Gebrüder Kip und einige Angestellte von der Faktorei drangen in den Wald ein, wo sie die Lichtung kaum nach zehn Minuten erreichten.
Die Leiche lag noch ebenso da, wie die Mörder sie hinterlassen hatten, lang auf der Erde ausgestreckt und die erloschenen Augen übermäßig weit offen, als ob das Leben noch nicht ganz aus dem Opfer der Freveltat entflohen wäre.
Nat Gibson kniete neben seinem Vater nieder. Er umklammerte ihn, rief seinen Namen und auch den seiner Mutter, der unglücklichen Frau, die die Nachricht von dem schrecklichen Ende ihres Gatten wohl kaum überleben würde.
Hamburg, der es sich zur Pflicht machte, den Tatbestand sorgsam aufzunehmen, prüfte die noch im Grase sichtbaren Spuren und glaubte aus den noch frischen Fußabdrücken schließen zu dürfen, daß zwei Personen an dem Morde beteiligt gewesen wären. Als er dann die Bekleidung Gibsons beseitigte, konnte er nachweisen, daß die Brust eine Wunde zeigte, die von einer gezahnten Klinge herrührte und die nur wenig geblutet hatte. Das Geld und die Papiere des Kapitäns waren -vorläufig spurlos - verschwunden.
Es lag also auf der Hand, daß Raubsucht die Veranlassung zu dem Verbrechen war. Doch wer hatte es begangen?. Etwa ein Ansiedler von Kerawara?. Das erschien von Anfang an zweifelhaft. - Vielleicht halbwilde Eingeborne?. Solchen war das schon eher zuzutrauen. Doch wie und wo war eine Entdeckung der Mörder möglich?. Nach der Freveltat hatten diese jedenfalls Kerawara schleunigst auf ihrer Pirogue verlassen und sich nach der Insel York in Sicherheit gebracht. Nach wenigen Stunden konnten sie sich ja schon der Möglichkeit einer Verfolgung entzogen haben.
Es gewann also den Anschein, daß der Mord ebenso ungesühnt bleiben werde, wie so viele andere, die in dieser Gegend zwischen Neuguinea und den Salomonsinseln schon begangen worden waren.
Zunächst galt es nun, den Toten nach der Faktorei zu schaffen. Herr Hamburg hatte schon eine Tragbahre besorgt, auf die man den Entseelten legte. Dann begaben sich alle, Nat Gibson auf den Arm des Reeders gestützt, nach dem Hafen zurück.
Die Leiche wurde hier in einem größeren Zimmer der Faktorei untergebracht, während Hamburg seine Aufklärungsversuche fortsetzte. Die Beerdigung, die letzte traurige Feierlichkeit, sollte schon am nächsten Tage vor sich gehen, denn in dem heißen Klima der Tropen beginnt die Zersetzung von Leichen sehr bald.
Der in Kerawara tätige Missionar stellte sich ein, kniete nieder und betete neben dem Opfer.
Zieger führte Nat Gibson an Bord zurück, wo der junge Mann in einem beunruhigenden Zustande völliger Entkräftung auf seinem Lager liegen blieb.
Hamburg vernachlässigte es inzwischen nicht, alles zu erforschen, was geeignet schien, ihn auf die Spur der Mörder zu leiten. Nachdem er Zieger und Hawkins nochmals nach der Faktorei mitgenommen hatte, besprach er sich darüber mit diesen, und als sie ihn fragten, wer seiner Vermutung nach die Urheber des Verbrechens gewesen sein könnten, antwortete er mit Überzeugung:
»Jedenfalls einige Eingeborne.
- Die hätten den unglücklichen Gibson berauben wollen? fragte Hawkins etwas ungläubig.
- Jawohl; sie werden erfahren haben, daß er eine größere Geldsumme bei sich trug. daraufhin werden sie ihn abgelauert haben, ihm in den Wald gefolgt sein, wo sie ihn dann überfielen und ausplünderten.
- Wie soll man sie aber entdecken? sagte Zieger.
- Das wird fast unmöglich sein, erklärte Hamburg. Auf welche Andeutungen sollten wir uns stützen. Nachforschungen anzustellen?
- Eines erscheint mir in erster Linie angezeigt, meinte Zieger, die von der Waffe des Mörders herrührende Wunde sollte photographiert werden, und wenn sich diese Waffe fände, wäre vielleicht auch zu entdecken, wem sie gehörte.
- Sie haben recht, antwortete Hamburg, und ich bitte Sie, Herr Hawkins, die Aufnahme der Wunde auszuführen.
- Ja. ja gewiß! stimmte Hawkins lebhaft, doch mit bebender Stimme ein, das abscheuliche Verbrechen darf nicht ungestraft bleiben!«
Zieger begab sich nach dem Schiffe, um den photographischen Apparat zu holen und kam nach wenigen Minuten damit zurück. Die Brust des Kapitän Gibson wurde entblößt und erst noch eine ganz genaue Besichtigung der Wunde vorgenommen. Diese maß in der Breite kaum einen halben Zoll und an einer Seite zeigte ihr Rand eine Zahnung, als ob sie durch eine Säge verursacht worden wäre.
Daraufhin begann Hamburg:
»Sie sehen, daß der Todesstoß mit der Waffe eines Eingebornen geführt worden ist. mit einem malaiischen Kriß mit gezahnter Klinge, wie sich die Eingebornen solcher allgemein bedienen«
Nun wurden zwei - tadellos gelungene - Aufnahmen gemacht. Die eine zeigte die Brust, die andere den Kopf Harry Gibsons. Seine Augen standen noch immer weit offen, und erst jetzt drückte Hawkins sie dem Freunde zu. Die Photographien sollten der weiteren Verfolgung der Angelegenheit wegen in den Händen des Herrn Hamburg bleiben. Hawkins behielt dagegen die Platten, um noch mehrere Abzüge herstellen zu können. Das Bild seines unglücklichen, in Kerawara umgekommenen Freundes sollte auch nach seiner Vaterstadt mitgenommen werden.
Schon am Nachmittage mußte die Leiche eingesargt werden und die Beerdigung sollte am nächsten Morgen stattfinden.
Auf dem kleinen Friedhofe von Kerawara wurde also eine Grabstelle gewählt, denn es wäre unmöglich gewesen, zu warten, bis in Port-Praslin ein Grab ausgehoben würde, die sterblichen Überreste des Ermordeten aufzunehmen.
Der traurige Tag verstrich unter allgemeiner Verzweiflung. Dann kam die Nacht, die Nat Gibson unter schwerem Seufzen, doch ohne nur eine Minute Schlaf zu finden, hinbrachte.
Am nächsten Tage erfolgte die Beerdigung, an der sich alle deutschen und englischen Bewohner Kerawaras beteiligten. Die Flagge des »James-Cook« wehte in Schau, die anderen Schiffe im Hafen hatten alle Halbmast geflaggt.
Der mit der Nationalflagge bedeckte Sarg wurde von vier Leuten von der Brigg getragen. Nat Gibson, der Gouverneur, Hawkins und Zieger gingen unmittelbar hinterher, und ihnen folgten Flig Balt und die übrigen von der Mannschaft, denen sich viele Matrosen von anderen Schiffen angeschlossen hatten.
Der dem Sarge vorausschreitende englische Missionar sprach auf dem Wege liturgische Gebete.
So erreichte der Trauerzug den Friedhof und vor dem Grabe hielt Herr Hamburg noch eine kurze Gedächtnisrede zu Ehren des Kapitän Gibson.
Der Schmerz Nat Gibsons ergriff alle Anwesenden aufs tiefste. Hawkins vermochte den jungen Mann kaum aufrecht zu erhalten, der sich noch einmal auf den Sarg des geliebten Vaters warf. Dann ließ man den Sarg in die Grube hinuntersinken, und an der Grabstelle wurde ein von Herrn Hamburg besorgtes Holzkreuz mit folgender Inschrift aufgerichtet:
Zum Andenken an den Kapitän Harry Gibson aus Hobart-Town, ermordet am 2. Dezember 1885.
Sein Sohn, seine Freunde, seine Mannschaft und die Bewohner Kerawaras. Gott gebe seiner Seele Frieden!
Die fortgesetzten Nachforschungen des Herrn Hamburg waren bisher erfolglos gewesen. Nach vollbrachter Tat hatten sich die Mörder ohne Zweifel beeilt, Kerawara zu verlassen, um sich unter die Eingebornenstämme von Neulauenburg zu flüchten. Unter solchen Umständen war
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