leider kaum auf eine Aufhellung des düsteren Geheimnisses zu rechnen, denn Piroguen der Eingebornen waren meist den ganzen Tag zwischen der Insel und dem Eiland unterwegs, ein nach diesem vielleicht schnell zurückkehrendes Boot wäre also nicht im geringsten aufgefallen. Die Waffe, deren sich der Mörder bedient hatte, und damit vielleicht auch diesen selbst zu entdecken, das hing doch nur von einem glücklichen Zufall ab, auf den man kaum seine Hoffnung setzen konnte.
Die Brigg verlängerte ihren Aufenthalt an Kerawara nicht weiter. Schon am Morgen, wo sich das Gerücht von dem Morde verbreitete, war sie segelfertig gewesen, um nach Port-Praslin zurückzukehren.
In Übereinstimmung mit Herrn Zieger ließ Hawkins deshalb den Bootsmann ins Deckhaus rufen.
»Flig Balt, redete er diesen an, der 'James-Cook' hat seinen Kapitän verloren.
- Ein großes Unglück, antwortete Flig Balt, dessen Stimme merkbar, doch nicht vor Schmerz, zitterte.
- Ich weiß, fuhr Hawkins fort, wie viel Vertrauen mein unglücklicher Freund in Sie setzte, und ich denke, daß auch ich dasselbe Vertrauen zu Ihnen hegen kann.«
Der Bootsmann verbeugte sich mit niedergeschlagenen Augen, ohne auf die Anrede ein Wort zu erwidern.
»Morgen, Flig Balt, erklärte der Reeder weiter, wird der 'James-Cook' absegeln, und Sie werden ihn nach Hobart-Town zurückführen.
- Wie Sie befehlen, Herr Hawkins,« antwortete Flig Balt, sich zurückziehend.
Hawkins hatte zwar ausgesprochen, daß der Bootsmann vorläufig Gibson in der Führung des Schiffes vertreten, nicht aber, daß er dessen Kapitän sein sollte. Vielleicht dachte er gar nicht daran, jenem diesen Titel ausdrücklich zu verleihen, und erachtete es für hinreichend, daß Flig Balt dessen Obliegenheiten auf der Fahrt vom Bismarck-Archipel bis Tasmanien auf sich nahm. Dem Bootsmann war das nicht entgangen, und gleich nachher sprach er sich Vin Mod gegenüber über die Sache aus.
»Ach, das ist ja gleichgültig! erwiderte der Matrose. Zunächst bringen wir die Brigg nach Port-Praslin zurück. Ob du dann Kapitän oder Obersteuermann bist, das kommt auf eins hinaus, Balt! Sind wir erst im Besitz des Fahrzeuges, so ernennen wir uns einen Kapitän, und ich will mich doch an den Füßen aufbaumeln lassen, wenn unsere Ernennung nicht ebenso viel wert wäre, wie die des Reeders Hawkins!«
Wenn Len Cannon und dessen Genossen auch noch nicht wußten, daß Flig Balt und Vin Mod die Mörder Gibsons waren, so glaubten sie doch fest, daß die Brigg nun nicht mehr nach Hobart-Town zurückkehren werde, und deshalb sprachen sie auch gar nicht weiter vom Davonlaufen.
Am Morgen des 5. Dezembers verabschiedete sich Hawkins von dem Gouverneur der Insel. Hamburg schloß Nat Gibson in die Arme und versprach ihm nochmals, nichts zu versäumen, daß die Mörder seines Vaters entdeckt würden. Gelang ihm das, so werde die deutsche Justiz mit diesen schon kurzen Prozeß machen und sie ihre Schandtat mit dem Kopfe büßen lassen.
Dann nahmen noch Hawkins, Zieger und Karl und Pieter Kip - alle in traurigster Stimmung - von dem Gouverneur und den Beamten und Angestellten der Faktoreien von Kerawara Abschied.
Die Abfahrt erfolgte unter dem Befehle Flig Balts.
Eine Stunde später war die Brigg über die madreporischen Bänke vor der Insel hinaus. Sie steuerte nun nach Südosten, wobei das Kap Barard, die hervortretendste Spitze von York, bald außer Sicht kam, und wendete sich damit dem Sankt Georgskanal zu.
Die kurze Überfahrt beanspruchte voraussichtlich nur vierundzwanzig Stunden. Die Mannschaft tat ihre Schuldigkeit, so daß Flig Balt über sie nicht zu klagen hatte. Bei dem günstigen Winde waren kaum Segelmanöver nötig, höchstens wurden die Schoten einmal mehr oder weniger angezogen. Ob Flig Balt ein guter Seemann war oder nicht, das ließ sich auf der kurzen Fahrtstrecke nicht entscheiden, dazu mußte man warten, bis er das Schiff nach Hobart-Town zurückgeführt hätte. Übrigens bezog der Mann nicht die verwaiste Kabine des Kapitäns, sondern behielt ruhig die seinige nahe dem Eingange der gemeinschaftlichen Kajüte.
In der Nacht, als Len Cannon mit Vin Mod die Wache hatte, antwortete dieser auf eine Frage des ersten über die Lage der Dinge in einer Weise, die den Fragesteller und dessen Genossen befriedigen mußte. Der »James-Cook« werde nicht nach Tasmanien zurückkehren. Kapitän oder nicht. Flig Balt wird schon wissen, ihn von seinem Kurse abzulenken. Einmal in der Nähe der Salomonsinseln, werde es leicht sein, mit den Passagieren fertig zu werden. Dort gebe es ja stets abenteuerlustige, »brave« Matrosen, die im Notfall gern bereit sein würden, sie tatkräftig zu unterstützen. Len Cannon und die übrigen hätten also nicht die geringste Veranlassung, vom »James-Cook« wegzulaufen, da sie doch bald zu dessen Herren gehören würden.
Am Morgen des 6. Dezembers kamen die Höhen von Lanut in Sicht. Noch am Vormittage sollte das Schiff jedenfalls vor dem Ziegerschen Kantor vor Anker gehen.
Da es mit seiner Flagge in Schau einlief, verstand man es in Port-Praslin, daß sich ein Unglück ereignet haben mußte.
Wie schwer traf aber alle die Nachricht, unter welchen Umständen Gibson einen plötzlichen Tod gefunden hatte! Frau Zieger, die nach dem Kai gekommen war, schloß Nat Gibson sofort in die Arme, als dieser ans Land kam. Vor Schluchzen vermochte sie kaum ein Wort hervorzubringen.
»Mein armer Nat!. Mein unglückliches Kind!. Und Ihre Mutter. Ihre Mutter!« rief sie wiederholt, während ihr die Tränen aus den Augen perlten.
Nat Gibson und mit ihm Hawkins mußten die Einladung annehmen, die letzten Tage ihres Aufenthalts hier in Wilhelmstaf zuzubringen. Beide bezogen also noch einmal die früher bewohnten Zimmer und nahmen an demselben Tische Platz in dem gastfreundlichen Hause, das Harry Gibson nicht mehr betreten sollte.
Herr Zieger wollte es niemand anderem überlassen, die Verladung der hundertfünfzig Tonnen Koprah zur Vervollständigung der Fracht der Brigg zu überwachen. Ihn unterstützten dabei nur Karl und Pieter Kip, die das Schiff auch nicht auf eine Stunde verließen. Der ältere der beiden Brüder verstand sich gründlich auf die Verstauung der Ballen, und auch Flig Balt hatte das ohne besondere Mühe erledigt, da die Mannschaft ihn eifrig unterstützte.
Nach Unterbringung der Koprah im Frachtraume, verteilte man die nach Hobart-Town bestimmten Kisten mit Perlmutter auf dem Vorder- und dem Hinterdeck. Da der Kapitän vor dem Abstecher nach Kerawara noch alles hatte reinigen und, wo nötig, frisch anstreichen lassen, erlitt die Abfahrt keine Verzögerung durch derartige Arbeiten.
Am Nachmittage des 9. war alles fix und fertig.
Am Abende desselben Tages kehrten Hawkins und Nat Gibson unter Begleitung des Ziegerschen Ehepaares an Bord zurück, damit der »James-Cook« am folgenden Morgen abfahren könnte.
Als sie eintrafen, wurden sie von Flig Balt, der an der Bordleiter stand, empfangen.
»Nun, ist jetzt alles bereit? fragte der Reeder.
- Alles, Herr Hawkins!
- So gehen wir morgen in See, Flig Balt. Sie haben die Brigg von Kerawara nach Port-Praslin gebracht, führen Sie sie nun auch von Port-Praslin nach Hobart-Town. Sie werden in Zukunft den Befehl auf dem Schiffe führen.
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