mehr noch als die tausend scharfen. Schon fliegt hier und da ein Steinwurf von den Dächern auf meine armen Burschen. Wenn das wächst - -! -Wir können nicht mit tausend Mann vierzigtausend Griechen draußen abhalten und dreißigtausend Neapolitaner drinnen: drum meine ich» - und sein Auge blickte finster -«Was meinst du?»
«Wir brennen ein Stück der Stadt nieder! Die Vorstadt wenigstens... » -
«Damit uns die Leute lieber gewinnen? Nein, Uliaris, sie sollen uns nicht mit Recht Barbaren schelten. Ich weiß ein besser Mittel - sie hungern: ich habe gestern vier Schiffsladungen Öl und Korn und Wein hereingeführt, die will ich verteilen.» - «Ö1 und Korn, meinethalben! aber den Wein, nein! Den fordre ich für meine Goten, die trinken schon lang Zisternenwasser, pfui Teufel!»
«Gut, durstiger Held, ihr sollt den Wein für euch haben.» -«Nun? Und noch keine Botschaft von Ravenna? Von Rom?» -«Keine! Mein fünfter Bote ist gestern fort.» - «Gott hau' ihn nieder, unsern König.»
«Höre Totila, ich glaube nicht, daß wir lebendig aus diesen wurmstichigen Mauern kommen!»
«Ich auch nicht!» sagte Totila ruhig und bot seinem Gast einen Becher Wein.
Uliaris sah ihn an, dann trank er und sagte: «Goldjunge, du bist echt und dein Cäkuber auch. Und muß ich hier umkommen, wie ein alter Bär unter vierzig Hunden, mich freut's doch, daß ich dich dabei so gut kennengelernt: dich und deinen Cäkuber.» Mit dieser rauhen Freundlichkeit stieg der graue Gote vom Verdeck.
Totila schickte den Leuten im Kastell Wein und Korn, und sie labten sich herzlich daran. Als aber Uliaris am andern Morgen aus dem Turm des Kastells lugte, rieb er sich die Augen. Denn auf der Hügelschanze wehte die blaue gotische Fahne. Totila war in der Nacht im Rücken der Feinde gelandet, und hatte das Werk in kühnem Anlauf genommen.
Aber diese neue Keckheit reizte den ganzen Zorn Belisars. Er schwur, den verwegnen Planken ein Ende zu machen um jeden Preis. Höchst erwünscht trafen ihm zur Stunde die vier
Kriegsschiffe von Sizilien her auf der Höhe von Neapolis ein. Er befahl, sie sollten sofort in den Hafen von Neapolis dringen und den Seeräubern das Handwerk legen. Stolz rauschten noch am Abend des gleichen Tages die vier mächtigen Trieren heran und legten sich an der Einfahrt des Hafens vor Anker, Belisar selbst eilte mit seinem Gefolge an die Küste und freute sich, die Segel von der Abendsonne vergoldet zu sehen: «Die aufgehende Sonne sieht sie in den Hafen der Stadt fahren trotz jenem Tollkopf», sprach er zu Antoniana, die ihn begleitete, und wandte seinen Schecken zurück nach dem Lager.
Noch hatte er am andern Morgen das Feldbett nicht verlassen - Prokopius, sein Rechtsrat, stand vor ihm und las ihm den entworfenen Bericht an Justinian - da erschien in seinem Zelt Chanaranges, der Perser, der Führer der Leibwächter, und rief: «Die Schiffe, Feldherr, die Schiffe sind genommen.»
Wütend sprang Belisar aus den Decken und rief: «Der soll sterben, der das sagt.»
«Besser wäre es», meinte Prokopius, «der stürbe, der es getan.» - «Wer war es?» - «Ach Herr, der junge Gote mit blitzenden Augen und dem leuchtenden Haar.» - «Totila!» sprach Belisar, «schon wieder Totila.»
«Die Bemannung lag zum Teil am Strand, bei meinen Vorposten, zum Teil schlaftrunken unter Deck. Plötzlich, um Mitternacht, wird's lebendig ringsum, als wären hundert Schiffe aus der Tiefe des Meeres getaucht.» - «Hundert Schiffe! Zehn Nußschalen hat er!» - «Im Augenblick und lang, eh' wir vom Strand zu Hilfe kommen können, sind die Schiffe geentert, die Leute gefangen, eine der Trieren, deren Ankertau nicht rasch zu kappen war, in Brand gesteckt, die andern drei nach Neapolis geführt.»
«Sie sind noch früher in den Hafen gekommen, als du dachtest, o Belisar», sprach Prokopius. Aber Belisar hatte sich jetzt wieder ganz in der Gewalt. «Nun hat der kecke Knabe
Kriegsschiffe! Nun wird er unerträglich werden. Jetzt muß ein Ende werden.» Er drückte den prächtigen Helm auf das majestätische Haupt: «Ich wollte die Stadt, die römischen Einwohner schonen: es geht nicht länger. Prokopius, geh und entbiete hierher die Feldherrn Magnus, Demetrius und Constantianus, Bessas und Ennes, und Martinus, den Geschützmeister; ich will ihnen zu tun geben vollauf. Sie sollen ihres Sieges nicht froh werden, die Barbaren, sie sollen Belisar kennenlernen.»
Alsbald erschien im Zelte des Oberfeldherrn ein Mann, der trotz des Brustpanzers, den er trug, mehr einem Gelehrten als einem Krieger glich. Martinus, der große Mathematiker, war eine friedliche, sanfte Natur, die lange im stillen Studium des Euklid ihre Seligkeit gefunden. Er konnte kein Blut sehen und keine Blume knicken. Aber seine mathematischen und mechanischen Studien hatten ihn eines Tages dahin geführt, eine neue Wurfmaschine von furchtbarer Schleuderkraft, wie im Vorbeigehen, zu erfinden; er legte den Plan Belisar vor, und dieser, entzückt, ließ ihn gar nicht mehr in sein Studierzimmer zurück, sondern schleppte ihn sofort zum Kaiser und zwang ihn, «Geschützmeister des Magister Militum per Orientem», d. h. eben Belisars, zu werden; er erhielt einen glänzenden Sold und war kontraktlich verpflichtet, jedes Jahr eine neue Kriegsmaschine herzustellen. Mit Seufzen ersann nun der sanfte Mathematiker jene gräßlichen Zerstörungswerkzeuge, welche die Wälle der Festen, die Tore der Burgen niederschmetterten, unlöschbares Feuer in die Städte der Feinde Justinians schleuderten und Menschen zu vielen Tausenden niederrafften. Er hatte wohl jedes Jahr seine Freude an der mathematischen Aufgabe, die er in unermüdlichem Fleiß sich stellte. Aber war nun die Aufgabe gelöst, so dachte er mit Schaudern an die Wirkungen seiner Gedanken. Mit trauriger Miene erschien er deshalb vor Belisar.
«Martinus, Zirkeldreher», rief dieser ihm zu, «jetzt zeige deine Kunst! Wie viele Katapulten, Ballisten, Wurfmaschinen im ganzen haben wir?» - «Dreihundertfünfzig, Herr!» - «Gut! Verteile sie um unsre ganze Belagerungslinie! Oben im Norden, bei der Porta Capuana und bei dem Kastell, die Mauerbrecher gegen die Wälle! Sie müssen nieder und wären sie Diamant. Vom Mittellager aus richte die Geschosse von oben, im Bogenwurf, in die Straßen der Stadt. Biete alle Kraft auf, setze keinen Augenblick aus, vierundzwanzig Stunden lang! Laß die Truppen sich ablösen. Laß alle Werkzeuge spielen.»
«Alle, Herr?» sprach Martinus. «Auch die neuen? Die Pyroballisten, die Brandgeschosse?»
«Auch die! Die zumeist!» - «Herr, sie sind gräßlich! Du kennst noch ihre Wirkung nicht.»
«Wohlan! Ich will sie kennenlernen und erproben.» - «An dieser herrlichen Stadt? An des Kaisers Stadt? Willst du Justinian einen Schutthaufen erobern?» Die Seele Belisars war edel und groß.
Er war unwillig über sich, über Martinus, über die Goten. «Kann ich denn anders?» zürnte er, «diese eisenköpfigen Barbaren, dieser tolldreiste Totila zwingen mich ja. Fünfmal hab' ich ihnen Ergebung angeboten. Es ist Wahnsinn! Nicht dreitausend Mann stecken in den Wällen. Beim Haupte Justinians! Warum stehen die dreißigtausend Neapolitaner nicht auf und entwaffnen die Barbaren?»
«Sie fürchten wohl deine Hunnen ärger als ihre Goten», meinte Prokop. «Schlechte Patrioten sind sie! Vorwärts Martinus! In einer Stunde muß es brennen in Neapolis.»
«In kürzerer Zeit», seufzte der Geschützmeister, «wenn es denn doch sein muß. Ich habe einen kundigen Mann mitgebracht, der uns viel helfen kann und die Arbeit vereinfachen: er ist ein lebendiger Plan der Stadt. Darf ich ihn bringen?»
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