Mißwachs jahrelang den Stamm verfolgte. Er hat die verborgne Schuld auf sich genommen, die auf den Volksgenossen zu lasten schien, und sie durch den Tod gebüßt, oder indem er ohne die Krone ins Elend ging, ein friedloser Landflüchtiger. - Laßt mich die Krone abtun von diesem Haupt ohne Glück noch Stern. Wählt einen andern, dem Gott nicht zürnt: wählt Totila, oder -»

«Das Wundfieber faselt noch aus dir!» unterbrach ihn der alte Waffenmeister. «Du mit Schuld beladen! Du, der Treueste von uns allen! Nein, ich will's euch sagen, ihr Kinder allzujunger Tage, die ihr der Väter alte Kraft mit der Väter altem Glauben verloren habt und nun keinen Trost wißt für eure Herzen. Mich erbarmt eurer Reden ohne Zuversicht.» - Und seine grauen Augen leuchteten in seltnem Glanze über die Freunde hin. «Alles, was hier auf Erden erfreut und schmerzt, ist kaum der Freude noch des Schmerzes wert. Nur auf eines kommt es hier unten an: ein treuer Mann gewesen sein, kein Neiding, und den Schlachttod sterben, nicht den Strohtod. Den treuen Helden aber tragen die Walküren aus dem blutigen Feld auf roten Wolken hinauf in Odins Saal, wo die Einheriar mit vollen Bechern ihn begrüßen. Dann reitet er alltäglich mit ihnen hinaus zur Jagd und Waffenspiel beim Morgenlicht und wieder herein zu Trunk und Skaldensang in goldner Halle beim Abendlicht. Und schöne Schildjungfrauen kosen mit den Jungen: und weise Vorzeitrunen raunen wir Alten mit den alten Helden der Vorzeit. Und ich werde sie alle wiederfinden, die starken Gesellen meiner Jugend, den kühnen Winithar und Herrn Waltharis von Aquitanien und Guntharis, den Burgunden. Und schauen werd' ich auch ihn, dessen Anblick ich lange begehrt: Herrn Beowulf, den Geaten, und aus grauen Urtagen den Cherusken, der zuerst die Römer schlug, von dem noch die Sänger der Sachsen singen und sagen. Und wieder trag' ich Schild und Speer meinem Herrn, dem König mit den Adleraugen. Und so leben wir fort in alle Ewigkeit in Licht und heller Freude, vergessen der Erde hier unten und alles ihres Wehs.»

«Ein schön Gedicht, alter Heide», lächelte Totila. «Wenn uns aber das nicht mehr tröstet für wirkliches, herznagendes Leid? Sprich du doch auch, Teja, du finstrer Gast. Was ist dein Gedanke bei diesen unsern Leiden? Nie fehlt uns dein Schwert: was versagst du dein Wort? Was schweigt dein tröstender Harfenschlag, du liederkundiger Sänger?»

«Mein Wort», sagte Teja aufstehend, «mein Wort und Gedanke wäre euch vielleicht schwerer zu tragen als all dies Leid. Laß mich noch schweigen, mein sonnenheller Totila. Vielleicht kommt noch der Tag, da ich dir Antwort gebe. Vielleicht auch zur Harfe spiele, wenn dann noch eine Saite daran hält.» Und er schritt aus dem Zelte.

Denn draußen in dem Lager hatte sich ein wirrer, rätselhafter Lärm von rufenden, fragenden Stimmen erhoben.

Die Freunde sahen ihm schweigend nach. «Ich weiß wohl, was er denkt», sagte der alte Hildebrand endlich. «Denn ich kenne ihn vom Knaben auf:

Er ist nicht wie andere. Auch im Nordland denken manche so, die nicht an Thor und Odin glauben, sondern nur an die Nort und ihre eigene Kraft und Stärke. Es ist fast zu schwer für ein Menschenherz. Und glücklich, glücklich macht es nicht, wie er zu denken. Mich wundert, daß er singt und Harfe schlägt dabei.»

Da riß Teja, wieder eintretend, die Zeltvorhänge auf: sein Antlitz war noch bleicher als zuvor, seine dunkeln Augen blitzten, aber seine Stimme war ruhig wie sonst, da er sprach: «Brich das Lager ab, König Witichis. Unsere Schiffe sind bei Ostia in der Feinde Hand gefallen. Sie haben Graf Odoswinths Kopf ins Lager geschickt. Und sie lassen auf den Wällen Roms, vor den Augen unserer Wachen, von den gefangenen Goten die erbeuteten Rinder schlachten. Große Verstärkungen aus Byzanz unter Valerian und Euthalius: Hunnen, Sclavenen und Anten, hat eine segelreiche Flotte aus Byzanz in den Tiber geführt. Denn der blutige Johannes hat das Picenum durchzogen...» -

«Und Graf Ulithis?»

«Er hat Ulithis geschlagen und getötet, Ancona und Ariminum genommen. Und -»

«Ist das noch nicht alles?» rief der König.

«Nein, Witichis! Eile tut not! Er bedroht Ravenna: er steht nur noch wenige Meilen vor der Stadt.»

Sechzehntes Kapitel

Am Tage nach dem Eintreffen dieser für die Goten so verhängnisvollen Nachrichten hatte Witichis die Belagerung Roms aufgegeben und sein tief entmutigtes Heer aus den vier noch übrigen Lagern herausgezogen.

Ein volles Jahr und neun Tage hatte die Einschließung gewährt. So viel Mut und Kraft, so viele Anstrengungen und Opfer waren vergeblich gewesen.

Schweigend zogen die Goten an den stolzen Wällen vorüber, an denen ihr Glück und ihre Macht zerschellt waren. Schweigend trugen sie die höhnenden Worte, die Römer und «Romäer» (Byzantiner) ihnen von den sichern Zinnen herab zuriefen. Ihr Zorn und ihre Trauer waren zu groß, um durch solchen Spott getroffen zu werden.

Aber als Belisars Reiterei, aus dem pincianischen Tore brechend, die Abziehenden verfolgen wollte, wurde sie grimmig zurückgewiesen. Denn Graf Teja führte die gotische Nachhut.

So zog das Heer von Rom auf der flaminischen Straße durch Picenum in raschen Märschen (obwohl den von den Feinden besetzten Plätzen Narnia, Spoletium und Perusium ausgewichen werden mußte) nach Ravenna, wo Witichis zur rechten Zeit eintraf, die gefährliche Stimmung der Bevölkerung, die auf die Kunde von dem Unglück der Barbaren schon mit dem drohenden Johannes in geheime Verhandlungen getreten war, zu unterdrücken.

Johannes zog sich bei Annäherung der Goten in seine letzte wichtige Eroberung Ariminum zurück. In Ancona lag Konon, der Nauarch Belisars, mit den thrakischen Speerträgern und mit Kriegsschiffen.

Der König führte aber keineswegs sein ganzes, von der Belagerung Ro ms aufgebrochenes Heer nach Ravenna, sondern hatte unterwegs viele Mannschaften in Festungen verteilt. Eine Tausendschaft ließ er unter Gibimer in Clusium in Tuscien, eine andre in Urbs Vetus unter Albila, eine halbe in Tudertum unter Wulfgis: in Auximum vier Tausendschaften unter Graf Wisand, dem tapfern Bandalarius: in Urbinum zwei unter Morra: in Caesena und Monsferetrus je eine halbe. Hildebrand entsandte er nach Verona, Totila nach Tarvisium und Teja nach Ticinum, da auch der Nordosten der Halbinsel durch byzantinische, von Istrien aus drohende Truppen gefährdet wurde.

Er tat dies übrigens noch aus andern Gründen.

Einmal, um Belisar auf dem Wege nach Ravenna aufzuhalten.

Dann, um im Fall einer Einschließung nicht wieder sobald durch die große Stärke des Heeres dem Mangel ausgesetzt zu sein. Und endlich, um für den nämlichen Fall die Belagerer auch vom Rücken, und zwar von mehreren Seiten her, beunruhigen zu können. Sein Plan war zunächst, die seinem Hauptstützpunkt Ravenna drohende Gefahr abzuwenden und sich mit seinen zerrütteten Streitkräften auf die Verteidigung zu beschränken, bis fremde Hilfstruppen, langobardische und fränkische, die er erwartete, ihn in den Stand setzen würden, wieder das offene Feld zu halten.

Aber die Hoffnung, Belisar auf seinem Wege nach Ravenna durch diese gotischen Burgen hinzuhalten, erfüllte sich nicht. Er begnügte sich, sie durch beobachtende Truppen einzuschließen, und zog ohne weiteres gegen die Hauptstadt und den letzten bedeutenden Waffenplatz der Goten. «Habe ich das Herz zum Tode getroffen», sagte er, «werden sich die geballten Fäuste von

selbst öffnen.»

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