genommen, um es nach Konstantinopel, in seine neue Hauptstadt, zu bringen. Es hei?t auch, da? das Schwert zu irgendeinem Zeitpunkt durch eine Kopie ersetzt worden sei, aber wo das Original geblieben ist, wei? niemand.«

Romulus sah ihn mit einem ratselhaften, zugleich aber auch triumphierenden Blick an. »Jetzt zeige ich dir etwas«, sagte er. Er ging zum Fenster und zur Tur, um sich zu versichern, da? niemand in der Nahe war, dann beugte er sich unter das Bett und zog das Bundel hervor, das er dort versteckt hatte, wahrend sein Lehrer ihm, neugierig geworden, zusah.

»Schau!« rief er. Und er wickelte das wunderbare Schwert aus. Ambrosinus betrachtete es verwundert, ohne ein Wort sagen zu konnen. Romulus hielt es auf seinen beiden ausgestreckten Handen, und man konnte den gro?artig gestalteten goldenen Griff in Form eines Adlerkopfes mit zwei Augen aus Topasen sehen. Der polierte Stahl der Klinge glanzte im Halbschatten.

»Das ist das Schwert von Julius Casar«, sagte Romulus. »Schau dir diese Inschrift an: Cai Iulii Caesaris ensis ca ...«, begann er zu buchstabieren.

»Du gro?er Gott!« unterbrach ihn Ambrosinus und streckte seine zitternden Finger in Richtung Klinge aus. »Du gro?er Gott! Das cha-lybische Schwert Julius Casars! Ich habe immer geglaubt, es sei seit Jahrhunderten verschollen. Aber wie hast es blo? gefunden?«

»Es war an seiner Statue, in der Schwertscheide, an einem geheimen Ort. Eines Tages, wenn sie wieder etwas nachlassiger sind mit unserer Bewachung, fuhre ich dich dorthin und zeige dir alles. Du wirst deinen Augen nicht trauen! Aber was hast du da vorhin fur ein Wort gebraucht? Was ist ein chalybisches Schwert?«

»Es bedeutet einfach, geschmiedet von den Chalybern, einem Volk sudostlich des Schwarzen Meeres, das beruhmt ist fur seine Fahigkeit, einen einzigartigen Stahl zu produzieren. Es hei?t, da? Casar, als er den Krieg gegen Pharnakes, den Konig von Pontus, gewann ...«

»... als er sagte: >Veni, vidi, vici<?«

»Genau. Jedenfalls wird behauptet, da? ein Meisterschmied, dessen Leben er geschont hatte, es fur ihn angefertigt habe aus einem Block Siderit, aus vom Himmel gefallenem Eisen. Der Meteor, den man auf einem Gletscher des Berges Ararat gefunden hatte, soll durch das Feuer gezogen, drei Tage und drei Nachte lang unablassig gehammert und dann im Blut eines Lowen gehartet worden sein.«

»Ist das moglich?«

»Durchaus«, antwortete Ambrosinus. »Ja, sogar sicher. Wir werden gleich wissen, ob das, was du gefunden hast, das starkste Schwert der Welt ist. Los, nimm es in die Hand!«

Romulus gehorchte.

»Und jetzt schlag mit voller Kraft auf diesen Kandelaber.«

Romulus hieb zu, und die Klinge zischte durch die Luft, verfehlte aber um ein Haar das Ziel. Der Junge richtete sich auf und bereitete sich auf einen zweiten Versuch vor, doch Ambrosinus hielt ihn mit einer Handbewegung zuruck.

»Diesmal mache ich es besser«, sagte Romulus, »pa? auf ...«, doch er hielt, verblufft uber den verzuckten und geruhrten Blick seines Lehrers, inne.

»Was ist los, Ambrosinus? Warum siehst du mich so an?«

Der Hieb, der an dem Kandelaber vorbeigesaust war, hatte ein Spinnennetz, das in einer Ecke des Zimmers gespannt war, entzweigeschnitten, und der Spinne, die es gewoben hatte, nur die obere Halfte gelassen, mit einem Schnitt von besturzender Sauberkeit und Perfektion.

Ambrosinus trat naher, unglaubig angesichts dieses Wunders, und murmelte: »Schau, mein Kind, schau ... kein Schwert auf der Welt hatte so etwas je vollbringen konnen.«

Er blieb wie verzaubert stehen, um die Spinne zu beobachten, die ihre halbierte Wohnstatte verlie?, einen Moment lang im goldenen Staub eines Sonnenstrahls schwebte, der durch eine Ritze im Fensterladen drang, und schlie?lich in der Dunkelheit verschwand. Dann wandte er sich um und suchte Romulus' Blick: In den Augen des Knaben glanzte jetzt dasselbe Licht stolzer Kuhnheit wie in dem Augenblick, als er sich dem wilden Wulfila, ohne mit der Wimper zu zucken, zu seiner Verteidigung entgegengestellt hatte. Ein Licht, das er bei ihm niemals zuvor gesehen hatte ... derselbe metallische und schneidende Reflex, der auf der Scharfe dieser Klinge, in den herrlichen Augen des Adlers glitzerte. Und wie ein Gebet kamen ihm die alten Verse uber die Lippen:

Vemet adulescens a man infero cum spatha..

»Was hast du gesagt, Ambrosinus?« fragte Romulus, wahrend er das Schwert wieder in den Umhang wickelte.

»Nichts ... nichts ...«, erwiderte sein Erzieher. »Ich bin nur glucklich ... glucklich, mein Junge.«

»Warum? Weil ich dieses Schwert gefunden habe?«

»Weil der Augenblick gekommen ist, diesen Ort zu verlassen. Und niemand wird uns daran hindern konnen.«

Romulus sagte nichts: Er legte das Schwert zuruck, ging hinaus und zog die Tur hinter sich zu. Ambrosinus kniete sich auf den Boden, druckte zwischen beiden Handen den Mistelzweig, den er am Hals hangen hatte, und betete, aus der Tiefe seines Herzens, da? sich die Worte, die er soeben ausgesprochen hatte, bewahrheiten mochten.

XVI

Romulus sa? auf einer Holzbank und stocherte mit einem Stock in einem Ameisenhaufen herum. Das kleine Volk, das sich bereits auf den Winter eingerichtet hatte, war in Panik geraten, und die Ameisen flitzten in alle Richtungen und versuchten, die Eier ihrer Konigin in Sicherheit zu bringen. Ambrosinus, der gerade vorbeikam, trat an Romulus heran und fragte: »Wie geht es heute meinem kleinen Casar?«

»Schlecht. Und nenne mich nicht so. Ich bin nichts.«

»Aber du la?t deine Frustration an diesen armen unschuldigen Tierchen aus! Vergleichsweise hast du unter ihnen keine geringere Tragodie ausgelost als es der Fall von Troja oder zu Neros Zeiten der Brand von Rom gewesen waren. Ist dir das klar?«

Verargert warf Romulus das Stockchen weg. »Ich will meinen Vater wiederhaben und auch meine Mutter. Ich will nicht allein sein, und ich will kein Gefangener sein. Warum ist mein Schicksal nur so grausam?«

»Glaubst du an Gott?«

»Ich wei? es nicht.«

»Das solltest du aber tun. Niemand ist Gott naher als der Kaiser. Er ist sein Stellvertreter auf Erden.«

»Ich erinnere mich an niemanden, der nach der Besteigung des Thrones langer als ein Jahr Kaiser gewesen ware. Vielleicht sollte Gott sich weniger kurzlebige Stellvertreter auf Erden aussuchen. Meinst du nicht auch?«

»Er wird es tun, und seine Macht wird dem Auserwahlten ein unmi?verstandliches Zeichen geben. Aber jetzt hor auf, deine Zeit mit den Ameisen zu verschwenden! Geh lieber zuruck in die Bibliothek und lerne etwas! Heute wirst du die ersten beiden Bucher der Aeneis kommentieren.«

Romulus zuckte die Achseln. »Alte, nutzlose Geschichten.«

»Keineswegs! Vergil berichtet von den Geschicken des Helden Aeneas und seines Sohnes Iulus, der ein Junge war wie du und zum Stammvater der gro?ten Nation aller Zeiten wurde. Sie waren Fluchtlinge, Verzweifelte, und dennoch gelang es ihnen, sich wieder aufzurichten und den Mut und die Willenskraft aufzubringen, fur sich und ihre Leute eine neue Existenz aufzubauen.«

»In den Mythen ist alles moglich. Aber die Vergangenheit ist vergangen und kommt nicht wieder.«

»Wirklich? Warum bewahrst du dann eigentlich dieses Schwert unter deinem Bett auf? Ist es etwa kein Relikt einer alten, nutzlosen Geschichte?« Ambrosinus warf einen Blick auf die Sonnenuhr in der Mitte des Hofes und schien sich plotzlich an irgend etwas zu erinnern. Abrupt drehte er sich um, uberquerte, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, den Hof und verschwand im Schatten des Portikus. Wenige Augenblicke spater sah Romulus, wie er eine Treppe hinaufstieg, die zur Brustung der zum Meer hinunterblickenden Terrasse fuhrte, und dort aufrecht und reglos stehenblieb, wahrend der Wind ihm die grauen Haare unterhalb der Glatze zerzauste.

Der Junge stand auf und ging in Richtung Bibliothek, doch ehe er eintrat, warf er noch einen letzten Blick auf Ambrosinus, der sich jetzt ganz auf eine seiner ublichen Beobachtungen zu konzentrieren schien. Er schaute nach vorn und schrieb gleichzeitig mit dem Griffel etwas in sein obligates Notizbuch. Vielleicht studierte er die Bewegung der Wellen oder den Wanderzug der Vogel oder den Rauch, der seit einigen Tagen, immer dichter werdend und von bedrohlichem Raunen begleitet, aus dem Krater des Vesuvs aufstieg.

Romulus schuttelte den Kopf und trat zur Tur der Bibliothek, um hineinzugehen, doch just in diesem Augenblick winkte ihn Ambrosinus zu sich. Er gehorchte und lief zu seinem Lehrer, der ihn wortlos empfing und

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