entfernt.
Jedenfalls konnte diese Insel wenigstens für kurze Zeit in Sicht kommen. Sie steigt als hohe Bergmasse im Nordosten auf, und wenn man sie sah, bewies das, daß der »James-Cook« aus seinem Kurse bis zum hundertdreiundfünfzigsten Grade östlicher Länge abgetrieben worden war.
Flig Balt und Vin Mod sahen es wahrscheinlich nicht ungern, sich in dieser Weise vom bisher verfolgten Wege verschlagen zu sehen, da das mindestens eine Verspätung der Ankunft in Neuirland verursachen mußte. Die Gruppe der Salomonsinseln ist einem Handstreiche überhaupt günstig. Hier tummeln sich Abenteurer in Menge umher, und diese Gegend ist schon oft der Schauplatz verbrecherischer Unternehmungen gewesen. Der Bootsmann konnte auf der Insel Rossel oder einer der anderen recht leicht alte Bekannte finden, die sich nicht weigern würden, seine Pläne zu unterstützen. Und Vin Mod, der ja seinen Schiffssack schon überall auf dem Großen Ozean umhergeschleppt hatte, begegnete erst recht vielleicht alten Kameraden, die zu allem fähig waren.
Am ärgerlichsten war es für den Bootsmann aber, daß Len Cannon und dessen Genossen ihm unablässig zusetzten. Unter den jetzigen Verhältnissen, erklärten sie wiederholt, wollten sie auf keinen Fall noch weiter mitfahren.
»Ist die Sache nicht vor dem Eintreffen in Port-Praslin abgetan, so kommen wir dort nicht wieder an Bord, das steht fest!
- Und was sollte in Neuirland aus euch werden? bemerkte Vin Mod.
- O, dort nimmt man uns als Kolonisten auf, antwortete Len Cannon. Die Deutschen brauchen kräftige Arme. Dann warten wir eine gute Gelegenheit ab, die sich in Tasmanien doch niemals böte. nach Hobart-Town gehen wir aber niemals.«
Dieser Entschluß brachte Flig Balt und seinen Genossen natürlich nicht wenig in Wut. Fehlten ihnen die vier Burschen, so mußten sie auf ihre Pläne überhaupt verzichten. Sollte ihnen also auch diese Fahrt des »James-Cook« nicht den Nutzen bringen, den sie davon erhofft hatten?
Wenn Len Cannon, Kyle, Sexton und Bryce in Port-Praslin desertierten, würde es dem Kapitän freilich sehr erschwert sein, von da wieder auszulaufen. An die Anmusterung neuer Matrosen war auf der Insel Tombara ja kaum zu denken. Port-Praslin war weder Dunedin, noch Wellington oder Auckland, wo es für gewöhnlich viele Seeleute gibt, die nur darauf warten, sich einzuschiffen.
Hier gab es nur auf eigene Rechnung arbeitende Kolonisten oder Angestellte in den verschiedenen Handelshäusern; es bot sich also gewiß keine Gelegenheit, etwaige Lücken in einer Mannschaft auszufüllen.
Gibson wußte aber nicht, was ihm drohte, und hatte überhaupt keine Ahnung von dem gegen ihn und sein Schiff angezettelten Komplotte. Die zuletzt angeworbenen Matrosen hatten bisher zu keiner Klage Anlaß gegeben. Auch der immer unterwürfige und willfährige Flig Balt konnte keinerlei Verdacht bei seinem Kapitän aufkommen lassen. Hatte er Hawkins ebenso zu täuschen verstanden, so behielten ihn die Gebrüder Kip, denen er nun einmal kein Vertrauen einflößte, immer scharf im Auge, was ihm übrigens nicht entgangen war. Wahrlich, das reine Unglück, die Schiffbrüchigen von der Insel Norfolk gerettet zu haben! Und wenn der »James-Cook« diese wenigstens in Port-Praslin abgesetzt hätte! Doch nein, er sollte sie ja auch bis Hobart-Town mit zurückbringen.
Was Len Canon und seine Genossen anging, war die Hoffnung, die sie daran geknüpft hatten, nach dem Salomonsarchipel verschlagen zu werden, nur von kurzer Dauer. Nach drei Stunden - so lange wütete die Bö mit voller Gewalt - nahm der Sturm plötzlich ein Ende und der Wimpel am Großmast flatterte nicht mehr ausgestreckt in der Luft. Unter der Führung Karl Kips hatte sich das Schiff vortrefflich gehalten und nicht einmal eine der so gefährlichen Sturzseen übergenommen, denen man sonst beim Segeln vor dem Winde so selten entgeht. Dann steuert ein Fahrzeug entweder gar nicht oder doch nur sehr schlecht, und es wird stets schwierig, dessen Schwanken von einer Seite zur anderen zu vermeiden. Karl Kip hatte hier Gelegenheit gehabt, seine Geschicklichkeit und Kaltblütigkeit glänzend zu erweisen. Kein Mann aus der Besatzung hätte während der Sturmbö das Ruder besser regieren können, als er.
Wenn sich der Wind auch urplötzlich legte, blieb das Meer doch noch länger furchtbar aufgewühlt. Die Wogen wälzten sich durcheinander, so als ob die Brigg inmitten einer schweren Brandung oder madreporischer Bänke segelte. Mindestens herrschte jetzt aber wieder Ruhe in der Atmosphäre, und nach einem tüchtigen Platzregen, der die Bö begleitet und die von Westen herangezogenen Wolken entleert hatte, sprang der Passatwind in seiner gewöhnlichen Richtung wieder auf.
Gibson ließ jetzt die Reffe der Marssegel wieder lösen und das Focksegel nebst Brigantine, sowie Bram- und Oberbramsegel beisetzen; nur die Leesegel wurden weggelassen, um die Maste nicht zu überlasten. Mit Steuerbordhalfen machte die Brigg so gute Fahrt, daß sie sich am nächsten Tage, am 19. nachdem sie von der Insel Bougainville aus hundertfünfzig Seemeilen zurückgelegt hatte, schon gegenüber dem St. Georgskanal befand, der zwischen den Bergküsten von Neuirland und Neuguinea verläuft.
Dieser Kanal hat nur einige Seemeilen Breite. Die Fahrt darauf ist nicht leicht, denn in seiner ganzen Länge erheben sich zahlreiche Klippen, er verkürzt aber die Fahrstrecke reichlich um die Hälfte. Für Schiffe, die die Westseite von Tombara unmittelbar umsegeln, statt sich an der Südküste von Birara zu halten und die Dampierstraße aufzusuchen, bedarf es gar sehr der Hand eines erfahrenen, ortskundigen Kapitäns, wie Harry Gibsons.
Im vorliegenden Falle kam das aber nicht in Frage, weil Port-Praslin an der Südseite Neuirlands, an der nach dem Großen Ozean gewendeten Küste und nahe am Kap Saint-Georges liegt, das fast am Eingange der Wasserstraße emporragt.
Da der »James-Cook« bei seiner Annäherung an das Land noch einmal von einer fast vollständigen Windstille überrascht wurde, hatten Hawkins, Nat Gibson und die Gebrüder Kip die beste Gelegenheit, diesen Teil der Küste eingehend zu besichtigen.
Das Gerippe der Insel wird von einer doppelten Bergkette gebildet, die im Mittel sechstausend Fuß hoch ist und von dem vorliegenden Punkte der Küste ausgeht. Beide Bergzüge sind bis zum Gipfel mit Wäldern bedeckt. Undurchdringlich für jeden Sonnenstrahl, strömt daraus fortwährend eine feuchte Luft herab, wodurch die Temperatur eine erträglichere bleibt als in anderen, dem Äquator benachbarten Gegenden. Jener Umstand vermindert also recht glücklich die starke Wärme, die im Bismarck-Archipel gewöhnlich herrscht, und es kommt nur selten vor, daß der Thermometer über achtundachtzig Grad Fahrenheit (30° C.) aufweist.
An diesem Tage kam die Brigg nur an wenigen Piroguen ohne Ausleger vorüber, die viereckige, fast quadratische Segel führten. Übrigens ist von den Eingebornen Neuirlands, oder -seit die schwarzweißrote Flagge darüber weht -Neumecklenburgs nichts mehr zu befürchten.
Keinerlei Zwischenfall störte die Ruhe der Nacht. Als die Brise nach vierundzwanzig Stunden wieder aufsprang, konnte man zwischen den zahlreichen madreporischen Bänken und Korallenriffen vor dem Eingange nach Port-Praslin nur eine verminderte Segelfläche führen. Jedes Schiff muß hier vorsichtig sein und alle Havarien zu verhüten suchen, da solche hier nicht leicht ausgebessert werden könnten. Die ganze Mannschaft mußte deshalb auf dem Verdeck bleiben, um für die oft plötzlich nötig werdenden Segelmanöver zur Hand zu sein. Selbstverständlich entbehren diese Küsten in der Nacht bisher noch der Leuchtfeuer, und die sonstigen Merkpunkte sind in der Dunkelheit natürlich nutzlos. Gibson war mit dem Fahrwasser in der Nähe von Port-Praslin jedoch hinlänglich bekannt.
Mit Tagesanbruch meldete die Wache den Eingang zu der mit hohen Bergen eingerahmten Reede. Der »James-Cook« fuhr bei Hochwasser durch die am besten schiffbaren Zugänge ein,
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