einen der vielen Schatten der Nacht zu verwandeln, und als ich den Mund offnete, stand ich bereits im Zelt, wo sich alle so verblufft zu mir wandten, als ware ich aus dem Nichts aufgetaucht. Mir gegenuber sah ich einen Mann von imposanter Erscheinung, dessen Gesicht von einem dunklen Bart eingerahmt war, welcher ihm das Aussehen eines alten Patriziers verlieh. Seine zusammengepre?ten Kiefer und der Ausdruck seiner dunklen und tiefen Augen verrieten, welch gro?e Angst sein Herz bedruckte. Neben ihm sa? eine wunderschone Frau heftig weinend an einem Bett, in dem ein anscheinend lebloses Kind von vielleicht vier oder funf Jahren lag.

»Wer hat den Befehl gegeben, einen Priester zu rufen?« fragte der Mann und sah mich unverwandt an. An meinem schlichten Erscheinungsbild, an meinen schmutzigen und zerknitterten Kleidern war offensichtlich etwas Armseliges, vielleicht sogar etwas Verachtenswertes, das eher an einen Bettler als an einen Diener Gottes erinnerte.

»Ich bin kein Priester ... noch nicht«, antwortete ich. »Aber ich bin trotzdem ein Heilkundiger und kann vielleicht etwas fur dieses Kind tun.«

Der Mann starrte mich mit einem Blick aus Feuer und Tranen an, und erwiderte: »Dieses Kind ist tot. Es war unser einziger Sohn.«

»Das glaube ich nicht«, antwortete ich. »Ich spure noch einen Hauch Leben in diesem Zelt. Erlaubt, da? ich ihn untersuche.« Der Mann stimmte mit der Schicksalsergebenheit des Verzweifelten zu, wahrend die Frau einen Blick voller Staunen und Hoffnung auf mich richtete.

»La?t mich mit ihm allein, und ich werde ihn euch, wenn auch nur die geringste Chance besteht, vor dem Morgengrauen zuruckgeben«, sagte ich und wunderte mich selbst uber meine Worte. Ich begriff tatsachlich selbst nicht, warum ich ausgerechnet an diesem einsamen Ort im Grunde meiner Seele spurte, wie sich die alte Wissenschaft und die romische Gelehrsamkeit mit dem Erbe der druidischen Krafte zu einem einzigen Bundel wunderbarer Energie und ruhigen Bewu?tseins vereinigten und sich neu belebten. Es war, als hatte ich uber all diese Jahre gelebt und dabei mich selbst und meine Wurde vergessen, und als ware mir nun plotzlich bewu?t geworden, da? ich den blutleeren Wangen dieses Geschopfes wieder Farbe verleihen und in die Augen, die unter den geschlossenen Lidern schon erloschen schienen, wieder Licht bringen konnte. Ich erkannte die eindeutigen Anzeichen einer Vergiftung, konnte aber nicht feststellen, wie weit der Proze? bereits fortgeschritten war. Der Mann zogerte, aber die Frau uberzeugte ihn. Sie zog ihn am Arm hinaus und flusterte ihm dabei etwas ins Ohr. Sie meinte wohl, da? ich dem Kind nichts Schlimmeres zufugen konnte als das, was die Krankheit, von der sie es befallen wahnte, ohnehin schon angerichtet hatte.

Ich offnete meinen Quersack und uberprufte den Inhalt. In all diesen Jahren hatte ich meine Medikamentenvorrate niemals ausgehen lassen und wahrend der entsprechenden Jahreszeiten immer Krauter und Wurzeln gesammelt und sie nach den Vorschriften behandelt, so da? ich sie jetzt in einer Pfanne mit Wasser aufwarmen und einen wirksamen Aufgu? zubereiten konnte, der imstande war, den bereits fast vollig erschlafften Organismus des Kindes reagieren zu lassen. Ich erwarmte ein paar Steine, wickelte sie in saubere Tucher und legte sie um seinen kalten Korper. Dann fullte ich hei?es, fast kochendes Wasser in einen Schlauch, den ich dem Knaben auf die Brust legte; denn bevor ich das Brechmittel verabreichte, mu?te ich in diesem Korper ein Minimum an Leben wecken. Als ich auf seiner blaulichen Haut kleine Schwei?perlchen austreten sah, flo?te ich ihm langsam den Aufgu? in Mund und Nase und bemerkte sofort eine Reaktion, ein fast unmerkliches Zusammenziehen der kleinen Nasenlocher.

Drau?en war die Welt in tiefem Schweigen versunken, nicht einmal das Weinen der Mutter war zu horen: Hatte sich diese stolze, schone Frau vielleicht mit diesem so herben Verlust abgefunden? Ich traufelte dem Kind noch ein paar weitere Tropfen ein, sah, da? es immer starker reagierte, und stellte sogleich eine sichtbare Kontraktion seines Bauches fest. Dann pre?te ich die Hande kraftig auf seinen Magen, und der Kleine erbrach sich - eine grunliche, ubelriechende Flussigkeit, die keinen Zweifel mehr zulie?. Ich flo?te ihm noch etwas von dem Brechmittel ein, und es folgten weitere Kontraktionen und dann eine gro?ere Anstrengung, und er erbrach sich noch einmal; darauf folgten weitere Konvulsionen. Schlie?lich streckte sich der Kleine erschopft aus, und ich entkleidete ihn, wusch ihn und bedeckte ihn mit einem frischen, sauberen Tuch. Er war schwei?gebadet, aber jetzt atmete er, und sein Puls wurde mit jedem muhsamen Schlag, der in meinen Ohren lauter und triumphaler klang als ein Trommelwirbel, gleichma?iger. Ich untersuchte den Inhalt seines Magens und sah mich in meinen Vermutungen voll bestatigt. Dann trat ich aus dem Zelt und fand mich den Eltern gegenuber. Sie sa?en auf zwei Schemeln am Lagerfeuer, und von ihren Augen war eine gro?e Erregung abzulesen. Sie hatten die Wurgegerausche gehort und wu?ten, da? es untrugliche Lebenszeichen waren, hatten aber ihr Wort gehalten und mich weiterhin mit ihrem Kind allein gelassen.

»Er wird uberleben«, sagte ich mit absichtlich sanftem Nachdruck. Und fugte sofort hinzu: »Er ist vergiftet worden.«

Die beiden sturzten in das Zelt, und man horte das gluckliche Schluchzen der Mutter, die ihr Kind in die Arme schlo?. Ich machte mich auf den Weg zum Ende des Lagers, zum Biwak der Wachen, um in einem Augenblick so starker und intimer Gefuhle nicht zu storen, doch eine energische Stimme hielt mich zuruck. Es war er, der Vater.

»Wer bist du?« fragte er. Ich drehte mich um und sah, wie er mich anstarrte. »Wie bist du in mein Zelt gelangt, das von bewaffneten Mannern bewacht wird? Und wie hast du meinen Sohn ins Leben zuruckgeholt? Bist du etwa ... ein Heiliger oder ein Engel des Himmels? Oder bist du vielleicht ein Geist des Waldes? Sag es mir, ich bitte dich!«

»Ich bin nur ein Mensch, der uber einige Kenntnisse in der Heilkunde und in den Naturwissenschaften verfugt.«

»Wir verdanken dir das Leben unseres einzigen Sohnes, und dafur gibt es auf dieser Erde keinen angemessenen Lohn. Aber au?ere eine Bitte, und du wirst, sofern es in meiner Macht steht, eine Belohnung erhalten.«

»Eine warme Mahlzeit und ein Brot fur meine Reise morgen sind genug«, antwortete ich. »Der gro?te Lohn fur mich ist ohnehin zu erleben, da? dieses Kind wieder atmet.«

» Wohin gehst du ?« fragte er mich.

»Nach Rom. Die Urbs und ihre Wunderwerke zu sehen, ist immer schon der Traum meines Lebens gewesen.«

»Auch wir sind auf dem Weg nach Rom. Also bitte ich dich, bleibe bei uns! So wird deine Reise gefahrlos verlaufen, und sowohl ich als auch meine Frau hoffen innig, da? du fur immer bei uns bleiben und dich unseres Sohnes annehmen wirst. Er wird einen Lehrer brauchen, und wer konnte ihm besser helfen als du, ein Mann von so gro?er Gelehrsamkeit und mit einer solchen Wunderkraft?«

Das war es, was ich zu horen gehofft hatte, aber ich erwiderte, da? ich erst daruber nachdenken und ihnen nach unserer Ankunft in Rom eine Antwort geben wurde. In der Zwischenzeit wurde ich mich bemuhen, dem Kind zu vollstandiger Genesung zu verhelfen, aber er, der Vater, musse den Morder ausfindig machen, jenen Mann, der ihn so sehr ha?te, da? er bereit war, ein unschuldiges Kind zu vergiften.

Ihm schien eine plotzliche Erkenntnis gekommen zu sein, und er erwiderte: »Das ist meine Angelegenheit. Der Verantwortliche wird nicht ungestraft davonkommen. Doch was dich anbelangt, so nimm unterdessen meine Gastfreundschaft und meine Speisen an und ruhe dich fur den Rest der Nacht aus. Das hast du dir verdient.«

Er sagte, er hei?e Orestes und sei Offizier der kaiserlichen Armee, und wahrend wir noch sprachen, trat seine Gemahlin hinzu, Flavia Serena, die, von Gefuhlen uberwaltigt, sogar nach meiner Hand griff, um sie zu kussen. Eilends zog ich sie zuruck und beugte mich meinerseits zu ihr, um ihr meine Ehrerbietung zu bezeigen. Sie war die schonste und vornehmste Dame, die ich in meinem ganzen Leben gesehen hatte. Nicht einmal die Angst vor dem Verlust ihres Kindes hatte die Harmonie ihrer aristokratischen Gesichtszuge beeintrachtigt, noch den Glanz ihrer bernsteinfarbenen Augen getrubt, sondern ihm nur die Tiefe des Schmerzes und der Sorge hinzugefugt. Ihre Haltung war stolz, aber ihr Blick sanft wie ein Sonnenuntergang im Fruhling; ihre reine Stirn war mit einem Zopf dunkler, violett schimmernder Haare bekranzt, ihre Finger lang und schmal, die Haut alabasterwei?. Unter ihrem Gewand aus leichter Wolle betonte ein samtener Gurtel ihre Figur, und ihren Hals schmuckte eine silberne Kette, an der nur eine einzige schwarze Perle hing. In meinem ganzen Leben hatte ich noch kein Geschopf von so betorender Schonheit gesehen, und von dem Augenblick an, da ich sie zum ersten Mal erblickt hatte, wu?te ich, da? ich ihr fur den Rest meiner Tage treu ergeben sein wurde, was fur ein Schicksal auch immer die Zukunft fur uns bereithalten wurde.

Вы читаете Die letzte Legion
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату