leichthin gestellt hatte. Es wurde nicht leicht sein, mit Umgehung der Wahrheit einen Freispruch fur Jack Renauld zu erwirken.
M. Hautet sprach abermals, und seine Rede hatte einen merkwurdig bei?enden Unterton: »Madame Renauld erzahlte uns, der Dolch habe in jener Nacht auf ihrem Toilettentisch gelegen. Doch Madame Renauld ist Ihre Mutter! Es durfte Sie vielleicht wundern, Renauld, aber ich halte es fur hochstwahrscheinlich, da? Madame Renauld sich irrte und da? Sie, vielleicht aus Versehen, den Dolch mit nach Paris genommen hatten. Sie werden mir sicher widersprechen -«
Ich sah, wie des Junglings gefesselte Hande sich verkrampften, wie Schwei?perlen auf seine Stirn traten, als er Monsieur Hautet mit gro?ter Anstrengung unterbrach und leise sagte: »Ich werde Ihnen nicht widersprechen. Es ist moglich.«
Das war verbluffend. Maitre Grosier sprang auf und protestierte: »Mein Klient hat furchtbare Nervenanspannungen zu erleiden. Aus diesem Grunde bin ich der Ansicht, da? er fur seine Worte nicht verantwortlich zu machen ist.«
Der Untersuchungsrichter wies ihn argerlich zur Ruhe. In diesem Augenblick schienen auch ihm Zweifel aufzusteigen. Jack Renauld hatte das Spiel fast zu weit getrieben, er beugte sich vor und blickte den Gefangenen forschend an: »Renauld, sind Sie sich dessen voll bewu?t, da? mir nach Ihren Antworten nichts ubrigbleibt, als Sie den Gerichten zu ubergeben?«
Jacks blasse Wangen roteten sich. Standhaft erwiderte er den Blick: »Monsieur Hautet, ich schwore Ihnen, da? ich meinen Vater nicht getotet habe.«
Aber der Richter hatte die vorubergehenden Zweifel uberwunden. Kurz und unangenehm lachte er auf.
»Gewi?, gewi? - sie sind ja immer unschuldig, die Herren Verbrecher! Ihr eigener Mund verdammte Sie. Sie konnen sich nicht verteidigen, kein Alibi erbringen - nur immer Ihre Unschuld betonen - worauf kein Kind hereinfallt. Sie toteten Ihren Vater, Renauld, es war ein grausamer, feiger Mord - um des Geldes willen, das, wie Sie glaubten, nach seinem Tode Ihnen zufallen wurde. Ihre Mutter war die Hehlerin. Aber in Anbetracht dessen, da? sie als Mutter handelte, werden die Gerichte gewi? ihr gegenuber jene Milde walten lassen, die Ihnen nicht zugebilligt werden kann. Und mit Recht! Denn Ihr Verbrechen war grauenhaft - ein Abscheu fur Gott und Menschen!«
Monsieur Hautet geno? seine eigene Rede, tauchte tief in die Feierlichkeit des Augenblicks und hielt sich fur den Vertreter der Gerechtigkeit auf Erden. »Sie toteten - und Sie mussen die Folgen Ihrer Tat tragen. Ich spreche zu Ihnen nicht als Mensch, sondern als Gerechtigkeit - als ewige Gerechtigkeit, die -«
Hier wurde Monsieur Hautet zu seinem gro?ten Arger unterbrochen. Die Tur wurde aufgerissen.
»Herr Richter - Herr Richter -« stammelte der Saaldiener, »drau?en steht eine Dame, die behauptet - die behauptet -«
»Wer behauptet was?« schrie der mit Recht erzurnte Richter. »Die Storung ist unerhort! Ich verbiete das - ich verbiete das!«
Aber eine schlanke Gestalt stie? den stammelnden Gendarm beiseite. In Schwarz gekleidet, mit langem Schleier, der das Gesicht verhullte, trat sie in das Zimmer.
Mein Herzschlag setzte aus. So war sie doch gekommen. So war all meine Muhe vergeblich gewesen! Und doch konnte ich nicht umhin, den Mut zu bewundern, der sie bewogen hatte, ohne Zaudern diesen Schritt zu tun.
Sie hob den Schleier - und es wirbelte vor meinem Blick. Denn, wenn auch ahnlich, wie ein Ei dem anderen, dies Madchen war nicht Cinderella! Andererseits aber, als ich sie nun vor mir sah ohne die blonde Perucke, die sie auf der Buhne trug, erkannte ich in ihr die Frau, deren Bildnis wir in Jack Renaulds Zimmer gefunden hatten.
»Sind Sie Monsieur Hautet, der Untersuchungsrichter?« fragte sie.
»Ja, aber ich verbiete -«
»Ich hei?e Bella Duveen. Ich klage mich an, Monsieur Renauld ermordet zu haben.«
26
»Mein Freund!
Wenn Sie diesen Brief erhalten, wissen Sie schon alles. Nichts, was ich sagte, konnte Bella von ihrem Vorsatz abbringen. Sie ging und zeigte sich selber an. Ich bin des Kampfes mude.
Nun werden Sie auch wissen, da? ich Sie durch Lugen tauschte, als Sie mir Vertrauen schenkten. Es wird Sie vielleicht unentschuldbar dunken, aber ich mochte doch, ehe ich fur immer aus Ihrem Leben verschwinde, erklaren, wie alles kam. Es wurde mein Leben um so viel leichter gestalten, wenn ich wu?te, da? Sie mir verzeihen. Nicht um meinetwillen handelte ich so, und das ist die einzige Entschuldigung, die ich fur mich habe.
Ich mochte mit dem Tage beginnen, an dem ich Ihnen auf der Reise von Paris begegnete. Schon damals hatte ich Sorge um Bella. Sie war verzweifelt um Jack Renaulds willen, sie hatte sich fur ihn zu Boden geworfen, damit er uber sie hinwegschreite, und als er anders wurde, nicht mehr so haufig schrieb, da verlor sie die Selbstbeherrschung. Sie bildete sich ein, da? er ein anderes Madchen im Sinn habe - und wie sich spater herausstellte, hatte sie recht. Sie setzte sich in den Kopf, nach Merlinville zu fahren, um den Versuch zu machen, Jack in seiner vaterlichen Villa aufzusuchen. Sie wu?te, da? ich dagegen war, und trachtete mir zu entschlupfen. Da ich sie in Calais nicht im Zuge fand, entschlo? ich mich, nicht ohne sie nach England zu reisen. Ich hatte das unbehagliche Gefuhl, da? sich irgend etwas Furchtbares ereignen wurde ...
Ich wartete auf den nachsten Zug aus Paris. Sie kam an und bestand darauf, sofort nach Merlinville weiterzureisen. Mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln suchte ich sie davon abzubringen, doch umsonst. Sie war auf das au?erste erregt und fest entschlossen,, ihren eigenen Weg zu gehen. Nun, ich wusch meine Hande in Unschuld. Ich hatte getan, was ich konnte! Es war spat geworden. Ich begab mich in ein Hotel, Bella brach nach Merlinville auf. Ich konnte das Gefuhl nicht loswerden, das in Buchern als ,drohendes Unheil' bezeichnet wird.
Der nachste Tag kam - doch keine Bella. Sie hatte eine Zeit festgesetzt, zu der wir uns im Hotel treffen sollten, doch sie hielt sie nicht ein. Den ganzen Tag kam kein Lebenszeichen von ihr. Ich wurde immer angstlicher. Dann erschienen die Abendblatter mit der Nachricht.
Es war grauenhaft! Ich war naturlich nicht ganz sicher -aber ich hatte furchtbare Angst. Ich stellte mir vor, da? Bella Vater Renauld getroffen habe, da? sie ihm von sich und Jack erzahlte, worauf er sie beleidigte oder sonst etwas Ahnliches tat. Wir sind beide schrecklich jahzornig.
Dann kam die Geschichte mit den maskierten Mannern auf, und mir wurde leichter ums Herz. Aber noch immer qualte es mich, da? Bella unsere Verabredung nicht eingehalten hatte. Am nachsten Morgen ertrug ich es nicht langer, ich mu?te hingehen und sehen, was sich tun lie?. Und dann traf ich mit Ihnen zusammen. Das ist Ihnen schon bekannt ...
Als ich sah, wie sehr der Ermordete Jack glich, und da? er Jacks gestreiften Mantel trug, da wu?te ich alles. Und dann -ja, da war noch das verraterische Papiermesser - dieses bose, kleine Ding, das Jack Bella geschenkt hatte!
Sicherlich trug es wohl Fingerabdrucke. Ich furchte, es gelingt mir nicht. Ihnen das hilflose Entsetzen zu schildern, das mich in jenem Augenblick befiel. Nur eines fuhlte ich deutlich - ich mu?te zu dem Dolch kommen und schnell mit ihm fortlaufen, ehe sein Fehlen bemerkt wurde. Ich tauschte Ohnmacht vor, und wahrend Sie fortgingen, um Wasser zu holen, nahm ich das Ding und barg es in meiner Tasche.
Ich sagte Ihnen, da? ich im Hotel du Phare wohne, aber tatsachlich reiste ich schnurstracks nach Calais und mit dem nachsten Schiff von dort nach England. Inmitten des Kanals warf ich den fluchbeladenen kleinen Dolch ins Meer. Dann glaubte ich endlich wieder freier atmen zu konnen.
Ich traf Bella in London und berichtete, was ich getan hatte, ich meinte, da? sie sich sicher fuhlen konne. Da starrte sie mich an und fing zu lachen an ... und lachte ... lachte, es war entsetzlich, dieses Lachen zu horen! Ich hatte das Gefuhl, da? Arbeit momentan das beste sei. Sie wurde den Verstand verlieren, wenn sie Zeit hatte, ihrer Tat nachzugrubeln. Zum Gluck bekamen wir sofort ein Engagement.
An jenem Abend erblickte ich dann Sie und Ihren Freund im Publikum ... Ich war wie toll. Sie mu?ten Verdacht geschopft haben, sonst hatten Sie uns nicht nachgespurt. Ich war auf das Schlimmste gefa?t und folgte Ihnen. Ich war verzweifelt. Und dann, ehe ich Zeit hatte, etwas zu sagen, wurde mir klar, da? Sie mich