Er wandte sich um und ging zum Zelt zuruck, um etwas fur das Abendessen seines Schulers zuzubereiten, aber bevor er eintrat, blickte er hinauf zu den mit dunklen Waldern bedeckten Hugeln und murmelte durch die Zahne: »Halte durch, mein miles gloriosus, bei allen Teufeln und bei allen Gottern: Halte bitte durch!«

»Er hat mich miles gloriosus genannt, verstehst du das?« sagte Aurelius, wahrend er die Steigung hinaufkeuchte. »Als ob ich eine Figur aus einem Lustspiel ware. Manchmal konnte ich ihm die Kehle durchschneiden!«

»Dem Alten, vermute ich. Ist er es gewesen?«

»Ja, naturlich.« »Er liest Plautus, das ist alles. Und auch du, wie ich sehe. Du bist ein gebildeter Mann, was unter Soldaten selten vorkommt, besonders in diesen Zeiten. Hast du dich jemals gefragt, warum?«

»Ich mu? an anderes denken«, erwiderte Aurelius barsch.

»Aber du konntest mich wenigstens ins Bild setzen, oder ist das zuviel verlangt?«

»Er hat mir bestatigt, da? sie nach Capri gehen. Und er hat mir auch etwas anderes gesagt: Er hat gehort, da? einige romische Gefangene nach Miseno geschickt werden, um auf den Galeeren der Flotte zu dienen. Wenn ich sie nur ausfindig machen konnte ...«

»Das ist doch nicht schwer! Mit etwas Geld kommt man an viele Informationen heran. Und was gedenkst du jetzt zu tun?«

»Ich habe auf dem Weg hierher nachgedacht. Wir kennen bereits ihr Ziel und sollten nicht riskieren, uns in der Ebene, ohne jede Deckung, zu bewegen. Wir mussen ihnen vorausziehen und uns so gut wie moglich vorbereiten.«

»Du bist hauptsachlich daran interessiert, deine Kameraden wiederzufinden.«

»Das liegt doch im Interesse aller! Ich brauche Manner, denen ich blind vertrauen kann, und in meiner Truppe gab es keinen einzigen Mann, der nicht mein volles Vertrauen verdient hatte. Sobald wir die Sturmtruppe aufgestellt haben, tufteln wir den genauen Plan fur den Uberraschungsangriff aus.«

»Und wenn sie sich, wahrend wir weiterreiten, fur einen anderen Zielort entscheiden?«

»Das glaube ich nicht. Jedenfalls mussen wir dieses Risiko eingehen. Je langer wir in Kontakt bleiben, desto wahrscheinlicher werden unliebsame Begegnungen, vor allem in der Ebene, wo wir ohne Deckung sind. Ich schlage vor, da? wir schon morgen unserer eigenen Wege ziehen. Wir konnen aufbrechen, sobald wir festgestellt haben, welche Richtung sie einschlagen, und ihnen dann ein gutes Stuck vorausreiten. Wir sind viel schneller als sie.«

»Wie du willst. Vielleicht hast du recht. Es ist nur, da? ... ich wei? nicht, wie ich es sagen soll, aber solange wir in der Nahe waren, hatte ich das Gefuhl, da? er in Sicherheit war.«

»Unter unserem Schutz. Das stimmt. Auch ich habe dasselbe empfunden, und es tut mir leid, jetzt fortzugehen, aber ich glaube, da? er dennoch in guten Handen ist. Dieser verruckte Alte hat ihn bestimmt schrecklich gern, und er ist ja viel schlauer als alle diese Barbaren zusammen! Und jetzt versuchen wir, uns etwas auszuruhen. Wir sind den ganzen Tag geritten und haben blo? etwas zweifach gerostetes Brot und ein bi?chen Kase gegessen.«

»Ab jetzt wird die Kost besser. Aber ich warne dich: Hier wird hauptsachlich Fisch gegessen.«

»Mir ist ein Stuck vom Ochsen lieber.«

»Du bist ein Fleischesser. Du stammst aus der Ebene, von irgendeinem Hof auf dem Lande.«

Aurelius antwortete nicht. Livias standiges Bohren in seiner Vergangenheit war ihm zuwider. Er nahm seinem Pferd den Sattel und die Trense ab, damit es ungehindert grasen konnte, und lie? ihm nur das Zaumzeug. Dann breitete er seine Decke auf dem Boden aus.

»Ich dagegen esse nichts anderes als Fisch«, sagte Livia.

»Ich habe ganz vergessen, da? du ein Wasserwesen bist«, antwortete Aurelius, wahrend er sich ausstreckte. Livia legte sich in seiner Nahe nieder, und eine Zeitlang betrachteten sie schweigend die Sterne, die am unerme?lichen Gewolbe des nachtlichen Himmels glanzten.

»Traumst du nie in der Nacht?« fragte Livia plotzlich.

»Die beste Nacht ist die, die ohne Traume vergeht.«

»Du antwortest immer mit den Worten eines anderen. Das war gerade Plato.« »Wer auch immer es gesagt hat - ich gebe ihm recht.«

»Ich kann nicht glauben, da? du niemals Traume hast.«

»Ich habe keine Traume. Nur Alptraume.«

»Und was siehst du dann?«

»Greuel ... Blut ... schreiende Menschen ... vor allem Feuer, Feuer uberall, ein flammendes Inferno und doch ein eisiges Gefuhl, wie wenn das Herz zu einem Eisblock erstarren wurde. Und du? Du allerdings hast einen Traum ... Das hast du mir gesagt: eine Stadt mitten im Meer.«

»Genau.«

»Dann existiert es also wirklich, dein kleines Atlantis.«

»Ach, es ist nur ein Dorf mit Hutten: Wir leben vom Fischfang und vom Salzhandel, aber vorlaufig genugt uns das. Wir sind frei, und niemand wagt sich in unsere Gewasser: seichte Stellen und Sumpfe, Untiefen, die die Gezeiten tuckisch machen. Kustenprofile, die sich von einem Tag zum anderen verandern, ja von einer Stunde zur anderen ...«

»Sprich weiter. Ich hore dir gern zu, wenn du erzahlst.«

»Dieses Dorf wurde von meinen Leidensgenossen, den Fluchtlingen aus Aquileia, gegrundet, und spater kamen noch andere dazu: aus Grado, Altino und Concordia. Wir trafen in der Nacht ein, entkraftet, verzweifelt, erschopft. Die Fischer kannten eine Gruppe von Inselchen inmitten der Lagune, die durch einen breiten Kanal vom Festland getrennt waren, wie der Abschnitt eines Flusses, der sich im Meer verloren hat. Auf der gro?ten der Inseln stand die Ruine einer alten, verfallenen Villa, und dort suchten wir Zuflucht. Die Manner hauften trockenes Gras und Reisig auf und richteten primitive Nachtlager her. Die jungeren Frauen legten sich hin, um ihre Kinder zu stillen, und irgend jemandem gelang es, zwischen diesen mit Schlingpflanzen uberwucherten Trummern ein Feuer zu entfachen. Am nachsten Tag begannen die Zimmerleute, Baume zu fallen und Hutten zu bauen, und die Fischer fuhren hinaus, um Fische zu fangen. Das war die Geburtsstunde unserer neuen Heimat. Weil wir bis auf einen Sizilianer und zwei Umbrer von der kaiserlichen Verwaltung allesamt Veneter waren, nannten wir sie Venetia.«

»Das ist ein schoner Name, sehr lieblich«, sagte Aurelius. »Er erinnert an einen Frauennamen. Und wie viele seid ihr?

»Fast funfhundert Personen. Schon wachst die erste Generation heran, die in der Stadt geboren wurde, die ersten Venezianer. Es ist so viel Zeit vergangen, da? man schon beginnt, bei ihnen einen neuen Akzent herauszuhoren, der sich von dem jener Leute unterscheidet, die auf dem Festland verblieben sind. Ist das nicht wunderbar?«

»Und niemand hat euch belastigt?«

»Mehrere Male, aber wir haben uns verteidigt. Unser Reich ist die Lagune, von Altino bis Ravenna; unsere Manner kennen dort jeden Winkel, jede Untiefe, jeden Strand, jedes noch so kleine Inselchen. Es ist eine unfa?bare, ambivalente Welt weder Land noch Wasser und, wenn die Wolken bis zu den Schaumkronen der Wellen herunterhangen, auch kein Himmel, sondern alle drei Dinge zusammen, die im winterlichen Nebel oder im herbstlichen Dunst, der dicht uber dem Wasserspiegel dahintreibt, oft auch ganz unsichtbar bleiben. Jede dieser Inseln ist von einer dichten Walddecke uberzogen. Unsere Kinder werden vom Gesang der Nachtigallen und den Rufen der Mowen in den Schlaf gewiegt.«

»Hast du ein Kind?« fragte Aurelius plotzlich.

»Nein. Aber die Kinder des einen sind die Kinder aller. Wir teilen uns das, was wir haben, und helfen einander. Wir wahlen unsere Fuhrer mit der Stimme aller und haben die alte republikanische Verfassung unserer Vorfahren wieder eingefuhrt, die von Brutus und Scaevola, von Cato und Claudius.«

»Du sprichst von deiner Lagune wie von einem wirklichen Vaterland.«

»Das ist sie auch!« erwiderte Livia. »Und wie das Rom der fruhen Zeit lockt es Fluchtlinge und Verbannte, Verfolgte und Entrechtete an. Wir haben Boote mit flachem Boden gebaut, die uberallhin kommen, wie das, das dich in der Nacht deiner Flucht aus Ravenna aufgelesen hat. Aber wir bauen auch Schiffe, die aufs offene Meer hinausfahren konnen. Fast jeden Tag entstehen neue Hauser, und die Zeit wird kommen, da wird Venetia der Stolz dieses Landes und eine gro?e Stadt am Meer sein. Das also ist mein Traum. Vielleicht habe ich deswegen

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