Vollmond. Ich sah das Grab und sah eine Gestalt mit dem Gesicht nach unten darin liegen, im Rucken stak ein Dolch. Und dann blickte ich auf und sah sie. Sie blickte mich an, als sahe sie ein Gespenst - das mu?te sie auch zuerst gedacht haben - vor Entsetzen waren ihre Zuge zur ausdruckslosen Maske erstarrt. Und dann schrie sie auf, wandte sich um und lief davon.« Er hielt inne, um seine Erregung zu meistern.

»Und dann?« fragte Poirot freundlich.

»Ich wei? wirklich nicht. Eine Weile stand ich wie betaubt. Und dann sah ich ein, da? es das beste sei, mich so schnell wie moglich aus dem Staube zu machen. Es fiel mir nicht ein, da? man mich verdachtigen konne, aber ich furchtete vorgeladen zu werden, um gegen sie auszusagen. Ich ging zu Fu? bis St. Beauvais, wie ich Ihnen bereits erzahlte, und mietete dort einen Wagen, der mich nach Cherbourg zuruckbrachte.«

Es pochte an die Tur, und ein Bote brachte ein Telegramm, das er Stonor uberreichte. Er ri? es auf und erhob sich von seinem Sitz.

»Madame Renauld ist wieder zu Bewu?tsein gekommen«, sagte er.

»Ah!« Poirot sprang hoch. »Auf nach Merlinville!«

Wir fuhren in aller Eile ab. Auf Jacks dringende Bitte blieb Stonor zuruck, um alles, was fur Bella Duveen getan werden konnte, zu veranlassen. Poirot, Jack und ich fuhren in Renaulds Auto fort.

Die Fahrt dauerte genau vierzig Minuten. Als wir uns der Gartenpforte der Villa Marguerite naherten, blickte Jack. Renauld fragend zu Poirot hinuber.

»Wie ware es, wenn Sie vorausfuhren, um meine Mutter von meiner Befreiung zu benachrichtigen?«

»Wahrend Sie personlich diese Kunde Mademoiselle Marthe uberbringen, nicht?« endigte Poirot augenzwinkernd. »Aber ja, selbstverstandlich, ich wollte es Ihnen eben selbst vorschlagen.«

Jack Renauld lie? sich das nicht zweimal sagen. Er brachte den Wagen zum Stehen, sprang hinaus und lief den Weg zum Eingang hinan. Wir fuhren zur Villa Genevieve weiter.

»Poirot«, sagte ich, »erinnerst du dich, wie wir an jenem ersten Tage ankamen und mit der Nachricht von Monsieur Renaulds Ermordung empfangen wurden?«

»O ja, gewi?. Es ist noch nicht so lange her. Aber wie vieles ist seither geschehen - besonders dir, mon ami!«

»Poirot, was hast du veranla?t, um Bei - ich meine Dulcie - ausfindig zu machen?«

»Beruhige dich, Hastings. Ich bringe alles in Ordnung.«

»Du la?t dir nur hubsch viel Zeit dazu«, brummte ich.

Poirot wechselte das Thema. »Damals der Anfang, nun das Ende«, philosophierte er, als wir lauteten. »Und vom Standpunkt des interessanten Falles aus ist das Ende doch au?erst unbefriedigend.«

»Jawohl«, seufzte ich.

»Du betrachtest es vom sentimentalen Gesichtspunkt aus, Hastings. So meinte ich es nicht. Wir wollen hoffen, da? Mademoiselle Bella nachsichtige Richter finden wird, und schlie?lich konnte Jack Renauld doch nicht beide Madchen heiraten! Ich sprach vom beruflichen Standpunkt. Dies ist kein wohlgeordnetes, regelrechtes Verbrechen, wie Detektive es lieben. Der Plan, den Georges Conneau entworfen hatte, war einwandfrei, aber die Entwicklung - o nein! Ein Mann, der von einem jungen Madchen in einem Wutanfall zufallig ermordet wird, - na, wirklich, wo stecken da Ordnung und System?«

Wahrend ich noch uber Poirots Eigenheiten lachte, offnete Francoise uns die Tur.

Poirot erklarte ihr, da? er Madame Renauld sofort sprechen musse, und sie fuhrte ihn zu ihr. Ich blieb im Salon. Es dauerte eine geraume Weile, ehe Poirot wiederkam. Er blickte ungewohnlich ernst.

»Donnerwetter, Hastings! Gab's da oben aber einen Sturm!«

»Was denn?« rief ich.

»Ich wollte es kaum glauben«, sagte Poirot gedankenvoll, »aber Frauen sind eben unberechenbar.«

»Jack und Marthe kommen!« rief ich, da ich sie durch das Fenster erblickt hatte.

Mit einem Satz war Poirot aus dem Zimmer und lief dem jungen Paar bis an die Treppe entgegen.

»Treten Sie ja nicht ein. Es ist besser so. Ihre Mutter ist sehr erregt.«

»Ich wei?, ich wei?«, sagte Jack Renauld. »Ich will sofort zu ihr.«

»Aber nein. Ich sage Ihnen doch, Sie sollen nicht.«

»Aber Marthe und ich-«

»Keinesfalls durfen Sie Mademoiselle mit hinaufnehmen. Gehen Sie in Gottes Namen, wenn Sie nicht anders konnen, aber es ware kluger, meinem Rat zu folgen.«

Eine Stimme hinter uns, von der Treppe her, lie? uns erschauern: »Ich danke Ihnen fur Ihre guten Dienste, Monsieur Poirot, aber ich will selbst sagen, was ich zu sagen wunsche.«

Wir blieben starr vor Staunen. Mit verbundenem Kopf, auf Leonies Arm gestutzt, kam Mme. Renauld die Treppe herab. Das franzosische Madchen weinte und beschwor seine Herrin, ins Bett zuruckzugehen.

»Madame wird sich den Tod holen. Es ist gegen alle arztlichen Vorschriften.«

Doch Madame Renauld lie? sich nicht halten.

»Mutter«, rief Jack und lief ihr entgegen.

Aber sie schob ihn von sich.

»Ich bin nicht deine Mutter! Du bist nicht mein Sohn! Von dieser Stunde an verleugne ich dich.«

»Mutter«, rief der Jungling besturzt.

Einen Augenblick lang schien sie zu wanken, vor dem Schmerz in seiner Stimme unschlussig zu werden. Poirot wollte vermitteln, aber sofort gewann sie ihre Selbstbeherrschung wieder. »Deines Vaters Blut komme uber dich! Du tragst die Schuld an seinem Tode. Du hast seine Plane durchkreuzt und ihm dieses Madchens wegen Trotz geboten, durch dein herzloses Verhalten gegen eine andere beschworst du seinen Tod herauf. Morgen werde ich alles veranlassen, damit kein Pfennig des Vermogens dir jemals zufallt. Suche dir deinen Weg in der Welt, so gut du kannst, mit dem Madchen, deren Mutter die erbittertste Feindin deines Vaters war.«

Und langsam, muhsam ging sie den Weg zuruck, den sie gekommen war.

Wir waren sprachlos, diese Anklage traf uns vollig unvorbereitet. Jack Renauld, der von allem bisher Erlebten vollig erschopft war, schwankte und drohte umzusinken. Poirot und ich eilten ihm schnell zu Hilfe.

»Er ist ubermudet«, flusterte Poirot Marthe zu. »Wohin sollen wir ihn fuhren?«

»Aber nach Hause. Zur Villa Marguerite. Wir wollen ihn pflegen, Mutter und ich. Mein armer Jack!«

Wir brachten den jungen Mann in die Villa, wo er schlaff und wie betaubt auf einen Sessel sank. Poirot befuhlte ihm Kopf und Hande.

Er fiebert. Die lange Nervenanspannung fangt an, sich fuhlbar zu machen. Und nun noch zu allem diese Aufregung.

Bringt ihn zu Bett! Hastings und ich werden einen Arzt holen.«

Der Arzt war bald zur Stelle. Nachdem er den Patienten untersucht hatte, meinte er, da? es sich seiner Ansicht nach um eine gewohnliche Nervenkrise handle. Bei vollkommener Ruhe und ungestortem Schlummer konne der junge Mann bis zum nachsten Tage wiederhergestellt sein, rege er sich jedoch auf, sei eine Gehirnentzundung zu befurchten. Es sei ratsam, da? jemand die ganze Nacht bei ihm wache.

Schlie?lich - nachdem wir unser moglichstes getan hatten - uberlie?en wir ihn der Fursorge Marthes und ihrer Mutter und kehrten in die Stadt zuruck. Unsere gewohnte Speisestunde war uberschritten, und wir waren beide reichlich ausgehungert. Das erste Restaurant, das am Wege lag, stillte den qualenden Hunger durch ein vorzugliches Omelette und einen darauffolgenden ebenso ausgezeichneten Braten.

»Und nun auf ins Nachtquartier«, sagte Poirot, als endlich noch schwarzer Kaffee das Mahl vervollstandigt hatte. »Wollen wir es mit unserem alten Hotel des Bains versuchen?«

Unverzuglich lenkten wir unsere Schritte dahin. Ja, die Herren konnten in zwei guten Zimmern mit Meeresansicht untergebracht werden. Dann stellte Poirot eine Frage, die mich uberraschte. »Ist Miss Robinson aus England angekommen?«

»Ja, Monsieur, sie wartet im kleinen Salon.«

»Ah!«

»Poirot«, rief ich und bemuhte mich, mit ihm Schritt zu halten, als er den Gang entlang eilte, »wer ist Miss Robinson?«

Poirot lachte freundlich: »Ich habe dir eine Braut verschrieben, Hastings.«

»Aber ich mu? sagen -«

»Bah!« entgegnete Poirot und stie? mich freundschaftlich uber die Schwelle. »Denkst du, ich wurde in Merlinville den Namen Duveen laut hinausposaunen?«

Вы читаете Mord auf dem Golfplatz
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату