durchschnitt, als plotzlich ein Blitz den Felsen taghell erleuchtete, darauf folgte das Drohnen eines Donners, und augenblicklich begann es, wie aus Eimern zu schutten. Jetzt gestaltete sich alles schwieriger: Die Haken wurden glitschiger und die Sicht verschwommener, weil das Wasser die Haare anklatschte und in die Augen drang, und mit jeder Sekunde wurde das aufgerollte Seil, das Aurelius uber der Schulter trug, schwerer, da es sich immer mehr mit Wasser vollsog. Vatrenus ahnte die Probleme seines Freundes und versuchte, moglichst nah an ihn heranzukommen. Er fand Halt und schlug einen Haken in den Felsen, so hoch er gerade noch reichen konnte. Aurelius sah ihn, bewegte sich auf ihn zu, stellte den Fu? auf den Haken und zog sich nach oben, bis er eine Felsnase zu fassen bekam, die rechts von ihm aus der Wand ragte. Von dieser Stelle an hatte der Felsen eine flachere Neigung, was es ihm erlaubte, mit gro?erer Trittsicherheit bis zu dem Absatz zu gelangen, der unterhalb der Mauer lag. Es handelte sich um einen Grabenrand aus Kalkgestein, der bedeckt war mit Geroll, welches im Laufe der Jahrtausende von dem daruber gelegenen Felsen heruntergefallen war. Aurelius warf das Seil auf den Boden und beugte sich nach hinten, um nun seinerseits seinem Kameraden beim Heraufklettern zu helfen.
Sobald Vatrenus den Rand erreicht hatte, zog er den schweren Hammer aus der Tasche, schlug zwei Haken in den Felsen, sicherte daran das Seil, wickelte es ab und lie? es bis zum Anlegeplatz hinabfallen. Unten packte Batiatus das Ende und zog mit aller Kraft daran, um es zu testen.
»Es halt«, bemerkte Vatrenus voller Genugtuung.
Auf diese Weise, strammgezogen und mit den ungefahr drei?ig im Abstand von je drei Fu? daran befestigten Staben, sah das Seil fast wie eine Leiter aus.
»Der Junge schafft das bestimmt«, sagte Aurelius.
»Und der Alte?« fragte Vatrenus.
»Der auch. Der ist flinker, als du glaubst.« Er blickte hinauf und versuchte dabei, seine Augen gegen den herabstromenden Regen abzuschirmen. »Livia ist noch nicht zu sehen, verdammt noch mal.
Was machen wir jetzt? Ich warte noch ein bi?chen, und dann gehe ich allein da hinauf.«
»Das ist doch Wahnsinn! Das schaffst du nie. Nicht unter diesen Umstanden.«
»Du irrst dich. Ich steige mit den Haken hinauf. Gib mir die Tasche.«
Vatrenus sah ihn besturzt an, doch just in diesem Augenblick wurden sie beide von einer Handvoll Steinchen getroffen. Aurelius blickte nach oben und erkannte die Umrisse einer Gestalt, die ausholende Gesten machte.
»Livia!« rief er aus. »Endlich!«
Das Madchen warf ihr Seil herunter, das etwas oberhalb von Aurelius Kopf endete, der nun weiter hinaufkletterte, wobei er sich Hande, Arme und Knie aufschurfte und an den scharfen Kanten ganze Hautfetzen zurucklie?, bis er schlie?lich das untere Ende des Seils zu fassen bekam. Dann setzte er unter gewaltigen Anstrengungen den Aufstieg fort. Der Wind, der immer heftiger wehte, lie? das Seil nach rechts und nach links schwingen und schleuderte ihn hin und wieder gegen die schroffen Felsen, was ihm Schmerzensschreie entlockte, die sich mit dem Tosen des Sturms vermischten. In der Ferne konnte er sehen, da? aus dem Schlund des Vesuvs gelegentlich ein dunkler, blutroter Feuerschein aufleuchtete. Das mit Wasser vollgesogene Seil wurde immer rutschiger, und das Gewicht seines Korpers zog ihn manchmal nach unten, so da? er in einem einzigen Augenblick das an Hohe verlor, was er gerade so muhsam erobert hatte, und dadurch verlangerten sich seine Torturen. Doch jedesmal kletterte er beharrlich wieder hinauf, bi? die Zahne zusammen, uberwand die Mudigkeit und die Pein, die er in jedem Muskel, in jedem Gelenk spurte, und auch die Schmerzen in seiner alten Wunde, die ihm wie Dolchstiche in den Schadel drangen.
Mit qualvoller Spannung verfolgte Livia jede seiner Bewegungen, und als Aurelius endlich nahe genug war, beugte sie sich mit dem ganzen Oberkorper weit uber die Brustung, packte ihn am Arm und zog, so gut sie konnte. Mit einer letzten Anstrengung kletterte Aurelius uber die Brustung und druckte seine Kameradin in einer befreienden Umarmung inmitten des prasselnden Regens an sich. Sie war es, die sich als erste aus ihr loste. »Schnell, helfen wir Vatrenus und den anderen.«
Unten waren Demetrios und Orosius an dem Seil mit den Staben bis zu der Felsrille aufgestiegen und hatten dort das untere Ende des von Livia heruntergeworfenen Seils gegriffen. Sie sicherten sich gegenseitig und kletterten rasch hinauf, unterstutzt von ihren Gefahrten, die sie von oben hochzogen. Als letzter traf Vatrenus ein.
»Ich hatte euch doch gesagt, da? wir das schaffen«, jubelte Livia. »Und jetzt suchen wir den Jungen, bevor die Wachen kommen.«
XVII
Die obere Terrasse lag verlassen da, und das Pflaster mit den gro?en Schieferplatten glanzte im zuckenden Licht der Blitze wie ein Spiegel. In einer Gruppe standen an der Mauer noch die Kruge, die am Nachmittag entladen worden waren, und Livia schaute sie in Erinnerung an ihr jungstes Abenteuer im Bauch eines dieser Gefa?e eindringlich an.
»Hinter diesen Krugen gibt es eine Plattform, uber die man mit einem Lastenaufzug hineinkommt«, sagte sie. »Wir konnten uns von Orosius und Demetrios mit Hilfe der Winde bis zum Hof herunterlassen und so zur Bibliothek gelangen. Dort erwarten sie uns doch, oder?«
»Ja«, erwiderte Aurelius, »aber wenn man uns sieht, wahrend wir so in der Luft baumeln, werden wir eine leichte Zielscheibe sein. Besser ware ein Weg im Inneren. Es durfte nicht allzu schwer sein, den Hof zu erreichen, und in der Bibliothek brennt bestimmt ein Licht, das uns den Weg weist.« Er wandte sich an Orosius. »Du bleibst hier, stehst Wache und haltst uns den Fluchtweg frei. Von dem Augenblick an, da du uns verschwinden siehst, zahle bis tausend: Wenn wir bis dahin noch nicht wieder aufgetaucht sind, la? dich zu Batiatus hinunter, und sucht beide das Weite. Wir schlie?en uns euch dann spatestens in zwei Tagen irgendwie an Land an. Wenn nicht, bedeutet das, da? unsere Mission gescheitert ist und da? es euch frei steht hinzugehen, wo ihr wollt.«
»Ich bin mir sicher, da? ihr wohlbehalten zuruckkehren werdet«, antwortete Orosius. »Viel Gluck!«
Aurelius erwiderte seinen Wunsch mit einem unsicheren Lacheln, dann gab er seinen Kameraden ein Zeichen und wandte sich zu der Steintreppe, die zu den unteren Stockwerken fuhrte. Er ging als erster mit dem Schwert in der Hand, dann folgten Livia, Vatrenus und zuletzt Demetrios.
Der Treppenschacht war stockdunkel, und nur die Blitze erhellten ihn hin und wieder, wenn ihr Licht durch die schmalen Offnungen drang, die auf den Innenhof schauten. Irgendwann sah man einen schwach leuchtenden Lichtschein, der sich auf den Wanden und den Stufen aus Tuffstein ausbreitete.
Aurelius bedeutete seinen Gefahrten naher zu kommen und wisperte: »Vor uns liegt ein Korridor, und diese Turen hier mussen zu Schlafraumen fuhren. Auf mein Zeichen hin uberquert ihr ihn, so schnell ihr konnt, und wir erreichen dann die zweite Stiegenrampe, die uns nach unten fuhren sollte, ins Erdgescho?. Nur Mut! Im Augenblick scheint alles ruhig zu sein.«
»Geh nur los«, sagte Vatrenus. »Wir kommen hinter dir her.« Doch sobald sich Aurelius in Bewegung gesetzt hatte, offnete sich links von ihm eine Tur, und heraus trat ein Barbarenkrieger mit einem halbnackten Madchen. Aurelius fiel, das Schwert in der Faust, uber ihn her, und bevor dieser die Zeit hatte, irgend etwas zu begreifen, hatte er ihn bereits durchbohrt. Das Madchen kreischte los, aber Livia warf sich sofort auf sie und hielt ihr mit beiden Handen den Mund zu. »Ruhe! Wir wollen dir nichts Boses antun, aber wenn du noch einmal schreist, schneide ich dir die Kehle durch. Verstanden?« Das Madchen nickte krampfhaft mit dem Kopf. In wenigen Augenblicken fesselten Demetrios und Vatrenus sie an Handgelenken und Knocheln, knebelten sie und zerrten sie in eine dunkle Nische.
Unten, im alten Speisesaal, fuhr Wulfila, der gerade sein Abendessen beendet hatte, hoch und spitzte die Ohren.
»Hast du das auch gehort?« fragte er seinen Stellvertreter, einen jener Skiren, die unter Mledos Kommando gekampft hatten.
»Was denn?«
»Einen Schrei.«
»Die Manner vergnugen sich dort oben mit den neuen Huren, die gestern aus Neapel angeliefert worden sind. Da kannst du ganz ruhig sein.«
»Das war kein Lustschrei. Das war ein Angstschrei«, beharrte Wulfila, stand auf und griff zu seinem Schwert.
»Na und? Du wei?t doch, da? manche hartere Spielchen bevorzugen. Das sind sie gewohnt; das ist Teil ihres Gewerbes. Das einzige, was mich beunruhigt, ist, da? diese Nutten nicht aufhoren, unsere Kampfer zu demoralisieren. Ich habe schon seit langerem den Eindruck, da? sie an nichts anderes mehr denken als ans Picken ...«