Rauthgundis bewohnt hatte. «Die Hunnen hausen wohl an meinem zerstörten Herd!»
Als aber die gefangene Besatzung von Fäsulä den Belagerten in Auximum in Ketten vor Augen geführt und von diesen Gefangnen selbst jeder Entsatz von Ravenna her als hoffnungslos bezeichnet wurde, da nötigten den Bandalarius seine verhungerten Scharen zur Übergabe.
Er selbst bedang sich freies Geleit nach Ravenna aus.
Seine Tausendschaften wurden gefangen aus Italien geführt. Ja, so tief gesunken war Mut und Volksgefühl der endlich Bezwungenen, daß sie unter Graf Sisifrid von Sarsina gegen die eigenen Volksgenossen Dienste nahmen unter Belisars Fahnen.
Der Sieger hatte Auximum stark besetzt und alsbald die bisherigen Belagerer dieser Feste zurückgeführt in das Lager vor Ravenna, wo er Cethegus den bisher anvertrauten Oberbefehl wieder abnahm.
Es war, als ob ein Fluch an dem Haupte des Gotenkönigs hafte, auf dem so schwer die Krone lastete. Da er nun den Grund seines Mißlingens keiner Schwäche, keinem Versehen auf seiner Seite zuschreiben, da er ebensowenig an dem guten Recht der Goten gegen die Byzantiner zweifeln und da seine einfache Gottesfurcht in diesem Ausgang nichts andres als das Walten des Himmels erblicken konnte, so kam er immer wieder auf den quälenden Gedanken, es sei um seiner unvergebenen Sündenschuld willen, daß Gott die Goten züchtige: eine Vorstellung, welche die Anschauungen des die Zeit beherrschenden alten Testaments ihm nicht minder nahelegten als viele Züge der alten germanischen Königssage.
Diese Gedanken verfolgten unablässig den tüchtigen Mann und nagten Tag und Nacht an der Kraft seiner Seele. Bald suchte er im selbstquälerischen Grübeln jene seine geheime Schuld zu entdecken. Bald sann er nach, wie er den ihn verfolgenden Fluch wenigstens von seinem Volke wenden könne. Längst hätte er die
Krone einem andern abgetreten, wenn ein solcher Schritt in diesem Augenblick nicht ihm und andern als Feigheit hätte erscheinen müssen. So war ihm auch dieser Ausweg - der nächste und liebste - aus seinen quälenden Gedanken verschlossen. Gebeugt saß jetzt oft der sonst so stattliche Mann, blickte lange starr und schweigend vor sich hin, nur manchmal das Haupt schüttelnd oder tief aufseufzend.
Der tägliche Anblick dieses stillen, stolzen Leidens, dieses stummen und hilflosen Erduldens eines niederdrückenden Geschickes blieb, wie wir gesehen, nicht ohne Eindruck auf Mataswintha. Auch glaubte sie sich darin nicht getäuscht zu haben, daß seit geraumer Zeit sein Auge milder als sonst, mit Wehmut, ja mit Wohlwollen auf ihr geruht habe. Und so drängte sie teils uneingestandene Hoffnung, die so schwer erlischt im liebenden Herzen, teils Reue und Mitleid mächtiger als je zu dem leidenden König.
Oft wurden sie jetzt auch durch ein gemeinsames Werk der Barmherzigkeit vereint. Die Bevölkerung von Ravenna hatte in den letzten Wochen angefangen, während die Belagerer von Ancona aus das Meer beherrschten und aus Calabrien und Sizilien reiche Vorräte bezogen, Mangel zu leiden. Nur die Reichen vermochten noch die hohen Preise des Getreides zu bezahlen. Des Königs mildes Herz nahm keinen Anstand, aus dem Überfluß seiner Magazine, die, wie gesagt, die doppelte Zeit bis zum Eintreffen der Franken auszureichen versprachen, auch an die Armen der Stadt wohltätige Verteilungen zu machen, nachdem er seine gotischen Tausendschaften versorgt hatte: auch hoffte er auf eine große Menge von Getreideschiffen, welche die Goten in den oberen Padus-Gegenden auf diesem Flusse zusammengebracht hatten und in die Stadt zu schaffen trachteten.
Um aber jeden Mißbrauch und alles Übermaß bei jenen Spenden fernzuhalten, überwachte der König selbst diese Austeilungen: und Mataswintha, die ihn einmal mitten unter den bettelnden und dankenden Haufen angetroffen, hatte sich neben ihn auf die Marmorstufen der Basilika von Sankt Apollinaris gestellt und ihm geholfen, die Körbe mit Brot verteilen. Es war ein schöner Anblick, wie das Paar, er zur Rechten, die Königin zur Linken, vor der Kirchenpforte stand und über die Stufen hinab dem segenrufenden Volk die Spende reichte.
Während sie so standen, bemerkte Mataswintha unter der drängenden, flutenden Volksmasse denn es war viel Landvolk ja auch von allen Seiten vor den Schrecken des Krieges in die rettenden Mauern zusammengeströmt - auf der untersten Stufe der Basilika seitwärts ein Weib in schlichtem, braunem, halb über den Kopf gezogenem Mantel. Dies Weib drängte nicht mit den andern die Stufen hinan, um auch Brot für sich zu fordern: sondern lehnte, vorgebeugt, den Kopf auf die linke Hand und diesen Arm auf einen hohen Sarkophag gestützt, hinter der Ecksäule der Basilika und blickte scharf und unverwandt auf die Königin.
Mataswintha glaubte, das Weib sei etwa von Furcht oder Scham oder Stolz abgehalten, sich unter die keckern Bettler zu mischen, die auf den Stufen sich stießen und drängten: und sie gab Aspa einen besondern Korb mit Brot, hinabzugehen und ihn der Frau zu reichen. Sorglich bemüht häufte sie mit mildem Blick und mit den beiden weißen Händen tätig das duftende Gebäck. -
Als sie aufsah, begegnete sie dem Auge des Königs, das, sanft und freundlich gerührt, wie noch nie, auf ihr geruht hatte. - Heiß schoß ihr das Blut in die Wangen, und sie zuckte leise und senkte die langen schönen Wimpern.
Als sie wieder aufsah und nach dem Weib im braunen Mantel blickte, war dies verschwunden. Der Platz am Sarkophag war leer.
Sie hatte, während sie den Korb füllte, nicht bemerkt, wie ein Mann mit einem Büffelfell und einer Sturmhaube, der hinter der
Frau stand, sie beim Arme gefaßt und mit sanfter Gewalt hinweggeführt hatte. «Komm», hatte er gesagt, «hier ist kein guter Ort für dich.» Und wie im wachen Traum hatte das Weib geantwortet: «Bei Gott, sie ist wunderschön.»
«Ich danke dir, Mataswintha!» sprach der König freundlich, als die für heute bestimmten Spenden verteilt waren.
Der Blick, der Ton, das Wort drangen tief in ihr Herz. Nie hatte er sie bisher bei ihrem Namen genannt, immer nur die Königin in ihr gesehen und angesprochen. Wie beglückte sie das Wort aus seinem Munde und wie schwer lastete doch zugleich diese Milde auf ihrer schuldbewußten Seele! Offenbar hatte sie sich zum Teil seine wärmere Stimmung durch ihr werktätiges Mitleid mit den Armen erworben. «Oh, er ist gut», sagte sie, halb weinend vor Erregung, «ich will auch gut sein.»
Als sie mit diesem Gedanken in den Vorhof des ihr angewiesenen linken Flügels des Palastes trat - Witichis bewohnte den rechten, eilte ihr Aspa geschäftig entgegen. «Ein Gesandter aus dem Lager», flüsterte sie der Herrin eifrig zu. «Er bringt geheime Botschaft vom Präfekten einen Brief, von Syphax' Hand, in unsrer Sprache - er harrt auf Antwort...» -
«Laß», rief Mataswintha, die Stirne furchend, «ich will nichts hören, nichts lesen. Aber wer sind diese?»
Und sie deutete auf die Treppe, die aus der Vorhalle in ihre Gemächer führte. Da kauerten auf den roten Steinplatten Weiber, Kinder, Kranke, Goten und Italier durcheinander, in Lumpen gehüllt - eine Gruppe des Elends.
«Bettler, Arme, sie liegen hier schon den ganzen Morgen. Sie sind nicht zu verscheuchen. »
«Man soll sie nicht verscheuchen!» sprach Mataswintha, nähertretend.
«Brot, Königin! Brot, Tochter der Amalungen!» riefen mehrere Stimmen ihr entgegen. «Gib ihnen Gold, Aspa, alles, was du bei dir trägst, und hole... -» - «Brot! Brot! Königin, nicht
Gold! Um Gold ist kein Brot mehr zu haben in der Stadt.»
«Vor des Königs Speichern wird es umsonst verteilt. Ich komme gerade davon her, warum wart ihr nicht dort?»
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