Eine halbe Stunde lang ging die wilde Fahrt verhältnismäßig günstig weiter, nur machte es Schwierigkeiten, Gierschläge der Brigg nach Back- und nach Steuerbord zu verhüten, denn inmitten der mit gleicher Schnelligkeit wie sie dahinstürmenden Wogen, war das Steuer fast ohne Wirkung. Jeden Augenblick lief die Brigg Gefahr, von den gurgelnden Wasserbergen mit der Breitseite gegen den Wind gestellt zu werden. Das hätte ihre Lage ungemein verschlimmert, da sie dann Wasser von der Seite her überzunehmen drohte.
Dennoch war es unmöglich, die Segelfläche zu vergrößern. Eines der Klüversegel, das Flig Balt hatte setzen lassen, um das Steuer wirksamer zu machen, flog sofort in Fetzen davon. Das
Marssegel drohte jeden Augenblick zu zerreißen. Schon drängte sich die Frage auf, ob es nicht dahin kommen werde, vor Top und Takel (d. h. ohne jedes Segel) zu treiben, das bedeutet aber, daß ein Schiff dann gar keine Richtung mehr einzuhalten vermag und auf Gnade und Ungnade zum Spielball der Wellen wird.
Kurz nach Mitternacht konnte sich auch der beschränkteste Matrose nicht mehr verhehlen, daß es mit dem »James-Cook« so nicht weiter gehen könne. Seine Gierschläge folgten einander ohne Unterlaß und er wurde in schlimmster Weise hin und her gepeitscht.
Da die Schnelligkeit der Wellen die seinige um das Doppelte übertraf, gehorchte er dem Steuer nicht mehr im geringsten.
Hawkins verhehlte die Unruhe nicht, die ihn verzehrte. Es handelte sich bei ihm weniger um das Schiff und um dessen Fracht, die man im Notfalle einfach über Bord geworfen hätte, sondern vielmehr um das Leben der Passagiere und der Mannschaft. Hatte Flig Balt auch die Verantwortlichkeit als Schiffer, so traf ihn, den Reeder, doch die, diesen zum Kapitän des »James-Cook« ernannt zu haben. Und wenn nun der frühere Bootsmann nicht auf der Höhe seiner Aufgabe stand, wenn die Sicherheit der Brigg durch seinen Mangel an Erfahrung in Gefahr gebracht wurde. wenn Karl Kip. der doch auch Seemann war, Flig Balt gegenüber recht haben sollte.
Alle diese Gedanken und Zweifel gingen Hawkins jetzt im Kopfe herum. Er äußerte sie auch gegen Nat Gibson, der seine Befürchtungen teilte und wenig Vertrauen zu Flig Balt an den Tag legte.
Kam dieser gelegentlich in ihre Nähe, so hielt ihn Hawkins an und legte ihm dringend verschiedene Fragen vor, die dieser nur mit unverständlichen, zusammenhangslosen Phrasen beantwortete, aus denen nur seine eigene Ratlosigkeit und sein
Mangel an Kenntnissen gegenüber der drohenden Gefahr hervorging.
Und als der Reeder sich beim Aufleuchten der letzten Blitze nach Karl Kip umwendete, sah er diesen bei seinem Bruder stehen, auf den er mit gedämpfter Stimme einsprach, und in der Haltung eines Mannes, der in heftigster Gemütserregung sich kaum noch zu bemeistern imstande ist. Ja man konnte glauben, daß Karl Kip auf das Steuerruder losstürzen und die Brigg wieder in die entgegengesetzte Richtung zu zwingen versuchen würde.
Wohin sollte man beim ferneren Einhalten der jetzigen Richtung endlich kommen, immer vorausgesetzt, daß das Schiff nicht gar zu schwere Sturzseen übernahm und dabei zum Kentern gebracht wurde, wenn man nicht noch rechtzeitig die Masten kappte? Mitten in dem Gewirr der Salomonsinseln mit deren vielen Rissen und Bänken, war es ja bedroht, mit Mann und Maus zu versinken.
Flig Balt erkannte das ja auch und Vin Mod nebst den übrigen Leuten nicht minder. Hielt der Sturm noch achtundvierzig Stunden an, so bedeutete das den Untergang der Brigg. Die einfachste Klugheit verlangte die Umkehr nach Westen um jeden Preis und so lange noch ein Stück Leinwand halten wollte.
Flig Balt wollte es versuchen. Es handelte sich damit um ein auf dem aufgewühlten Meere höchst gefährliches Manöver, und vielleicht erwies sich eine vollständige Schwenkung des Schiffes überhaupt unmöglich.
Das Steuer wurde also umgelegt und die Brigantine gehißt, um die geplante Bewegung zu unterstützen.
Da neigte sich die Brigg schon so weit nach Backbord über, daß das Ende der großen Raa in den Wochenschau eintauchte.
Im gleichen Augenblick stürmte ein Mann auf Herrn Hawkins zu.
»Lassen Sie mich die Sache ausführen! rief er.
- Tun Sie Ihr Möglichstes!« antwortete der Reeder.
Da erkannte man sofort, was ein richtiger, kaltblütiger Seemann zu leisten vermochte, und was dieser im Vergleich zu dem früheren Bootsmann wert war.
Unter dem Befehle Karl Kips, bei seiner gebieterischen Stimme und der Klarheit der Anordnungen, die er traf, arbeitete die Mannschaft ohne Widerspruch und mit regstem Eifer. Der »James-Cook« richtete sich unter Bewahrung seiner Masten nach und nach wieder auf und unter Benützung kurzer Windstillen gelang es Karl Kip, ihn dem Wellengange gerade entgegenzustellen. Trotz ihres Ungestüms wurden die Sturzseen jetzt weniger gefährlich, da sie am Vorderteile - statt vorher am Hinterteile - des Schiffes aufbrodelten. Nun hißte man, wenn auch unter großen Schwierigkeiten, ein Sturmsegel, das den Druck des Windes auszuhalten vermochte. Unter ihrem Vormarssegel, in das Karl Kip ein Reff schlagen ließ und das scharf am Winde eingestellt wurde, hielt sich die Brigg ziemlich geradeaus, während der Matrose Burnes, ein vortrefflicher Steuermann, jedes Abweichen aus dem Kurse zu verhüten verstand.
Als diese Veränderung vor sich ging, trat Vin Mod wütend an Flig Balt heran.
»Mit dem Kapitän Kip an Stelle des Kapitäns Balt ist für uns alles verloren!« zischte er ihm ins Ohr.
Schon am nächsten Tage, am 21. Dezember, ließ der Sturm wider alles Erwarten merkbar nach. Das beruhte darauf, daß der Wind etwa um fünf Viertelskompaßstriche nach Westnordwest umgelaufen war.
Ein sehr glücklicher Umstand: die Brigg brauchte infolgedessen nicht mehr auf das Land zuzuhalten, sondern konnte nun wieder einen südlichen Kurs einschlagen.
Das tat denn auch Karl Kip, sobald der Wind es erlaubte, während er gleichzeitig das Großmars-, ein Fock- und das Gaffelsegel setzen ließ. Bei der frischen Brise mußte der »James-Cook« dann bald wieder einholen, was er auf der Flucht nach Osten verloren hatte.
Das Meer beruhigte sich freilich nicht so schnell, wie der Wind. Noch mehrere Stunden dauerte der schwere Wogengang an und die Brigg wurde stampfend und schlingernd in furchtbarer Weise umhergeworfen.
Gegen zehn Uhr brach die Sonne durch die Wolken. Karl Kip nahm eine Messung ihrer Höhe vor. Unter Mitbeachtung einer Mittagsbeobachtung ergab die Berechnung dieses Bestecks, daß das Schiff sich genau auf 150 Grad 17 Minuten westlicher Länge und 13 Grad 27 Minuten südlicher Breite befand.
Eben erschien da Herr Hawkins bei dem Holländer.
»Nehmen Sie meinen Dank, Herr Kip,« sagte er.
Karl Kip verneigte sich schweigend vor dem Reeder.
»Ja, ich danke Ihnen, fuhr dieser fort, danke Ihnen in meinem Namen und in dem der ganzen Besatzung, sowie aller.
- O, ich habe nur getan, was jeder Seemann unter den vorliegenden Umständen auch getan haben würde. Dafür hab' ich wohl keinen besonderen Dank verdient, und ich will nun die Führung dem Kapitän wieder abgeben.
- Nein, das nicht, erklärte Hawkins lauten und so bestimmten Tones, daß es alle hören mußten. In Übereinstimmung mit Nat Gibson bitte ich Sie, den Befehl
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