Stelle brachte, namlich zur alten Hohle der Sibylle von Cumae - ein finsterer Ort, von dem es hie?, er werde von Damonen heimgesucht. Ein zusatzlicher schwarzer Damon wurde also das Gerede unter dem Volk nur bestatigen.
Sie machten im Inneren des baufalligen Maucrgurtcls halt, und Livia fuhrte ihre Begleiter in die Hohle. Der Raum war eine Art kunstlicher Tunnel, in den Felsen gehauen und am oberen Ende wie ein Trapez geformt. Nachdem es Livia gelungen war, ein mickeriges Feuerchen zu entfachen, machte sie sich daran, Batiatus' Wunde zu nahen und so gut es ging zu verbinden. Dann gab sie ihm ein Tuch, das er sich umlegen konnte. Unterdessen versuchten die anderen, es sich in diesem ungemutlichen Unterschlupf so bequem wie moglich zu machen: Aurelius sammelte eine Menge trockener Blatter, von denen er einige auf das Feuer warf, das daraufhin nur noch mehr qualmte als brannte, andere streute er auf den Boden, um fur sie alle so etwas wie ein Nachtlager zu bereiten. Livia dagegen zog aus ihrem Quersack alles hervor, was sie an E?barem bei sich trug, und das war in der Tat herzlich wenig - ein Laib Kase, eine Handvoll Oliven und ein Brot - , um es den erschopften Mannern zum Abendessen anzubieten.
»Es ist nichts Besonderes, gerade genug, um den Magen in Illusionen zu wiegen. Morgen werden wir sehen, wie wir Abhilfe schaffen konnen, jetzt legt ihr euch am besten hin und ruht euch aus. Bald bricht schon der neue Tag an.«
»Wir? Uns ausruhen?« rief Batiatus. »Du machst wohl Scherze, Madchen. Wir haben uns viel zuviel zu erzahlen. Ja, hast du uberhaupt eine Vorstellung, wer wir sind? Was wir nicht alles miteinander erlebt haben? Ihr Gotter des Himmels, ich kann es nicht fassen! Da kommt doch der daher und sagt zu mir: >He, du Kohlensack, ich habe einen ganz schonen Batzen auf dich gesetzt. Schau zu, da? du mich nicht enttauschst Ich dreh mich schon um und wall diesem Hurensohn ins Gesicht spucken, und wen sehe ich da? Den leibhaftigen Aurelianus Ambrosius Ventidius, direkt vor mir. Beim Herkules, ich schwore euch, ich habe gedacht: Gleich trifft mich der Schlag. Ich sage mir: Was macht denn der hier, dieser Halunke, dieses Schlitzohr? Was hat er vor? Wetten, da? er gekommen ist, um seinen guten, alten Freund zu befreien?« Seine Stimme zitterte, wahrend er sprach, und seine Augen blitzten wie die eines Kindes. »Wetten, habe ich mir gesagt, da? er sich an mich erinnert und mich in diesem ekelhaften Loch aufgestobert hat, und dann frage ich mich, wie hat er es blo? geschafft, mich da unten in dieser Kloake aufzuspuren? Wer hat ihm gesagt, da? ich dort bin? ... Ihr Gotter des Himmels, ich kann es immer noch nicht fassen! Versetzt mir mal einen Fausthieb! Ich mochte aufwachen, fur den Fall, da? ich traume!«
Vatrenus verabreichte ihm tatsachlich eine gehorige Kopfnu?. »Hast du jetzt gemerkt, da? du wach bist? Alles in Ordnung, schwarzer Mann! Wir haben es geschafft, wir haben es geschafft! Wir haben ihnen allesamt ein Schnippchen geschlagen. Stellt euch blo? mal vor, wie viele achtbare Personlichkeiten er wohl angetroffen hat, der Herr Richter, wie viele fromme Matronen, die da alle im Wasser zappelten, in flagranti ertappt bei einem verbotenen Gladiatorenspiel? Ich ware gern ein Frosch gewesen, um diese Szene auszukosten! Und stellt euch mal vor, wie viele Leute in der Stadt und in der Umgebung morgen einen Schnupfen haben?«
Aurelius prustete los, und die anderen Manner fielen in ein lautes, glucksendes Gelachter ein, in das sich mitunter ein Schluchzen mischte: ein befreiendes Lachen wie das Weinen eines Kindes, das lange unter gro?er Angst gelitten hatte.
Livia betrachtete sie schweigend. Die Kameradschaftlichkeit unter Mannern war etwas, das sie faszinierte. Sie sah darin all die besten Eigenschaften des Mannes vereint: Freundschaft, Solidaritat, Opferbereitschaft und Begeisterungsfahigkeit. In dieser Situation ging ihr nicht einmal das unflatige Gerede kasernierter Manner, an das sie nicht gewohnt war, gegen den Strich.
Dann verfielen sie plotzlich in Schweigen, in das Schweigen der schonen und der schlimmen Erinnerungen, das Schweigen von Mannern, die Jahre lang gemeinsam denselben Gefahren getrotzt, dieselben Qualen ausgestanden und unter denselben Entbehrungen gelitten hatten mit dem einzigen Trost der Freundschaft, der Wertschatzung und jetzt der unglaublichen Freude daruber, sich wider jede vernunftige Erwartung und trotz der schlimmsten Schicksalsschlage wiedergefunden zu haben. Man konnte ihre Gedanken formlich sehen, in ihren Blicken, in ihren feuchten Augen, in den eingefallenen Gesichtern; man konnte ihre Geschichte ablesen an den schwieligen Handen, an den Armen voller Narben, auf den Schultern, die gezeichnet waren von der Last der Waffen. Sie dachten an ihre Kameraden, die nicht mehr am Leben waren, die sie fur immer verloren hatten, und an ihren Kommandanten Claudianus, der zunachst verwundet und dann inmitten feindlicher Raserei niedergemetzelt worden war - fur immer der Ehre des Patriziers beraubt, im Mausoleum seiner Ahnen zu ruhen.
Aurelius war es, der dieses emotionsbefrachtete Schweigen brach, als ihm bewu?t wurde, da? seine Gefahrten sich angezogen fuhlten vom Aussehen und Verhalten Livias, die sie noch nie zuvor gesehen hatten. Gewi? fragten sie sich, wer diese Frau sein konnte und warum sie sich mit ihnen an diesem Ort befand.
»Dieses Madchen hier hei?t Livia Prisca«, sagte Aurelius, »und kommt aus einem Dorf mit nur wenigen Hutten an der Lagune zwischen Ravenna und Altino. Sie ist unser Oberhaupt, auch wenn mir klar ist, da? euch diese Tatsache wahrscheinlich uberhaupt nicht gefallt.«
»Du beliebst wohl zu scherzen«, erwiderte Vatrenus und tat, als wurde er sich schutteln. »Der Anfuhrer bist du, auch wenn ich, zumindest theoretisch, einen hoheren Dienstrang habe als du.«
»Nein. Sie hat mir das Leben gerettet und eine Aufgabe verschafft, etwas, wofur ich kampfen kann. Sie ist eine Frau, aber sie ist wie ein Mann ... in mancher Hinsicht sogar noch besser. Sie ist ... sie ist ... Jedenfalls bezahlt sie uns dafur, da? wir eine Mission erfullen. Aber damit das gleich klar ist: Bei dieser Mission habe ich das Sagen!«
Batiatus schuttelte verblufft seinen gro?en Kopf. Nun meldete sich Livia zu Wort und deutete auf die beiden Manner, die sich ihnen auf der Flucht angeschlossen hatten. »Und diese beiden da, wer sind sie? Konnen wir ihnen vertrauen?«
»Wir sind euch dankbar dafur, da? ihr uns erlaubt habt, mit euch zu kommen«, sagte einer der beiden. »Ihr habt uns das Leben gerettet. Mein Name ist Demetrios, ich bin ein Grieche aus Herakleia, ein Kriegsgefangener. Ich wurde von den Goten bei Sirmium gefangengenommen, als ich mit meinem Boot auf der Donau patrouillierte, und bin dann an Odoakers Heruler verkauft worden, die mich hierherschickten, um in der Flotte zu dienen, weil ich ja Seemann bin. Ich bin ein sehr guter Fechter, das versichere ich euch, und auch sehr geschickt im Messerwerfen. Das hier ist mein Freund und Waffenbruder Orosius. Er hat in der halben Welt an Feldzugen teilgenommen und hat ein so dickes Fell wie ein Elefant.«
»Es sind tapfere Leute«, bestatigte Vatrenus, »und in der ganzen Zeit, in der wir zusammengewesen sind, haben sie sich stets loyal verhalten. Sie verabscheuen die Barbaren wie wir und haben immer nur davon getraumt, ihre Freiheit wiederzuerlangen.«
»Habt ihr eine Familie?« fragte Aurelius.
»Ich hatte eine«, antwortete Demetrios, »eine Frau und zwei Tochter von vierzehn beziehungsweise sechzehn Jahren, aber ich wei? seit uber funf Jahren nichts mehr von ihnen. Sie haben in einem Dorf in der Nahe unseres Winterlagers gelebt. Wahrend ich mit einer Erkundung auf dem Flu? beschaftigt war, errichteten die Alanen in der Nacht eine Bootsbrucke, uberrumpelten unsere Angehorigen und metzelten sie nieder. Als ich zuruckkehrte, fand ich im stromenden Regen nur Asche und Kohlereste vor, versunken in einem schwarzen Matsch. Und Leichen, Leichen, wohin man auch sah. Niemals werde ich diesen Anblick vergessen, und sollte ich hundert Jahre alt werden! Ich habe jede einzelne umgedreht, mit beklommenem Herzen, und erwartet, jeden Augenblick ein geliebtes Gesicht wiederzuerkennen ...« Er konnte nicht weitersprechen.
»Ich hatte eine Frau und eine Tochter«, begann Orosius. »Meine Gemahlin hie? Astcria und war ein Bild von einer - Frau. Eines Tages, als ich nach einem langen Feldzug in Moesia auf Urlaub nach Hause kam, fand ich meine Stadt von den Rugiern geplundert vor. Sie hatten sie verschleppt, alle beide. Ich habe Himmel und Holle in Bewegung gesetzt, diesen Stamm ausfindig zu machen, mein Kommandant entsandte einheimische Fuhrer zu ihnen mit dem Angebot, sie freizukaufen, aber diese Unmenschen haben einen exorbitanten Preis verlangt, den ich niemals hatte bezahlen konnen. Sie sind genauso in der Weite ihrer Steppen verschwunden, wie sie gekommen waren ... Seither traume ich von nichts anderem, als mich wieder auf ihre Fahrte zu setzen. Nachts, vor dem Einschlafen, uberlege ich, wo sie sein konnten, unter welchem Himmel ... Ich frage mich, wie meine Schone jetzt wohl aussieht ...« Er lie? den Kopf sinken und verstummte.
Es waren Geschichten, wie es sie in diesen Zeiten viele gab, aber Aurelius war trotzdem erschuttert. Er hatte niemals resigniert und niemals den Traum des Augustinus von Hippo von der