verstohlen sein Kind musterte.
«Laß doch endlich Roggen und Rosse», lächelte Rauthgundis, «und sage mir, wie's dir gegangen ist die langen Jahre? Und was dich endlich einmal herabgeführt hat von den Bergen zu deinen Kindern?» - «Wie's mir gegangen? Nun: halt einsam, einsam! Und kalte Winter! Ja, bei uns ist's nicht so hübsch warm, wie hier im Welschtale.» Und er sagte das wie einen Vorwurf. «Und warum ich herunter bin? Ja sieh, letztes Jahr hat sich der Zuchtstier zerfallen auf dem Firnjoch. Und da wollt' ich mir einen andern kaufen hier unten.»
Da hielt sich Rauthgundis nicht länger: mit warmer Liebe warf sie sich an des Alten Brust und rief: «Und den Zuchtstier hast du nicht näher gefunden als hier? Lüge doch nicht, Steinbauer, gegen dein eigen Herz und dein eigen Kind. Du bist gekommen, weil du gemußt, weil du's doch endlich nicht mehr ausgehalten vor Heimweh nach deinem Kinde.»
Der Alte blieb stehen und streichelte ihr Haar: «Woher du's nur weißt! Nun ja! Ich mußte doch mal selbst sehen, wie's um dich steht, und wie er dich hält, der Herr Gotengraf.»
«Wie seinen Augapfel», sprach das Weib selig. - «So? Und warum ist er denn nicht daheim bei Hof und Haus und Weib und Kind?» - «Er steht beim Heer in des Königs Dienst.»
«Ja, das ist's ja eben. Was braucht er einen Dienst und einen König? Doch - sage: warum trägst du keinen goldnen Armreif? Ein Gotenweib aus dem Welschtal kam einmal des Wegs bei uns vorbei, vor fünf Jahren, die trug Gold handbreit: da dacht' ich: so trägt's deine Tochter, und freute mich, und nun -»
Rauthgundis lächelte: «Soll ich Gold tragen für meiner Mägde Augen? Ich schmücke mich nur, wenn Witichis es sieht.» - «So? Mög' er's verdienen! Aber du hast doch Goldspangen und Goldreife wie andre Gotenfrauen hier unten?» - «Mehr als andre, truhenvoll. Witichis brachte große Beute vom Gepidenkrieg.» - «So bist du ganz glücklich?» - «Ganz, Vater, aber nicht wegen der Goldspangen.» - «Hast du über nichts zu klagen? Sag's mir nur, Kind! Was es auch sei, sag's deinem alten Vater, und er schafft dir dein Recht.»
Da blieb Rauthgundis stehen. «Vater, sprich nicht so! Das ist nicht recht von dir zu sprechen, nicht von mir zu hören. Wirf ihn doch weg, den unglückseligen Irrwahn, als müßte ich elend werden, weil ich zu Tal gezogen. Ich glaube fast, nur diese
Furcht hat dich hier herabgeführt.»
«Nur sie!» rief der Alte hastig, mit dem Stock aufstoßend. «Und du nennst einen Wahn, was deines Vaters tiefstes, inneres Wesen? Ein Wahn! Ah, ist's ein Wahn, daß sich's schwer atmet hier unten? Ein Wahn, daß unsre hochgewachsenen, weißen Goten klein und braun geworden hier unten im Tal? Ist es ein Wahn, daß alles Unheil von jeher von Süden hergekommen, von diesem weichen, falschen Tal? Woher kommen die Bergstürze über unsre Hütten? Von Süden her. Von wo kommt der giftige Wind, der Mensch und Vieh verdirbt? Von Süden. Warum stürzt mir Kuh und Schaf, wann sie am Südhang grasen? Warum starb deine Mutter, wie sie das erstemal von unserm Berge nach Bolsanum herabkam, in der schwülen Stadt? Ein Bruder von dir stieg auch herab, trat in des Königs Theoderichs Waffenschar zu Ravenna: erstochen haben ihn die Welschen beim Wein. Warum taugt kein Knecht mehr was, der je hier in den Süden herabstieg auch nur auf einen Winter? Wo hat unser großer Held Theoderich das verfluchte Regieren gelernt, mit Steuern und Folter und Kerker und Schreiben? Was haben unsre Väter von all dem gewußt?
Von woher kommt aller Trug, alle Unfreiheit, alle Üppigkeit, alle Unkraft, alle List? Von hier: aus dem Welschtal, aus dem Süden, wo die Menschen zu Tausenden beisammen nisten, wie unsauber Gewürm, und einer dem andern die Luft vergiftet. Und da kommt mir so einer auf meinen Fels und holt mein frisches Kind herab in dieses Land des Unsegens! Dein Eheherr hat was Gutes und Klares, ich leugn' es nicht; und hätte er sich droben bei mir ein Gehöft gebaut, ich hätte ihm gern mein Kind und das Joch der besten Ochsen dazu gegeben. Aber nein! Da herunter mußte er sie führen ins heiße Sumpftal. Und er selbst bückt den Kopf in goldnen Sälen zu Rom und in der Rabenstadt. Wohl hab' ich mich lang gewehrt -»
«Aber endlich gabst du nach
«Was wollt' ich machen? War doch mein kernfrisches Mädel
ganz herzenssiech geworden nach dem Unglücksmann.»
«Und zehn Jahre hat der Unglücksmann dein Kind beglückt.» - «Wenn's nur auch wahr ist!»
«Vater!» - «Und wahr bleibt. Es wäre das erstemal, daß Glück von Süden käme. Sieh, mein Abscheu ist so groß vor der Ebne, daß ich die sieben Jahr nicht niederstieg, gar mein Enkelkind nie gesehn habe. Wenn ich es jetzt doch getan, hat's schweren Grund.»
«Also nicht die Liebe? Nicht dein Herz?»
«Freilich! Doch mein banges Herz! Ein böses Zeichen ist geschehen. Du denkst doch noch der freudigen Buche, die am Felsbache stand, rechts vorm Hause? Ich pflanzte sie, nach altem Brauch, an dem Tag, da du geboren wardst. Und prächtig, wie du selbst, gedieh der Baum. In dem Jahr, da du fortzogst freilich, fand ich, er sehe krank und traurig aus. Aber die andern sahen es nicht und lachten mich aus.
Nun, sie erholte sich wieder und war frisch und grün. Doch in der letzten Woche kam des Nachts ein Hochgewitter, so wütig, wie ich's selten gehört da droben in den Felsen, und als wir am Morgen vor das Tor treten - ist der Stamm vom Blitz zerspalten, und die Krone hat der Gießbach mit sich fortgerissen - nach Süden.»
«Schad' um den lieben Baum! Doch kann dich das ängstigen?»
«Es ist nicht alles. Traurig grub ich am Abend, nach dem Tagewerk, den armen Stamm aus der Erde und warf ihn ins Herdfeuer, daß er nicht verunehrt und elend am Wege stehe, der meinem Kinde ein Bild und Zeichen war. Und ich nahm mir's sehr zu Herzen, und ich sann und sann mit schweren Sorgen über deinen Mann, und meine Zweifel an ihm kamen dicht und dichter. Und ich sah ins Feuer, drin der Stamm verkohlte.
So schlief ich ein, und im Traum sah ich dich und Witichis. Er tafelte im Goldsaal unter stolzen Männern und schönen Frauen in Glanz und Pracht gekleidet. Du aber standest vor der Tür, im Bettlerkleid, und weintest bittre Tränen und riefst ihn beim Namen. Er aber sprach: <Wer ist das Weib? Ich kenne sie nicht!) - Und es ließ mich nicht mehr droben in den Bergen. Herab zog's mich: ich mußte sehen, wie mein Kind gehalten ist im Tal; und überraschen wollt' ich ihn - deshalb wollt' ich nicht durchs Tor ins Haus.»
«Vater», sprach Rauthgundis zornig, «dergleichen soll man selbst im Traume nicht denken. Dein Mißtrauen -»
«Mißtrauen! Ich traue niemand als mir selbst. Und in dem Blitzschlag und in dem Traumgesicht hat sich's mir deutlich gemeldet: dir droht ein Unglück! Weich ihm aus! Nimm deinen Knaben und geh mit mir in die Berge! Nur auf kurze Zeit. Glaub' mir, du wirst es bald wieder schön finden in der frischen Luft, wo man über aller Herren Länder hinwegsieht.»
«Ich soll meinen Mann verlassen? Niemals.» - «Hat er nicht dich verlassen? Ihm ist Hof-Königsdienst mehr als Weib und Kind. So laß ihm seinen Willen.»
«Vater», sprach jetzt Rauthgundis, seine Hand heftig fassend, «kein Wort mehr! Hast du denn meine Mutter nicht geliebt, daß du so reden kannst von Ehegatten? Mein Witichis ist mir alles. Luft und Licht des Lebens. Und er liebt mich mit seiner ganzen treuen Seele. Und wir sind eins.
Und wenn er für recht hält, fern von mir zu schaffen, zu wirken, so ist es recht. Er führt seines Volkes Sache. Und zwischen mich und ihn soll kein Wort, kein Hauch, kein Schatten treten. Und auch ein Vater nicht.»
Der Alte schwieg. Aber sein Mißtrauen schwieg nicht. «Warum», hob er nach einer Pause wieder an, «wenn er am Hof so wichtige Geschäfte hat, warum nimmt er dich nicht mit? Schämt er sich der Bauerntochter?» und zornig stieß er seinen Stock auf die Erde.
«Der Zorn verwirrt dich! Du grollst, daß er mich vom Berg ins Tal der
Вы читаете Ein Kampf um Rom