Bei günstigem Winde und ruhigem Wetter ging die Fahrt unter den erwünschtesten Umständen weiter. Karl Kip blieb es auch erspart, Ersatzmannschaften aufzunehmen, um das Schiff in den Hafen zu führen.
Alles in allem konnte sich Hawkins nur beglückwünschen, den unwürdigen Bootsmann durch einen Kapitän wie Karl Kip abgelöst zu haben.
Als die Brigg das Kap Pillar am südlichsten Ausläufer Tasmaniens in Sicht bekam, mußte sie gegen den Wind segeln und sogar lavieren, um zuerst diese Landspitze und dann, weiter im Westen, das Kap Raoul zu umschiffen. Von hier aus erforderte es vierundzwanzig Stunden, nach der Storm-Bai zu gelangen, die so tief in diesen Teil der tasmanischen Küste einschneidet. Die Gestaltung hoch aufsteigender Länder verändert oft die Richtung atmosphärischer Strömungen. Auch der »James-Cook« traf jetzt am Eingang zur Storm-Bai eine ziemlich frische südöstliche Brise an. Er durchschnitt die Bai von Süden nach Norden infolgedessen mit vollen Segeln, steuerte auf die Mündung des Derwentflusses zu und ging am 2. Januar Nachmittag gegen drei Uhr im Hafen von Hobart- Town glücklich vor Anker.
Band 2

Erstes Kapitel.
Hobart-Town
Tasmanien, 1642 von dem Holländer Abel Tasman entdeckt, trank 1772 das Blut des Franzosen Marion, wurde 1784 von Cook, 1793 von Entrecasteaux besucht und endlich von einem gewissen Baß, einem Arzte der australischen Kolonie, als Insel erkannt. Anfänglich führte es den Namen Van Diemensland, zu Ehren des Statthalters von Batavia, der Hauptstadt des Kolonialgebietes der Niederlande im äußersten Osten.
Als dann englische Einwanderer 1804 seinen Hauptort Hobart-Town gründeten, ging es in den Besitz Großbritanniens über.
Nachdem die Insel politisch zuerst Neusüdwales, einer der Provinzen des südlichen Australiens, angegliedert gewesen war - von dem es übrigens nur durch die hundertfünfzig (englische) Meilen breite Baßstraße getrennt ist - löste sich Van Diemensland später von diesem ab und hat seit dieser Zeit, wie die meisten überseeischen Besitzungen Englands, unter der Oberhoheit der Krone seine Unabhängigkeit zu wahren gewußt.
Es bildet eine fast dreieckige Insel, die vom 43. Grade südlicher Breite und vom 147. Grade östlicher Länge von Greenwich durchschnitten wird. Die Insel ist ziemlich groß, denn sie mißt ungefähr hundertfünfundsiebzig Meilen (280 km) bei fünfzig Meilen (80 km), sie ist auch recht fruchtbar, denn man erntet hier alle Erzeugnisse der gemäßigten Zone in reicher Menge. In neun Kreise geteilt, hat sie zwei Hauptorte, Hobart-Town und Lawncestou (früher Port Dalrymple), den einen an der nördlichen, den anderen an der südlichen Küste und beide verbunden durch eine vortreffliche Landstraße, die einst von australischen Strafgefangenen erbaut worden war.
Tatsächlich waren Deportierte die ersten Bewohner Tasmaniens, wo bald sehr umfängliche Strafanstalten entstanden, darunter die von Port-Arthur. Jetzt ist es, dank dem kolonisatorischen Geschick Großbritanniens, eine Heimstätte freier Menschen, wo die Zivilisation tiefe Wurzeln da geschlagen hat, während früher hier die schlimmste Wildheit herrschte.
Übrigens ist die eingeborne Bevölkerung vollständig verschwunden. Im Jahre 1884 konnte man als ethnologische Merkwürdigkeit den letzten Tasmanier, richtiger die letzte Tasmanierin, eine alte Frau vom Lande, zeigen. Von jenen geistig beschränkten und wilden, auf der untersten Stufe der Menschheit stehenden Negern ist kein einziger Vertreter mehr vorhanden, und dasselbe Schicksal wartet ohne Zweifel ihrer Stammesgenossen in Australien unter der mächtigen Hand Großbritanniens.
Hobart-Town liegt neun Meilen (146 km) von der Mündung des Flusses Derwent und im Hintergrunde der kleinen Bai Sullivan-Cove. Es ist regelmäßig, vielleicht gar zu regelmäßig angelegt, nach dem Vorbilde amerikanischer Städte, deren Straßen sich alle rechtwinkelig schneiden; seine Umgebungen sind aber höchst malerisch mit ihren tiefen Tälern und ihren dichten, von hohen Bergen überragten Wäldern. Daneben bezeugen die auffallende Zerrissenheit des Ufers um die Storm-Bai, die vielen Landspitzen der Insel Coqueville und die merkwürdigen Einschnitte in die Halbinsel Tasman die Gewalt der tellurischen Kräfte in der plutonischen Bildungszeit.
Der Hafen von Hobart-Town ist gegen die Seewinde sehr gut geschützt; überall hat er hinreichende Tiefe und bietet auf einer Reede sichere Ankerplätze. Er wird durch eine lange Mole verteidigt, die die Wogen ebenso unschädlich macht, wie ein Wellenbrecher, und der »James- Cook« fand hier seinen gewohnten Platz gegenüber dem Kontor des Hawkinsschen Hauses.
Hobart-Town zählt nur fünf- bis sechsundzwanzigtausend Einwohner. In der kleinen Welt von Reedern, Händlern und Schiffsagenten, die in der ausschließlich handeltreibenden Stadt die erste Rolle spielen, sind alle miteinander bekannt. Hat sich die Neigung zu wissenschaftlichen, künstlerischen und literarischen Studien in der lebhaften Stadt auch recht anerkennenswert entwickelt, so kommt dem Handel doch die größte Bedeutung zu.
Der Boden Tasmaniens ist von erstaunlicher Fruchtbarkeit, die Wälder hier mit den allerverschiedensten Baumarten sind sozusagen unerschöpflich. Seiner geographischen Lage nach der Spaniens auf der nördlichen Halbkugel entsprechend, liefert das Land Getreide, Kaffee, Tee, Zucker, Tabak, Faserstoffe, Wolle, Baumwolle, Wein und Bier. In allen Teilen der Insel steht die Viehzucht in Blüte, und an Obst jeder Art gibt es einen solchen Überfluß, daß man sagen könnte: Tasmanien würde hinreichen, die ganze übrige Welt mit Fruchtkonserven zu versorgen.
Hawkins nahm, wie der Leser weiß, unter den Großhändlern von Hobart-Town eine sehr geachtete Stellung ein. Sein Haus, dem auch Gibson als Teilhaber und als Kapitän für die Große Küstenfahrt angehört hatte, erfreute sich der Achtung und Teilnahme der weitesten Kreise. Das Unglück, das die Firma betroffen hatte, mußte also einen schmerzlichen Widerhall finden. Noch bevor der »James-Cook« seine Haltetaue ans
Land gebracht hatte, wußte auch schon die ganze Stadt, daß sich an Bord ein Unglück zugetragen haben müsse.
Gleich beim ersten Auftauchen der Brigg im Eingange zum Sullivan-Cove hatte ein Kontorgehilfe Frau Hawkins davon benachrichtigt. In Begleitung ihrer Freundin, der Frau Gibson, war die Dame sofort nach dem Hafen geeilt. Beide wollten zur Stelle sein, wenn der »James-Cook« am Kai festmachte.
Einzelne, hier bereits anwesende Leute beklagten schon das Erscheinen der beiden Damen. Hier war keine Täuschung möglich: statt am Ende der Gaffel, wehte die britische Flagge in Schau, d. h. in der Mitte der Trisse.
Mehrere Seeleute, die auf dem Molo standen, sprachen eben über den ungewohnten Anblick.
»Da hat sich ein Unfall ereignet!
- Wahrscheinlich ist während der Fahrt ein Matrose umgekommen...
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