist nicht möglich, daß der Herr all meiner Träume nicht achtet, all meiner Gebete. Was war er für ein braver Sohn! Mit seiner Hände Arbeit ernährte er mich, bis er erkrankte und Axt und Schaufel nicht mehr führen konnte, und wir litten Not. Da sprach er: <Mutter, ich kann's nicht mehr ansehen, daß du darbest. Du weißt, in den Gängen des alten Tempels, dort unter dem Olivenstamm, sind Schätze der Heidenpriester vergraben: der Vater drang einmal hinein und brachte eine goldene Spange zurück. Ich will hineinschlüpfen, so tief ich kann, ob ich von dem verborgnen Gold nichts finde, und Gott wird mich beschützen.) - Und ich sagte Amen. Denn die Not war schwer: und ich wußte wohl, der Herr werde den frommen Sohn der Witwe behüten.
Und wir beteten miteinander eine Stunde, hier vor dem Kreuz. Und dann erhob sich mein Jucundus und drang in die Höhlung dort unter den Wurzeln der Olive. Ich horchte dem Schall seiner Bewegungen, bis er verhallte.
Er ist noch immer nicht zurückgekommen.
Aber tot ist er nicht! O nein! Kein Tag vergeht, daß ich nicht denke: heut' führt ihn Gott zurück. War nicht auch Joseph fern lange Jahre im Ägyptenland? Und doch haben Jakobs Augen ihn wiedergesehen. Und mir ist, heut' oder morgen sehe ich ihn wieder. Denn heut nacht im Traum hab' ich ihn gesehen, wie er im weißen Gewand heraufschwebte aus der Höhlung dort: und beide Arme breitete er aus, und ich rief ihn beim Namen, und wir waren vereint auf ewig. Und so wird's werden: denn der Herr erhöret das Flehen der Betrübten, und wer ihm traut, wird nicht zuschanden werden.»
Und die Alte erhob sich, drückte Miriams Hand und ging in ihr kleines Häuschen.
Allmählich war der Mond voll aufgegangen und erhellte zauberisch das enge Gärtchen, in das des Turmes schwere Schatten fielen: und stark dufteten die Rosen. Miriam stand auf und blickte an dem Kreuz empor. «Welch mächtiger Glaube! Welch lebendiger Trost! Welch milde Lehre! Ist es so? Ist der Mann, der dort am Kreuz in Todesweh das Haupt gebeugt, ist es der Messias? Ist er aufgefahren gen Himmel und sorget für die Seinen, wie ein Hirt, der seine Lämmer weidet? - - Ich aber zähle nicht zu seiner Herde! An jenem Trost hat Miriam keinen Teil. Mein Trost ist meine Liebe mit all ihrem Weh: sie ist meine Seele selbst geworden. Und ich sollte einst dort oben über den Sternen hinschweben, ohne diese Liebe? Dann wär' ich nicht Miriam mehr! Oder soll ich sie mit hinauftragen, und wieder zurückstehen? Und wieder durch alle Ewigkeit die Römerin an seiner Seite sehen? Sollen sie dort wohnen und wandeln in der Fülle des Glanzes und ich im trüben Nebel einsam folgen und nur von ferne leuchten sehen den Saum seines weißen Gewandes? Nein, o nein, viel besser, wie meine Blumen hier, erblühen am Sonnenblick der Liebe, duften und glühen eine kurze Weile, bis sie die Sonne versengt, die sie geweckt und geopfert hat, und verwehen in ewige Ruhe, nachdem der weiche, süße, unselige Drang nach dem Lichte gebüßt... » -
«Gute Nacht, Miriam, lebe wohl!» rief eine melodische Stimme.
Und fast erschrocken blickte sie auf: und sah noch des Goten weißen Mantel vor der Treppe um die Ecke verschwinden. Uliaris ging nach der entgegengesetzten Seite. Rasch sprang sie die Stufen hinan und sah dem weißen Mantel, der silbern im Mondlicht glänzte, nach, lang, lang, bis er verschwand im fernen Schatten.
Viertes Kapitel
Alle Tage zweimal traten so Uliaris und Totila zusammen, berichteten ihre Erfolge, ihre Verluste und prüften ihre Aussichten zur Rettung der Stadt.
Aber am zehnten Tage der Belagerung etwa rasselte Uliaris vor Tagesanbruch auf das Verdeck von Totilas «Admiralschiff», eines morschen Muränenfängers, wo der Seegraf von Neapel, von einem zerfetzten Segel gedeckt, schlief. «Was ist?» rief Totila auffahrend, noch im Traum, «der Feind? Wo?» - «Nein, mein Junge, diesmal ist's noch Uliaris, nicht Belisar, der dich weckt. Aber lange, beim Strahl, wird's nicht mehr dauern.» -«Uliaris, du blutest - dein Kopf ist verbunden!»
«Bah, war nur ein Streifpfeil! Zum Glück kein giftiger. Ich holt' ihn mir heut' nacht. Du mußt wissen: die Dinge stehen schlecht, schlechter als je seit gestern. Der blutige Johannes, Gott hau' ihn nieder, gräbt sich wie ein Dachs an unser Kastell Tiberii, und hat er das, dann gute Nacht, Neapolis! Gestern abend hat er eine Schanze auf dem Hügel über uns vollendet und wirft uns Brandpfeile auf die Köpfe. Ich wollt' ihn heute nacht aus seinem Bau werfen, ging aber nicht. Sie waren sieben gegen einen, und ich gewann nichts damit als diesen Schuß vor meinen grauen Kopf.»
«Die Schanze muß weg», sagte Totila nachsinnend.
«Den Teufel auch, aber sie will nicht!
Allein mehr. Die Bürger, die Einwohner fangen an, schwierig zu werden. Täglich schießt Belisar hundert stumpfe Pfeile mit seinem <Aufruf zur Freiheit) herein. Die wirken
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