4. Marthe Daubreuil war - abgesehen von Jack Renauld -die einzige mutma?liche Besitzerin des dritten Dolches.«
Poirot hielt inne und rausperte sich. »Allerdings - als ich von der Existenz des anderen Madchens - von der Existenz Bella Duveens, erfuhr, hielt ich es nicht fur unwahrscheinlich, da? sie Renauld getotet haben konnte. Die Losung befriedigte mich aber nicht, weil - wie ich dir schon einmal erklarte, Hastings - ein Sachverstandiger wie ich es gern mit einem ebenburtigen Gegner zu tun hat. Doch mu? man die Verbrechen nehmen, wie sie fallen, nicht wie man sie gern hatte. Es schien mir sehr unwahrscheinlich, da? Bella Duveen mit einem Papiermesser in der Hand spazierenging, aber naturlich konnte sie sich schon all die Zeit mit der Absicht getragen haben, an Jack Renauld Rache zu nehmen. Als sie tatsachlich hervortrat und den Mord gestand, schien alles vorbei zu sein. Und doch, mon ami, war ich nicht befriedigt. Ich war nicht befriedigt ...
Ich ging nochmals peinlich genau den Fall durch, und ich gelangte zu den gleichen Schlussen. War es nicht Bella gewesen, so konnte nur Marthe Daubreuil als Taterin in Frage kommen. Aber ich hatte nicht den kleinsten Beweis gegen sie!
Dann zeigtest du mir Dulcies Brief, und ich sah eine Moglichkeit, die Sache ein fur allemal zu ordnen. Den Originaldolch hatte Dulcie Duveen entwendet und ins Meer geworfen - da er, wie sie annahm, ihrer Schwester gehorte. Aber wenn nun dies der Dolch gewesen war, den Jack Marthe Daubreuil zum Geschenk gemacht hatte - nun, dann mu?te Bella Duveens Dolch noch unbenutzt in ihrem Besitz sein. Ich sagte dir kein Wort daruber, Hastings (es war fur Romantik nicht der geeignete Zeitpunkt), aber ich machte Mademoiselle Dulcie ausfindig, sagte ihr so viel daruber, als ich fur notig hielt, und veranlagte sie, die Habseligkeiten ihrer Schwester zu durchsuchen. Stelle dir mein Hochgefuhl vor, als sie mich, wie wir verabredet hatten, als Miss Robinson aufsuchte, um mir das kostbare Beweisstuck zu bringen.
In der Zwischenzeit hatte ich die notigen Schritte getan, um Marthe Daubreuil zum offenen Kampfe herauszufordern. Auf meine Veranlassung verstie? Madame Renauld ihren Sohn und erklarte, ihr Testament am folgenden Tage dahin abandern zu wollen, da? ihm niemals auch nur der kleinste Teil von seines Vaters Vermogen zufallen solle. Es war ein verzweifelter, aber notwendiger Schritt, und Madame Renauld war vollig bereit, ihn auf eigene Gefahr zu tun, obwohl sie unglucklicherweise zu erwahnen verga?, da? sie ein anderes Zimmer bezogen hatte. Ich vermute, sie hielt es fur selbstverstandlich, da? ich das wu?te. Alles, ereignete sich, wie ich voraussah. Marthe Daubreuil wagte einen letzten kuhnen Angriff auf die Millionen der Renaulds - und unterlag!«
»Was mich besonders wundert«, sagte ich, »ist, wie sie in das Haus gelangen konnte, ohne da? wir sie bemerkten. Es kommt mir wie ein Wunder vor. Wir lie?en sie in der Villa Marguerite zuruck, begaben uns direkt zur Villa Genevieve -und doch ist sie vor uns dort.«
»Ja, aber wir lie?en sie nicht zuruck. Sie verlie? die Villa Marguerite durch ein Hinterpfortchen, wahrend wir mit ihrer Mutter in der Halle plauderten. Auf diese Weise legte sie Hercule Poirot hinein, wie die Amerikaner sagen.«
»Aber der Schatten an der Fensterscheibe. Wir sahen Ihn doch vom Weg aus.«
»Eh bien, bis wir uns umsahen, hatte Madame Daubreuil gerade Zeit gehabt, die Treppe hinaufzueilen und den Platz ihrer Tochter einzunehmen.«
»Madame Daubreuil?«
»Ja. Zwar ist die eine alt, die andere jung, die eine braun, die andere blond, aber im Schattenri? an der Fensterscheibe gleichen die Profile einander sehr. Nicht einmal ich schopfte Verdacht - dreifacher Dummkopf, der ich war! Ich dachte, ich hatte reichlich Zeit vor mir - da ich annahm, da? sie erst viel spater versuchen wurde, in die Villa einzudringen. Sie war sehr klug, die schone Marthe Daubreuil.«
»Und sie beabsichtigte, Madame Renauld zu ermorden?«
»Ja, dann ware das ganze Vermogen auf den Sohn ubergegangen. Und Madame Renauld hatte Selbstmord begangen, mon ami! Neben Marthe Daubreuils Leichnam, auf der Erde, fand ich einen Wattebausch, ein kleines Flaschchen mit Chloroform und eine Injektionsspritze, die eine todliche Dosis Morphium enthielt. Verstehst du? Erst das Chloroform -und wenn das Opfer bewu?tlos ist, ein Nadelstich. Bis zum Morgen ist der Geruch des Chloroforms verschwunden, und die Spritze liegt da, als ware sie der Hand Mme. Renaulds entfallen. Was hatte der wackere Monsieur Hautet gesagt? Arme Frau! Was sagte ich Ihnen? Die plotzliche Freude als Kronung des Ubrigen war zu viel fur sie! Sagte ich nicht auch, da? es mich nicht wundern wurde, wenn sie den Verstand verlore? Alles in allem, ein hochst tragischer Fall, der Fall Renauld!
Doch die Dinge entwickelten sich nicht ganz nach dem Programm von Mademoiselle Marthe. Vor allem war Madame Renauld wach, da sie den Uberfall erwartet hatte. Es kam zu einem Kampf. Aber Madame Renauld ist noch immer sehr schwach. Marthe Daubreuil ergreift die letzte Moglichkeit. Mit dem Selbstmord ist es vorbei, aber falls sie mit ihren starken Handen Madame Renauld zum Schweigen bringen und mittels ihrer seidenen Strickleiter durch das Fenster entkommen konnte, wahrend wir noch von innen an der anderen Tur pochen, wenn es ihr gelange, in die Villa Marguerite zuruckzukehren, ehe wir wieder hinkamen, dann wurde es schwerfallen, ihr irgend etwas nachzuweisen. Doch sie wurde mattgesetzt, zwar nicht durch Hercule Poirot, aber durch die kleine Akrobatin mit ihren eisernen Gelenken.«
Ich uberdachte nochmals die ganze Geschichte. »Wann hattest du zuerst Verdacht auf Marthe Daubreuil? Als sie uns erzahlte, da? sie den Streit im Garten belauscht habe?«
Poirot lachelte.
»Mein Freund, erinnerst du dich des Tages, an dem wir zum ersten Male in Merlinville einfuhren? Als das schone Madchen am Gittertor stand? Du fragtest mich, ob ich di? junge Gottin nicht bemerkt hatte, und ich antwortete, ich hatte nur ein junges Madchen mit angstvollen Augen gesehen. So stand von allem Anfang an Marthe Daubreuil vor meinem geistigen Blick: als das Madchen mit den angstvollen Augen! Nicht um Jack Renaulds willen, denn sie wu?te damals nicht, da? er des Nachts in Merlinville gewesen war.«
»Ubrigens«, rief ich, »wie geht es Jack Renauld?«
»Viel besser. Er ist noch in der Villa Marguerite. Doch Madame Daubreuil ist verschwunden. Die Polizei verfolgt sie.«
»Glaubst du, da? sie mit der Tochter im Einverstandnis war?«
»Das werden wir nie erfahren. Denn sie ist eine Dame, die ihre Geheimnisse wohl bewahren kann. Und ich bezweifle sehr, da? die Polizei sie jemals finden wird.«
»Wei? - Jack Renauld schon alles?«
»Noch nicht.«
»Es wird ein furchtbarer Schlag fur ihn sein.«
»Selbstverstandlich. Und doch, Hastings, wei?t du, es steigen mir Zweifel auf, ob sein Herz wohl jemals sehr beteiligt war. Bisher hielten wir immer Bella Duveen fur die Verfuhrte, und Marthe Daubreuil fur das Madchen, das er wirklich liebte. Aber ich denke, wir kommen der Wahrheit naher, wenn wir die Rollen tauschen. Marthe Daubreuil war sehr schon. Sie legte es darauf an, Jack zu faszinieren, und es gelang ihr, aber erinnere dich seines merkwurdigen Widerstrebens, mit dem anderen Madchen zu brechen. Und sieh, wie entschlossen er war, eher sein Leben aufs Spiel zu setzen, als sie in die Sache zu verwickeln. Ich habe die leise Vermutung, als werde er entsetzt - emport sein, wenn er die Wahrheit erfahrt, da? er aber bald seine falsche Liebe uberwunden haben durfte.«
»Und Giraud?«
»Ach, der hat eine Nervenkrise und sah sich genotigt, nach Paris zuruckzukehren.«
Nun lachelten wir beide.
Poirot erwies sich als Prophet. Als schlie?lich der Arzt Jack fur genugend kraftig erklarte, die Wahrheit zu erfahren, ubernahm es Poirot, sie ihm beizubringen. Die Wirkung war erschutternd. Doch Jack genas schneller, als ich dachte. Mutterliebe half ihm diese schweren Tage durchzuhalten. Mutter und Sohn waren nun unzertrennlich.
Noch eine andere Enthullung stand bevor. Poirot hatte Mme. Renauld mitgeteilt, da? er um ihr Geheimnis wisse, und ihr Vorstellungen daruber gemacht, da? man Jack nicht in Unkenntnis von seines Vaters Vergangenheit lassen durfe.
»Es ist nie von Nutzen, die Wahrheit zu verbergen, Madame! Seien Sie tapfer und sagen Sie ihm alles.«
Schweren Herzens entschlo? sich Mme. Renauld, und der Sohn erfuhr, da? sein Vater, den er so sehr geliebt hatte, in Wirklichkeit ein Polizeifluchtling gewesen war. Eine zogernde Frage wurde sofort von Poirot