«Ach, Königin, wir können nicht durchdringen», jammerte eine hagere Frau. «Ich bin alt, und meine Tochter hier ist krank, und jener Greis dort ist blind. Die Gesunden, die Jungen stoßen uns zurück. Drei Tage haben wir's umsonst versucht: wir dringen nicht durch.» - «Nein, wir hungern», grollte der Alte. «O Theoderich, mein Herr und König, wo bist du? Unter deinem Zepter hatten wir vollauf. - Da kamen die Armen und Siechen nicht zu kurz. Aber dieser Unglückskönig... -»
«Schweig», sprach Mataswintha, «der König, mein Gemahl», und hier flog ein wunderschönes Rot über ihre Wangen «tut mehr, als ihr verdient. Wartet hier, ich schaffe euch Brot. Folge mir, Aspa!»
Und rasch schritt sie hinweg. «Wohin eilst du?» fragte die Sklavin staunend.
Und Mataswintha schlug den Schleier über ihr Antlitz, als sie antwortete: «Zum König!»
Als sie das Vorgemach des Witichis erreicht, bat sie der Türsteher, der sie mit Befremden erkannte, zu verweilen. «Ein Abgesandter Belisars habe geheime Audienz: er sei schon lange im Gemach und werde es bald verlassen.»
Da öffnete sich die Türe: - und Prokop stand zögernd auf der Schwelle. «König der Goten», sprach er, sich nochmals wendend, «ist das dein letztes Wort?» - «Mein letztes, wie's mein erstes war», sprach der König voller Würde. - «Ich gönne dir noch Zeit: - ich bleibe noch bis morgen in Ravenna.» - «Von jetzt an bist du mir als Gast willkommen, nicht mehr als Gesandter.» - «Ich wiederhole: fällt die Stadt mit Sturm, so werden alle Goten, die höher als Belisars Schwert, getötet - er hat's geschworen! Weiber und Kinder als Sklaven verkauft - Du begreifst: Belisar kann keine Barbaren brauchen in seinem
Italien - Dich mag der Tod des Helden locken: aber bedenke die Hilflosen - ihr Blut wird vor Gottes Thron -» - «Gesandter Belisars, ihr steht in Gottes Hand wie wir, leb' wohl.« Und so mächtig wurden diese Worte gesprochen, daß der Byzantiner gehen mußte, so ungern er es tat. Die schlichte Würde dieses Mannes wirkte stark auf ihn. Aber auch auf die Lauscherin.
Als Prokop die Türe schloß, sah er Mataswintha vor sich stehn und trat bewundernd einen Schritt zurück, geblendet von so viel Schönheit. Ehrerbietig begrüßte er sie. «Du bist die Königin der Goten!» sagte er, sich fassend, «du mußt es sein.»
«Ich bin's!» sagte Mataswintha, «hätt' ich das nie vergessen.» Und stolz rauschte sie an ihm vorüber.
«Augen haben diese Germanen, Männer und Weiber», sagte Prokop im Hinausgehen, «wie ich sie nie gesehen.»
Zwanzigstes Kapitel
Mataswintha war inzwischen unangemeldet bei ihrem Gatten eingetreten.
Witichis hatte alle Gemächer, welche die Amalungen Theoderich, Athalarich, Amalaswintha bewohnt (sie lagen im Mittelbau des weitläufigen Palastes), unberührt gelassen und einige auch früher schon von ihm, wenn er die Wache am Hofe hatte, bewohnte Räume im rechten Flügel bezogen. Er hatte die Gold- und Purpurabzeichen der Amaler nie angelegt und aus seinen Zimmern allen königlichen Pomp entfernt. Ein Feldbett auf niedern Eisenfüßen, auf welchem sein Helm, sein Schwert und mehrere Urkunden lagen, ein langer Eichentisch und wenig Holzgerät standen in dem einfachen Gelaß.
Er hatte sich nach des Gesandten Entfernung, erschöpft, mit dem Rücken gegen die Tür in einen Stuhl geworfen und stützte das müde Haupt in beiden Händen auf den Tisch. So hatte er den leicht schwebenden Schritt der Eintretenden nicht bemerkt.
Mataswintha blieb, wie gebannt, an der Schwelle stehen. Sie hatte ihn noch niemals aufgesucht. Ihr Herz pochte mächtig. Sie konnte ihn nicht ansprechen: sie konnte nicht nähertreten.
Endlich stand Witichis mit Seufzen auf. Da sah er die regungslose Gestalt an der Tür stehen. «Du hier, Königin?» sprach er staunend und trat ihr einen Schritt entgegen. «Was kann dich zu mir führen?»
«Die Pflicht - das Mitleid» sagte Mataswintha rasch. «Sonst hätte ich nicht - ich habe eine Bitte an dich.»
«Es ist die erste», sagte Witichis. - «Sie betrifft nicht mich», fiel sie schnell ein. «Ich bitte dich um Brot für Arme, Kranke, welche -»
Da reichte ihr der König schweigend die Rechte hin.
Es war das erstemal: sie wagte nicht, sie zu fassen, und hätte es doch, o wie gerne, getan. So faßte er selbst ihre Hand und drückte sie leicht.
«Ich danke dir, Mataswintha, und bitte dir ein Unrecht ab. Du hast dennoch ein Herz für dein Volk und seine Leiden. Ich hätte das nie geglaubt: ich habe hart von dir gedacht.»
«Hättest du von jeher anders von mir gedacht: - es wäre vielleicht manches besser.»
«Schwerlich! Das Unglück heftet sich an meine Fersen. Eben jetzt - du hast ein Recht es zu wissen - brach meine letzte Hoffnung: Die Franken, auf deren Hilfe ich hoffte, haben uns verraten. Entsatz ist unmöglich: die Übermacht der Feinde durch den Abfall der Italier allzu groß. Es bleibt nur noch ein letztes: ein freier Tod.»
«Laß mich ihn mit dir teilen», rief Mataswintha, und ihre Augen leuchteten. - «Du? Nein; die Enkelin Theoderichs wird ehrenvolle Aufnahme finden am Hofe von Byzanz. Man weiß, daß du gegen deinen Willen meine Königin geworden... - Du kannst dich laut darauf berufen.»
«Nimmermehr!» sprach Mataswintha begeistert.
Witichis fuhr, ohne ihrer zu achten, in seinen Gedanken fort: «Aber die andern! Die Tausende! Die Hunderttausende von Weibern, von Kindern! Belisar hält, was er geschworen! Es ist nur eine Hoffnung noch für sie: - eine einzige! Denn - alle Mächte der Natur verschwören sich gegen mich. Der Padus ist plötzlich so seicht geworden, daß zweihundert Getreideschiffe, die ich erwartete, nicht rasch genug den Fluß herabgebracht werden konnten: die Byzantiner haben sie aufgefangen!
Ich habe nun um Hilfe an den Westgotenkönig geschrieben: er soll seine Flotte senden. Die unsre ist ja in Feindes Hand! Dringt sie in den Hafen, so kann darauf entfliehen, was nicht fechten kann und nicht sterben soll. Auch du kannst dann, wenn du es vorziehst, nach Spanien entfliehen.»
«Ich will mit dir - mit euch sterben.»
«In wenigen Wochen können die westgotischen Segel vor der Stadt erscheinen. Bis dahin reichen meine Speicher - der letzte Trost. Doch, das mahnt mich an deinen Wunsch: - Hier ist der Schlüssel zu dem Haupttor der Speicher. Ich trag' ihn Tag und Nacht auf meiner Brust. Bewahre ihn wohl: - er verwahrt meine letzte Hoffnung. Er schließt das Leben von vielen Tausenden ein. Es war meine einzige Mühewaltung, die nicht fruchtlos blieb. Mich wundert», fügte er schmerzlich hinzu, «daß nicht die Erde sich aufgetan hat oder Feuer vom Himmel gefallen ist, diese meine Bauten zu verschlingen.»
Und er nahm den schweren Schlüssel aus dem Brustlatz seines Wamses. «Hüt' ihn wohl, es ist mein letzter Schatz, Mataswintha.»
«Ich danke dir, Witichis - König Witichis -», sagte sie, verbessernd, und griff
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