schwappte uber den Rand, aber alle waren so sehr mit dem Entladen beschaftigt, da? es niemandem auffiel. Nun wurden die riesigen Gefa?e nacheinander mit dem Kran hochgehoben und auf ein Fuhrwerk gehievt, das von zwei Paar Ochsen gezogen wurde. Als sie mit dem Beladen fertig waren, lie? der Fuhrmann die Peitsche knallen und rief: »Hu! Hu!«, und der Wagen zockelte auf der steilen, schmalen Stra?e los, die zur Villa hinauffuhrte. Als er dort eintraf, lag der untere Teil der Insel bereits im Schatten, wahrend der letzte Widerschein der untergegangenen Sonne noch die Federwolken am Himmel und die Dacher der hochstgelegenen Teile der weitlaufigen Residenz rot farbte. Das gro?e Portal wurde geoffnet, und der Karren, dessen Rader auf dem Steinpflaster schrecklich laut rasselten, fuhr in den unteren Hof ein. Ganse und Huhner stoben, wie wild mit den Flugeln schlagend, in alle Richtungen davon; die Hunde bellten, und sofort begannen Diener und Trager geschaftig mit dem Entladen der Waren.
Der Aufseher des Gesindes, ein alter Neapolitaner mit runzeliger Haut, rief seinen Leuten, die auf der oberen Terrasse schon den Lastenaufzug bereitgestellt hatten, etwas zu, und sie lie?en die Hebebuhne mit Hilfe einer Winde so weit herunter, da? sie bis zur Ladepritsche des Fuhrwerks reichte. Der erste der Kruge wurde gekippt, bis zu der Plattform gerollt, und dort dann mit Seilen und Keilen gesichert. Der Aufseher legte die Hande wie einen Trichter um den Mund und brullte: »Hau ruck!« Die Diener drehten die Griffe der Winde, und die Plattform schwebte, stohnend und knirschend und zuerst hin und her schwankend, in der Luft, bis sie ganz langsam anfing, sich auf die obere Terrasse zuzubewegen.
Auf der anderen Seite der Villa, am Fu?e der Steilwand, sprang Batiatus an Land und zog das Boot achtern bis dicht an die kleine Bucht heran, die von gro?en Kieselsteinen und spitzen Felsen umrahmt war. Gerade war ein Wetterumschwung im Gange: Kalte Windboen krauselten die Wellen des Meeres und wuhlten ganze Sto?e von Schaum auf, wahrend vom Westen eine Front schwarzer Wolken heranzog, durch die immer wieder grelle Blitze zuckten. Das Grummeln des Donners vermischte sich mit dem dumpfen Grollen des fernen Vesuvs.
»Ein Sturm hat uns gerade noch gefehlt!« knurrte Vatrenus, wahrend er zwei Seilrollen aus dem Boot holte.
»Besser so!« sagte Aurehus. »Die Wachen werden sich ins Trockene verkriechen, und wir haben mehr Handlungsfreiheit. Los, vorwarts, die Zeit fliegt uns davon!«
Batiatus sicherte das Achtertau, indem er es um einen Felsblock wickelte, und machte Demetrios ein Zeichen, damit er den Buganker ablie?. Dann sprangen alle an Land. Jeder trug uber seiner Tunika ein mit Leder oder Kettenpanzerung verstarktes Korsett, eine enganliegende Hose, einen breiten Gurtel mit Schwert und Dolch sowie einen Helm aus Eisen. Aurelius begab sich an den Fu? des Felsens und atmete tief durch, wie er es immer tat, wenn er im Begriff war, sich einem Feind entgegenzustellen. Von unten gesehen, hatte der erste feil der Wand eine leichte Neigung, die einen nicht allzu beschwerlichen Aufstieg ermoglichte.
»Wir mussen zu zweit bis zu dem Grat aufsteigen, dorthin, wo man diese hellere Gesteinsader sieht«, sagte Aurelius. »Ich bringe das Seil mit den dazwischengeknupften Staben mit, das uns als Sprossenleiter dienen wird. Du, Vatrenus, nimmst den Sack mit den Haken und dem Hammer. Livia sollte uns dann von oben das andere Seil herunterwerfen, damit wir den zweiten Abschnitt, den steileren, uberwinden konnen. Notfalls werden wir im freien Anstieg hinaufgehen: Wenn das dieser Fischer geschafft hat, konnen wir es auch.« Dann wandte er sich an Batiatus: »Bei unserer Ruckkehr mu?t du das untere Ende des Seils ganz strammziehen, damit es nicht im Wind schwankt: Der Junge konnte sonst Angst bekommen oder das Gleichgewicht verlieren und absturzen, vor allem, wenn es zu regnen anfangt und alles viel rutschiger wird. Los, gehen wir, solange es noch etwas hell ist.«
Vatrenus hielt ihn am Arm fest: »Bist du sicher, da? deine Schulter das aushalt? Vielleicht ware es besser, wenn Demetrios hinaufgeht. Der ist ja auch leichter.«
»Nein, ich gehe. Meine Schulter ist schon in Ordnung. Mach dir keine Sorgen.«
»Du bist ein Dickschadel, und wenn wir im Feldlager waren, wurde ich dir schon zeigen, wer das Kommando hat, aber hier entscheidest du, und das ist auch gut so. Los, gehen wir!«
Aurelius hangte sich die Seilrolle uber die Schulter und fing an hinaufzuklettern. Unweit von ihm begann Vatrenus den Aufstieg mit einer schweren Ledertasche: Sie enthielt den Hammer und die Zeltpflocke, die er benutzen wurde, um Aurelius' Seil am Fels zu befestigen, sobald er einen Punkt erreichte, an dem er Halt finden wurde.
Im unteren Hof der Villa hievte man gerade den funften der gro?en Kruge in die Hohe, als eine plotzliche Sturmbo die Hebebuhne ins Wanken brachte. Eine zweite Bo verursachte eine noch gro?ere Schwankung, so da? das Gewicht des riesigen Gefa?es, das bereits auf halber Hohe zwischen dem Pflaster des Hofes und der oberen Terrasse schwebte, das schwache Hebeseil, das sie trug, zerri?. Der Krug fiel hinunter und zerbarst beim Aufschlag auf den Boden mit donnerndem Getose; die Tonscherben flogen nur so durch die Gegend, wahrend sich am Boden ein gewaltiger Olfleck ausbreitete. Einige der Manner trugen Verletzungen davon, andere wurden von Kopf bis Fu? mit Ol bespritzt und in groteske Gestalten verwandelt, die triefend und auf wackeligen Fu?en dastanden. Der Aufseher fluchte, trat nach ihnen und schrie, au?er sich vor Wut: »Ausgerechnet das Ol mu?t ihr verschutten, ihr verdammten Blodiane! Aber dafur mu?t ihr mir bu?en, und wie ihr mir dafur bu?en mu?t!«
Livia spahte unter dem Rand des Deckels hervor und zog sich sofort wieder zuruck. Nach einem kurzen Moment der Verwirrung wurde die Plattform erneut heruntergelassen, und sie begriff, da? die Leute nun den Deckel mit einem Seil befestigen und das Gefa? kippen wurden. Sie hielt den Atem an, bis das Wasser im Inneren nicht mehr hin und her schwappte, dann steckte sie sich ein Rohrchen in den Mund und atmete weiter. Wahrend die Hebebuhne langsam nach oben stieg, knirschte und schwankte der ganze Apparat mehr und mehr, und das zunehmende Sausen des Windes klang im Inneren des Kruges wie ein dumpfes Muhen. Livia horte, wie ihr Herz immer schneller pochte, je ungemutlicher es in diesem engen, flussigen Gefangnis wurde, in dieser Art von Uterus aus Stein, in dem sie bei jeder Schwankung durchgeruttelt wurde und schon jegliche Orientierung und Balance verloren hatte.
Am Ende ihrer Krafte angelangt, war sie kurz davor, die Wand des Gefa?es mit ihrem Schwert zu zertrummern - egal, was dann geschehen wurde. Plotzlich spurte sie, da? die Lastenbuhne endlich auf einer festen Unterlage aufgesetzt hatte. Sie fa?te neuen Mut und hielt den Atem an, wahrend der Krug auf dem Pflaster von den Dienern angeschoben und gerollt wurde und die Luft innen vollends ausging. Bald merkte sie, da? die Arbeiter den Krug wieder in eine aufrechte Position brachten und ihn vermutlich neben den anderen Gefa?en aufstellten. Sie hob den Kopf uber die Wasseroberflache, atmete tief ein und blies dann die Flussigkeit durch die Nase aus. Als die Schritte der Arbeiter, die sich nun entfernten, vollkommen verklungen waren, zog sie ihren Dolch heraus, steckte ihn in die Ritze zwischen dem Hals des Gefa?es und dem Deckel, bis sie das Seil fand, das ihn dort festhielt, und begann es durchzuschneiden. Sie war erschopft, und ihre Glieder waren ganz starr, vor Kalte wie gelahmt.
Nicht weit von ihr entfernt, in einem Zimmer der kaiserlichen Gemacher, bereiteten sich Ambrosinus und Romulus unterdessen auf die Flucht vor: Sie zogen bequeme Gewander an und Beinkleider aus Filz, die rasche und absolut gerauschlose Bewegungen gestatteten. Der Alte steckte alles, was er von seinen Habseligkeiten zusammenraffen konnte, in seinen Reisesack: etwas zu essen und au?erdem seine Pulverchen, seine Krauter und seine Amulette. Und dazu noch die
»Aber das ist doch ein uberflussiges Gewicht«, sagte Romulus.
»Glaubst du? Und dabei ist es die kostbarste Last, mein Kind!« antwortete Ambrosinus. »Wenn man flieht und alles zuruckla?t, ist der einzige Schatz, den wir mitnehmen konnen, die Erinnerung. Die Erinnerung an unsere Ursprunge, an unsere Wurzeln, an die Geschichte unserer Vorvater. Nur die Erinnerung kann uns eine Wiedergeburt aus dem Nichts ermoglichen. Gleichgultig, wo, gleichgultig, wann - wenn wir die Erinnerung an unsere vergangene Gro?e und an die Grunde bewahren, weshalb wir sie verloren haben, werden wir uns wieder aufraffen.«
»Aber du kommst aus Britannien, Ambrosinus, du bist ein Kelte.«
»Das stimmt, doch in diesem so schrecklichen Augenblick, in dem alles zusammenbricht und alles in Auflosung begriffen ist, in dem die einzige Zivilisation dieser Welt mitten ins Herz getroffen ist, mussen wir uns einfach als Romer bezeichnen.
Auch wir, die wir vom au?ersten Rand des Reiches stammen, auch wir, die wir vor so vielen Jahren unserem Schicksal uberlassen wurden ... Und du, Casar? Du nimmst gar nichts mit?«
Romulus zog das Schwert unter seinem Bett hervor. Er hatte es schon sorgfaltig eingewickelt, verschnurt und einen Gurt daran befestigt, damit er es sich auf den Rucken binden konnte.
»Ich, ich nehme dieses hier mit«, sagte er.
Aurelius war noch etwa drei?ig Fu? von der Querrille entfernt, die die Wand uber die ganze Breite