Er war Befehlshaber des Geschwaders von Neapolis, aber dieses ganze Geschwader hatte König Theodahad schon vor Wochen, trotz Totilas Vorstellungen, Belisar aus dem Wege, nach Pisa beordert, wo es die Arnusmündung bewachen sollte. So besaß Totila von Anfang nichts als drei leichte Wachtschiffe, von denen er zwei bei Sizilien verloren hatte: und er war nach Neapolis gekommen, an jedem Widerstand zur See verzweifelnd. Aber da er das Unglaubliche vernahm, daß die byzantinische Flotte nach Hause gefahren sei, belebte sich sofort seine Hoffnung. Und nun ruhte er nicht, bis er auf großen Fischerbooten, Kaufmannsschiffen, Hafenkähnen und in der Eile notdürftig seetüchtig gemachten Wracks der Werften sich eine kleine Flotille von etwa zwölf Segeln gebildet, die freilich weder einem Sturm auf hoher See noch einem einzigen Kriegsschiff Trotz bieten konnte, aber doch vortreffliche Dienste leistete, die sonst völlig abgeschnittene Stadt von Bajä, Cumä und anderen Städten im Nordwesten her mit Lebensmitteln zu versehen, die Bewegungen der Feinde an den Küsten zu beobachten und mit unaufhörlichen Angriffen zu quälen, indem Totila mit einer kleinen Schar oft im Süden, im Rücken der griechischen Lager, landete, sich ins Land schlich, bald hier, bald da einen Trupp der Feinde überfiel und zersprengte und solche Unsicherheit verbreitete, daß sich die Byzantiner nur in starken Abteilungen und nie zu weit von ihren

Lagern zu entfernen wagten, während diese Erfolge die hart bedrängte, von steten Wachdiensten und Kämpfen angegriffene Mannschaft des Uliaris immer wieder ermutigten.

Bei alledem konnte sich Totila nicht verhehlen, daß die Lage schon jetzt eine höchst bedenkliche und, sowie einige griechische Schiffe vor der Stadt erschienen, eine unhaltbare werde. Er verwandte daher einen Teil seiner Boote dazu, täglich eine Anzahl von wehrunfähigen Einwohnern aus Neapolis aufwärts nach Bajä und Cumä zu schaffen, wobei er die Anforderung der Reichen, daß diese Rettungsfahrten nur gegen Bezahlung stattfinden sollten, streng zurückwies und ohne Unterschied Arme wie Reiche in seine rettenden Schiffe aufnahm. Vergebens hatte Totila wiederholt und immer dringender Valeria gebeten, unter dem Schutz von Julius auf diesen Schiffen zu flüchten: noch wollte sie sich von dem Sarge ihres Vaters, noch von dem Geliebten nicht trennen, dessen Lob als des Schirmers der Stadt sie nur zu gern aus aller Munde einsog. Und ruhig fuhr sie fort, in dem väterlichen Hause ihrer Trauer und ihrer Liebe zu leben.

Drittes Kapitel

In diesen ersten Tagen der Belagerung empfand auch Miriam die höchsten Freuden und die höchsten Schmerzen ihrer Liebe.

Häufiger als je konnte sie sich in des Geliebten Anblick sonnen: denn die Porta Capuana war ein wichtiger Punkt der Befestigung, den der Seegraf oft besuchen mußte. In der Turmstube des alten Isak hielt er täglich mit Graf Uliaris den traurigen Kriegsrat. Dann pflegte Miriam, wann sie die Männer begrüßt und das schlichte Mahl von Früchten und Wein auf den Tisch gestellt, hinunterzuschlüpfen in das enge Gärtlein, das dicht hinter der Turmmauer lag. Der Raum war ursprünglich ein kleiner Hof im Tempel der Minerva, der Mauerbeschützerin, gewesen, der man gern an den Haupttoren der Städte einen Altar errichtete.

Seit Jahrhunderten war der Altar verschwunden: aber noch ragte hier der alte, mächtige Olivenstamm, der einst die der Göttin geweihte Statue beschattet hatte: und ringsum dufteten die Blumen, die Miriams liebevolle Hand hier gepflegt und oft für die Braut des Geliebten gebrochen hatte. Gerade gegenüber dem riesigen Ölbaum, dessen knorrige Wurzeln über die Erde hervorstarrten und eine dunkle Öffnung in den Erdgeschossen des alten Tempels zeigten, war von dem Christentum ein großes, schwarzes Holzkreuz angebracht über einem kleinen Betschemel, der aus einer Marmorstufe des Minervatempels gebildet war - man liebte, die Stätten des alten Gottesdienstes dem neuen zu unterwerfen und die alten Götter, die jetzt zu Dämonen geworden, durch die Sinnbilder des siegreichen Glaubens zu verscheuchen.

Unter diesem Kreuz saß das schöne Judenmädchen oft stundenlang mit der alten Arria, der halbblinden Witwe des Unterpförtners, die, nach dem frühen Tod von Isaks Weib, wie eine Mutter das Heranblühen der kleinen Miriam mit ihren Blumen in dem öden Gestein der alten Mauern überwacht hatte. Da hatte diese viele Jahre lang still lauschend zugehört, wie die fromme Alte in fleißigem Gebet zu dem Gott der Christen flehte: und unwillkürlich war so mancher Strahl der mildern, hellern Liebeslehre des Nazareners in das Herz der Heranwachsenden gedrungen.

Jetzt, da Alter und Erblindung die Witwe hilfsbedürftig gemacht, vergalt Miriam mit liebevoller Treue der Pflegerin ihrer Kindheit. Mit Rührung nahm Arria diese Treue hin, ihr altes Herz umschloß mit Dank und Liebe und Mitleid das herrliche Geschöpf, dessen mächtige Liebe zu dem jungen Goten sie längst erkannt und beklagt, aber nie gegenüber der scheuen Jungfrau berührt hatte.

Am Abend des dritten Tages der Belagerung schritt Miriam nachdenklich die breiten Mauerstufen nieder, die von der Turmpforte in den Garten führten: ihr edles, seelentiefes Auge glitt, in ernstes Sinnen verloren, über die duftigen Blumen der Beete hin: auf der letzten Stufe blieb sie träumend stehen, die linke Hand auf den Mauerrand lehnend. Arria kniete auf dem Betschemel ihr den Rücken wendend, und betete laut. Sie würde die Nahende nicht bemerkt haben, wenn nicht geflügeltes Leben plötzlich den stillen Hof beseelt hätte: denn in den breiten Zweigen der Olive nisteten die schönsten, weißen Tauben, der einsamen Miriam einzige Gespielinnen. Als diese die vertraute Gestalt auf den Stufen erscheinen sahen, erhoben sie sich alle, in schwirrendem Flug ihr Haupt umschwärmend; eine ließ sich auf des Mädchens linke Schulter nieder, die andre auf das feine Gelenk der Rechten, die Miriam, aus ihrem Traume geweckt, lächelnd ausstreckte.

«Du bist's, Miriam! Deine Tauben verkünden dich!» sprach Arria sich wendend. Und das schöne Mädchen stieg die letzte Stufe nieder, langsam, die Vögel nicht zu verscheuchen; die Abendsonne fiel durch die Blätter der Olive auf ihre pfirsichroten Wangen: es war ein lieblich Bild.

«Ich bin's, Mutter!» sagte Miriam, sich zu ihr setzend. «Und ich hab' eine Bitte. Wie lautet», fragte sie leiser, «dein Spruch vom Leben nach dem Tode, dein Glaubensspruch? - <ich glaube an die Gemeinschaft).»

«An die Gemeinschaft der Heiligen, Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben. - Wie kommst du auf diese Gedanken?

«Ei nun», sagte Miriam, «mitten im Leben stehen wir im Tode, sagt der Sänger von Zion. Und jetzt wir besonders! Fliegen nicht täglich Pfeile und Steine in die Straßen. Aber ich will noch Blumen pflücken!» sprach sie wieder aufstehend.

Arria schwieg einen Augenblick. «Jedoch der Seegraf war heute schon da, mir ist, ich hätte seine helle Stimme gehört.»

Miriam errötete leicht. «Sie sind nicht für ihn» sprach sie dann ruhig «für sie.» - «Für sie?» - «Ja, für seine Braut. Ich habe sie heute zum erstenmal gesehen. Sie ist sehr schön. Ich will ihr Rosen schenken.» - «Du hast sie gesprochen? Wie ist sie geartet?»

«Nur gesehen, sie bemerkte mich nicht. Ich schlich schon lange um den Palast der Valerier, seit sie hier ist. Heute ward sie in die Sänfte gehoben, sie ward in die Basilika getragen. Ich lehnte hinter der Säule ihres Hauses.»

«Nun, ist sie seiner würdig?»

«Sie ist sehr schön. Und vornehm. Und klug sieht sie aus: auch gut. Aber», seufzte Miriam, «nicht glücklich. Ich will ihr Rosen schenken. Mutter», sagte sie, nach einiger Zeit sich wieder mit ihren duftigen Blumen zu ihr setzend, «was bedeutet das: die Gemeinschaft der Heiligen. Sollen nur die Christen dann beisammen leben? Nein, nein!» fuhr sie fort, ohne die Antwort abzuwarten, «das kann nicht sein. Entweder alle, alle Guten oder» - und sie seufzte. «Mutter, in den Büchern Mosis steht nichts davon,

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