hatten nur noch ein Zimmer frei«, sagte er, wahrend sie die Treppe hinaufstiegen, »und das wirst du mit mir teilen mussen.«
»Wir haben schon unter ubleren Bedingungen ubernachtet, und ich glaube nicht, da? ich mich jemals beklagt habe«, erwiderte Livia. Sie sah ihn mit einem vieldeutigen Blick an und fugte hinzu: »Und au?erdem gibt es zwischen uns beiden nicht mehr als ein Kampfbundnis, deshalb besteht uberhaupt keine Gefahr, wenn wir im selben Zimmer schlafen. Habe ich nicht recht?«
Livia nahm eine Laterne und trat ein. Das Zimmer war ziemlich klein und schmucklos, aber beinahe ordentlich. Das Mobiliar bestand aus zwei kleinen Feldbetten und einer Truhe. In einer Ecke standen ein mit Wasser gefullter Krug und eine Waschschussel und in einer Wandnische der Nachttopf mit seinem Metalldeckel. Auf der Truhe fanden sie ein Tablett mit einem Laib Brot, einem kleinen Stuck Kase und zwei Apfeln. Sie wuschen sich die Hande und a?en schweigend.
Als sie sich schon zum Schlafengehen fertigmachten, horten sie ein Klopfen an der Tur.
»Wer ist da?« fragte Aurelius und druckte sich, das Schwert in der Hand, gegen die Wand neben dem Turpfosten.
Niemand antwortete. Aurelius machte Livia ein Zeichen, die Tur zu offnen, und hielt einsatzbereit die Waffe fest in der Faust. Livia schwang ihren Dolch in der Linken, schob mit der Rechten vorsichtig den Riegel hoch und ri? dann blitzschnell den Turflugel auf. Der Flur war leer und von einer Laterne, die an der Wand befestigt war, nur sparlich beleuchtet.
»Schau«, sagte Aurelius und deutete auf etwas am Boden. »Jemand hat uns eine Nachricht hinterlassen.«
Auf dem Fu?boden lag ein kleines, zusammengefaltetes Stuck Pergament. Livia hob es auf und offnete es. Es waren wenige Zeilen, in Schreibschrift abgefa?t, versehen mit einem winzigen
»Das ist Antemius' Unterschrift«, sagte Livia strahlend. »Ich war mir sicher, da? er uns nicht im Stich lassen wurde.«
»Was steht drin?« fragte Aurelius.
»Stephanus hat Geld hinterlegt, das bei einem Bankier in Pozzuoli fur uns bereitliegt. Wir konnen Manner anwerben und uber die Kuriere, die die Kreditbriefe befordern, auch Nachrichten an Antemius schicken. Das ist unser geheimes Kommunikationssystem, und es hat bisher immer sehr gut funktioniert.«
»Ich mu? meine Kameraden finden, obwohl es nur eine vage Hoffnung gibt. Aber selbst wenn nur ein einziger seine Haut gerettet hat, will ich ihn unbedingt aufspuren.«
»Beruhige dich. Wir werden alles Menschenmogliche tun, aber die Wahrscheinlichkeit ist gering.«
»Ambrosinus hat mir gesagt, da? romische Gefangene nach Miseno gebracht wurden.«
»Und genau dorthin werden wir reisen, aber du darfst dir weder etwas Sicheres noch etwas Erfreuliches erwarten. Auch wenn deine Leute sich dort aufhalten, sind sie immer noch Sklaven, verstehst du? Sklaven. Wahrscheinlich angekettet. Bestimmt auf Sichtweite bewacht. Sie zu befreien wurde uns sehr hohen Risiken aussetzen und die Durchfuhrung der wichtigeren Aufgabe gefahrden.«
»Es gibt keine wichtigere Aufgabe. Oder hast du mich nicht richtig verstanden?«
»Du hast mir dein Wort gegeben.«
»Du mir auch.«
Livia senkte den Kopf und bi? sich auf die Lippen: Es gab keinen anderen Weg. Aurelius war offensichtlich nicht umzustimmen.
Am nachsten Morgen brachen sie noch vor der Morgendammerung auf. Ein kalter Nordwind hatte den Dunst vertrieben, und am klaren Himmel glanzte tief, kaum uber dem Meeresspiegel, eine Mondsichel. Capri zeichnete sich deutlich, steil und felsig, am Horizont ab; in der Hohe war die Insel mit einer dichten Vegetationsdecke uberzogen. Im Suden wurde die Rauchfahne, die aus dem Schlund des Vesuvs emporstieg, immer gro?er und dunkler und malte auf den azurblauen Himmel einen langen Streifen, schwarz wie der Schleier eines Klageweibes.
Bei Sonnenaufgang trafen sie Antemius' Bankier, einen gewissen Eustasius, vor den Stadtmauern in einem abgelegenen Kirchlein, einer kleinen, dem Martyrer Sebastian geweihten Kapelle, und das Bildnis des Heiligen, der an einen Pfahl gebunden und von Pfeilen durchbohrt war, traf Aurelius wie ein Peitschenhieb. Durch sein luckenhaftes Gedachtnis ging ein Ruck, und er suchte so fieberhaft nach irgendeinem Zusammenhang, da? ihn die Angst packte. Aber er ri? sich zusammen und versuchte, seine Aufgewuhltheit zu verbergen.
»Informationen konnten uns dienlich sein«, sagte Livia, die tat, als habe sie nichts bemerkt.
»Verla?t euch auf mich«, erwiderte Eustasius, »bei allem, was in meiner Macht steht.«
»Es ist uns bekannt, da? einige in Gefangenschaft geratene romische Soldaten nach Miseno gebracht wurden, um auf den Schiffen Frondienst zu leisten.«
»Der Militarhafen ist schon gro?tenteils abgerustet worden«, antwortete Eustasius, »und die wenigen Schiffe liegen in dieser Jahreszeit im Trockendock, um uberholt zu werden. Die Ruderer werden fur andere Zwecke eingesetzt.«
»Wofur denn?« fragte Aurelius ungeduldig.
»Einige in den Schwefelminen oder in den Salinen, andere la?t man bei geheimen Veranstaltungen als Gladiatoren kampfen. Die Einsatze bei den Wettgeschaften sind schwindelerregend. Daruber wei? ich ziemlich gut Bescheid.«
»Ob es sich dabei um Soldaten handelt?« beharrte Aurelius.
»Wenn du Soldaten meinst, dann ist es schon moglich, da? du sie dort findest.«
»Wo?«
»In der Piscina Mirabilis.«
»Und was soll das sein?«
»Die alte Zisterne, die die Schiffe der kaiserlichen Flotte fruher einmal mit Trinkwasser versorgte. Stell dir eine riesige unterirdische Basilika mit funf Schiffen vor, ein eindrucksvolles Bauwerk. Jetzt ist die Wasserleitung verlegt worden, und diese ungeheuer gro?e unterirdische Anlage ist das ideale Versteck fur diese schandlichen Orgien. Und ich kann euch versichern, da? es unter den Zuschauern nicht wenige Christen gibt, die auf die renommiertesten Kampfer enorme Summen setzen. Eine Art Passierschein wird euch von Nutzen sein«, fugte er hinzu und gab ihnen einen kleinen Ausweis: einen glattpolierten Knochen mit einem eingeritzten Dreizack, dem Siegel der Admiralitat.
Livia nahm das Geld und den Ausweis, setzte ihre Unterschrift unter eine Quittung und schrieb einige verschlusselte Zeilen fur Antemius; dann verabschiedete sie sich und schickte sich an, sich wieder reisefertig zu machen.
»Und noch etwas«, sagte der Bankier. »Wenn ihr dort Platz findet, kehrt im Gallus Aesculapi ein; das ist eine Spelunke am alten Hafenbecken und der Treffpunkt der Buchmacher und Wetter ... Wenn einer von ihnen dich fragen sollte: >Wie war's mit einem Bad im Bassin?<, antworte: >Nichts ware mir lieber.< Das ist das Losungswort der Stammgaste. Was sonst noch ...? Ja, richtig: Wer Gladiatorenkampfe veranstaltet oder ihnen auch nur beiwohnt, mu?, wie ihr wi?t, mit der Todesstrafe rechnen. Das ist euch doch bekannt, oder?«
»Das wissen wir«, antwortete Aurelius. »Es ist ein altes Gesetz aus Kaiser Konstantinus Zeiten, das befolgt, wer will.«
»Stimmt, aber seid trotzdem auf der Hut! Wenn es von Vorteil ist, kann man namlich durchaus dafur sorgen, da? die Gesetze eingehalten werden, und dann hat derjenige, dem es an den Kragen geht, eben Pech gehabt. Viel Gluck also!« sagte Eustasius zum Schlu?.
Sie setzten ihren Weg den ganzen Tag uber fort und kamen am See von Lucrino vorbei, dann an dem von Averno und erreichten nach Sonnenuntergang schlie?lich Miseno. Es war nicht schwer, den Gallus Aesculapi ausfindig zu machen, der am alten Hafenbecken des Portus Iulius gelegen war. Das gro?e sechseckige Becken war teilweise aufgeschuttet, und die Hafenausfahrt war nur noch so gro?, da? hochstens jeweils ein Schiff hinausfahren konnte. Es gab insgesamt funf Kriegsschiffe, von denen zwei ziemlich ramponiert aussahen so, als seien sie schon seit langem vernachlassigt worden. Sie unterstanden einem