Karl Kip war derselben Meinung, als er die Sonne durch die purpurroten Dunstmassen am Horizonte aufsteigen sah. Das Meer »fühlte schon etwas«, und gelegentlich vernahm man bereits das Anschlagen leichter Wellen.

»Es sollte mich wundern, sagte der Kapitän, wenn wir nicht binnen ein oder zwei Stunden Segelwind hätten.

- Und wenn der dann nur vier Tage anhielte, setzte Hawkins hinzu, würden wir unser Ziel erreicht haben.

- Ja freilich, antwortete Gibson, denn von hier haben wir nur noch dreihundert Seemeilen bis Neuirland.«

Vorausgesetzt, daß Gibsons Meinung sich bestätigte, die Windstille also mit dem heutigen Morgen aufhörte, war die Reise des »James-Cook« eine recht günstig verlaufene zu nennen. Er befand sich dann ja im Gebiete des Südostpassats, der vom Mai bis zum November weht und in den übrigen Monaten des Jahres von dem Monsun abgelöst wird.

Gibson hielt sich also bereit, auch die oberen Segel beisetzen zu lassen, sobald der Wind sie anspannen könnte. Es war ja nicht zu zeitig, sich aus der gefährlichen Gegend von Papuasien und der Louisiaden zu entfernen. Wurde der »James-Cook« erst unter vollen Segeln von einem günstigen Winde getrieben, so konnten ihn keine mit Pagaien bewegten Piroguen mit oder ohne Ausleger einholen, wenn die Eingebornen ja ihren Angriff erneuern wollten.

Das geschah indes nicht. Die Waffen, Gewehre und Revolver wurden deshalb wieder im Deckhause untergebracht und das kleine Geschütz von der Stückpforte zurückgezogen. Die Brigg brauchte sich nicht mehr zu einer Verteidigung bereit zu halten.

Bei dieser Gelegenheit erwähnte Gibson auch die verirrte Kugel, die ihn in der Nacht fast gestreift hatte, als Karl Kip gerade den Kapitan zurückstieß und ins Meer stürzte.

»Wie? rief Hawkins erstaunt, du wärest beinahe.

- Beinahe getroffen worden, lieber Freund; noch einen halben Zoll tiefer, und ich hätte einen durchlöcherten Schädel gehabt.

- Davon wußten wir ja bis jetzt noch gar nichts, erklärte Pieter Kip. Sind Sie denn Ihrer Sache gewiß, daß es sich dabei um einen Schuß handelte? Sollte es nicht ein von den Wilden abgeschossener Pfeil oder eine Zagaie gewesen sein?

- Nein, entgegnete Nat Gibson. Hier ist der Hut meines Vaters; Sie sehen doch, daß er von einer Kugel durchbohrt ist«

Eine Besichtigung des Hutes ließ hierüber keinen Zweifel übrig. Bei dem Kampfe in tiefer Finsternis war es ja nichts so Auffälliges, daß ein Revolver in falscher Richtung abgefeuert worden war, und deshalb ließ man den Vorfall auf sich beruhen.

Gegen halb acht Uhr war die Brise kräftig und stetig genug geworden, daß die Brigg in der Richtung nach Nordnordwesten weiterfahren konnte. So wurden denn Bram- und Oberbramsegel, Lee- und Stagsegel, die beim Backstagsegeln recht wirksam sind, sofort wieder gehißt, und sobald alles in Ordnung war, nahm der »James-Cook« seine etwa zwanzig Stunden unterbrochene Fahrt wieder auf.

Noch vor der Mittagsstunde wurde der nördliche Landvorsprung der Insel Entrecasteaux umschifft. Weiter draußen kam dann noch einmal das große Land in Sicht mit dem zerrissenen Kamme des hohen Bergzuges, der hinter der Ostküste von Neuguinea emporragt.

So weit der Blick reichte, war das Meer völlig verlassen und jede Befürchtung wegen eines erneuten Überfalles also ausgeschlossen. Nach Osten hin dehnte sich die ungeheuere Wasserfläche bis zu der Linie aus, wo Himmel und Wasser sich berühren.

Brauchte man sich jetzt wegen der Eingebornen also keine weitere Sorge zu machen, so war dafür aber auf plötzliche starke Windstöße zu achten, die in diesem Teile des Großen Ozeans zwischen Papuasien, den Salomonsinseln und den nördlich davon gelegenen Inselgruppen ziemlich häufig auftreten. Sie dauern übrigens niemals lange an und sind nur gefährlich für nachlässige und unerfahrene Kapitäne, die sich davon überraschen lassen. Man nennt sie »schwere Böen«. Ein Fahrzeug, das nicht auf seiner Hut ist, läuft dabei Gefahr, zu kentern.

Im Laufe dieses Tages und der folgenden Nacht war von einer solchen Bö nichts zu spüren und die Richtung des Windes blieb unverändert. Als der »James-Cook« die unfruchtbare und unbewohnte Insel Monyon, die sich in der Mitte eines Korallenringes, eines sogenannten Atolls, erhebt, an Backbord hinter sich gelassen hatte, kam er auf ein, weniger von madreporischen Bänken durchsetztes Meer und konnte seine mittlere Geschwindigkeit von zehn Seemeilen in der Stunde sorglos beibehalten.

Es liegt auf der Hand, daß sich die von Flig Balt, Vin Mod und den anderen herbeigewünschte Gelegenheit unter diesen Verhältnissen nicht bieten konnte. Gibson, sein Sohn, der Reeder und die Gebrüder Kip suchten für die Nacht ihre Kabinen ebensowenig auf, wie die Matrosen Hobbes, Wickley und Burnes oder der Schiffsjunge Jim das Volkslogis. Es war daher unmöglich, sich des Kapitäns durch einen herbeigeführten Unfall zu entledigen, denn dieser war niemals allein auf dem Verdecke.

Obwohl die jetzige Jahreszeit für die große Küstenfahrt in den melanesischen Meeren die günstigsten Aussichten bot. begegnete die Brigg auf ihrem Wege doch keinem einzigen Schiffe. Eine Erklärung dafür liegt darin, daß auf den Inselgruppen zwischen dem Äquator und dem nördlichen Teile

Papuasiens bisher sehr wenige Kontore und Faktoreien entstanden sind und zu einem regeren Handelsverkehre, wie er sich in Zukunft jedenfalls entwickeln wird, noch keinen Anstoß gegeben haben.

Wir geben im folgenden einen gedrängten Überblick über die politische und geographische Verteilung dieser Archipele.

Seit langen Jahren schon hatte England, alter Gewohnheit gemäß, mit mehr oder weniger Berechtigung seine Schutzherrschaft über die Nachbarinseln von Neuguinea ausgedehnt, bis es 1884 zu einem Vertrag zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreiche kam.

Infolge dieses Vertrages wurden alle Inseln im Nordosten von Papuasien bis zum hunderteinundvierzigsten Grade der Länge östlich von Greenwich als deutsche Besitzungen erklärt.

Damit erhielt das Kolonialgebiet des Deutschen Reiches, das es sich bald sehr angelegen sein ließ, Einwanderer hierher zu ziehen, einen Bevölkerungszuwachs von rund hunderttausend Seelen.

Wir möchten die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Hauptgruppe in dieser Inselwelt hinlenken, in der sich unsere Erzählung abspielt.

Die beiden bedeutendsten Inseln der Gruppe sind Tombara oder Neuirland, und Biara oder Neubritannien. Beide haben die Gestalt eines engen Bogens. Die erste ist von Neuguinea durch die Dampierstraße getrennt. Der St. Georgkanal verläuft mitten durch zahlreiche Korallenriffe von der Süd- nach der Nordostspitze der zweiten.

Auf den Karten findet man ferner die wesentlich kleineren Inseln Hannover und York, nebst einigen anderen bewohnten oder unbewohnten Eilanden - das Ganze mit einer Oberfläche von fünfzehnhundertachtzig Quadratkilometern.

Natürlich wurden nach dem Teilungsvertrag der beiden Mächte die früher melanesischen oder englischen Namen der

Inseln durch deutsche ersetzt; so ist Tombara oder Neuirland zu Neumecklenburg geworden, Birara oder Neubritannien wurde zu Neupommern, und York zu Neulimburg umgetauft. Nur Neuhannover hat seinen ja an sich schon germanischen Namen behalten.

Nun galt es noch, der Gesamtheit der Inseln, die in diesem Teile des Großen Ozeans eine ziemlich bedeutende Besitzung bilden, einen gemeinschaftlichen Namen zu geben, und heute findet

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