ihm einfach nur einen Punkt mitten im Meer zeigte. Vor ihnen wiegte sich, durch die Entfernung verkleinert, ein Fischerboot, eine Nu?schale auf der blauen Flache.
»Jetzt erklare ich dir ein interessantes Spiel«, sagte Ambrosinus. Aus den Falten seines Gewandes zog er einen stark glanzenden Bronzespiegel hervor, drehte ihn zur Sonne und warf einen kleinen leuchtenden Flatterpunkt auf die Wellen in der Nahe des Bootes und dann mit beeindruckender Prazision auf den Bug und auf das Segel. Gleich darauf begann er, mit dem Handgelenk schnelle und geubte Bewegungen auszufuhren und lie? den kleinen Leuchtpunkt auf dem Deck des Bootes bald auftauchen, bald wieder verschwinden.
»Was machst du denn da?« fragte Romulus verdutzt. »Darf ich das auch einmal probieren?«
»Lieber nicht! Ich unterhalte mich mit den Leuten auf diesem Schiff mit Hilfe von Lichtsignalen - ein System, das
Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als vom Boot her mit einem entsprechend blinkenden Signal geantwortet wurde.
»Was sagen sie?«
»Sie sagen: >Wir kommen euch holen. An den Nonen des Dezembers^ Das hei?t ... in genau drei Tagen. Ich habe dir doch gleich gesagt, da? sie uns nicht im Stich lassen werden und da? man die Hoffnung nie aufgeben darf.«
»Du machst dich doch nicht etwa uber mich lustig ...?« fragte Ro-mulus verunsichert. Ambrosinus nahm ihn in die Arme. »Es ist wahr«, antwortete er mit zitternder Stimme. »Es ist wahr, endlich!«
Romulus gelang es nur muhsam, seine Gefuhle zu beherrschen. Er wollte sich nicht auf diese neue Hoffnung einlassen aus Angst, noch einmal enttauscht zu werden. So fragte er lediglich: »Wie lange geht das schon so?«
»Ein paar Wochen. Wir hatten einiges zu besprechen.«
»Und wer hat damit angefangen?«
»Sie. Sie haben mir uber einen der Diener, die zum Hafen hinuntergehen, um dort einzukaufen, eine Botschaft zukommen lassen, und so habe ich mich mit meinem sorgfaltig polierten Spiegel zu einem Rendezvous eingefunden. Es war schon, endlich wieder einmal mit jemandem von au?erhalb zu plaudern.«
»Und du hast mir nichts davon gesagt ...«
Romulus blickte seinen Erzieher besturzt an. Dieser lachelte und blinzelte zuerst ihn an und dann das kleine Schiff in der Ferne. Vor Romulus' Augen wurde der Dialog mittels der Leuchtsignale wieder aufgenommen und nur unterbrochen, wenn das Gerausch von Schritten die Ankunft der Wachen ankundigte, die ihre Runde drehten. Ambrosinus nahm ihn bei der Hand, und sie stiegen zusammen die Treppe hinunter und gingen in die Bibliothek.
»Ich wollte dich nicht noch einmal ohne Grund enttauschen. Aber jetzt bin ich davon uberzeugt, da? dieses Unternehmen gelingen konnte. Sie sind nur eine Handvoll Verzweifelter, aber sie verfugen uber eine machtige Waffe ...«
»Und die ware?«
»Der Glaube, mein Junge. Der Glaube, der Berge versetzt. Nicht der Glaube an einen Gott, denn sie sind nicht gewohnt, sich auf ihn zu verlassen. Sie glauben vielmehr an den Menschen, selbst in dieser finsteren Zeit, selbst jetzt, da alle Ideale und samtliche Gewi?heiten erschuttert worden sind. Doch jetzt gehen wir etwas lernen!
Ich konnte dir vielleicht die
Romulus sah ihn voller Bewunderung an. »Gibt es etwas, was dir nicht bekannt ist, Ambrosinus?«
Die Miene des Lehrers wurde plotzlich nachdenklich. »Viele Dinge«, sagte er, »und zwar ganz wichtige: ein Sohn, zum Beispiel; ein Haus, eine Familie ... die Liebe einer Frau ...« Er tatschelte Romulus, und uber seine blauen Augen legte sich ein wehmutiger Schleier.
Das Boot fuhr weiter und umrundete die Nordspitze der Insel.
»Bist du sicher, da? wir das richtig verstanden haben?« fragte Batiatus.
»Und ob ich mir sicher bin! Es ist nicht das erste Mal, da? wir Botschaften austauschen«, erwiderte Aurelius.
»Das hier also ist das ostliche Vorgebirge, und dies ist die Nordwand«, sagte Vatrenus. »Beim Herkules, sie ist senkrecht wie eine Mauer! Und dir zufolge sollten wir also bis dort oben hinaufklettern, den Jungen gegen die erklarten Absichten von etwa siebzig fuchsteufelswilden Wachen entfuhren, uns dann zum Meer herunterlassen, wieder ins Boot steigen und
»Ja, so ungefahr«, antwortete Aurelius.
Livia hantierte mit der Leine und stellte das Boot in den Wind, so da? es, sanft auf den Wellen schaukelnd, zum Stehen kam. Die Felswand ragte jetzt fast senkrecht uber ihnen empor, nackt und kahl, und uber ihr dann noch die Mauer der Villa.
»Dies ist fur uns die einzige zugangliche Stelle«, fuhr Aurelius fort, »eben weil man es fur unmoglich halt, da? irgend jemand hier hochklettern konnte. Wir haben gesehen, da? die Wachen hier nur zweimal vorbeikommen - einmal wahrend der ersten Schicht und dann noch einmal, im Zuge der dritten, vor dem Morgengrauen.
Wir haben fast drei Stunden Zeit, um unseren Auftrag auszufuhren.« Er stellte das mit Wasser gefullte Stundenglas auf den Kopf und deutete mit dem Finger auf die verschiedenen Markierungen. »Eine Stunde, um da hinaufzuklettern, eine halbe Stunde, um den Jungen zu holen, eine halbe Stunde, um wieder herunterzukommen und zu verschwinden, und eine halbe Stunde, um zur Kuste zu gelangen, wo die Pferde auf uns warten. Batiatus bleibt derweil unten, um das Schiff zu bewachen und die Seile zu handhaben, die anderen klettern hinauf. Livia wird sich zu diesem Zeitpunkt schon an Ort und Stelle befinden, im oberen Laufgraben der Nordmauer der Villa.«
»Und wie das?« fragte Vatrenus.
Aurelius wechselte einen Blick mit Livia, um sich ihrer Zustimmung zu versichern. »Mit einem Trick, der so alt ist wie die Welt - dem des Trojanischen Pferdes.«
Mit einem langen Blick suchte Batiatus die Wand bis zur oberen Mauer der Villa Elle fur Elle ab und seufzte: »Zum Gluck bleibe ich unten. Ich mochte nicht in eurer Haut stecken.«
»Nichts ist daran so schrecklich«, sagte Livia. »Es hat schon einmal einen einzelnen Mann gegeben, der mit blo?en Handen dort hinaufgekraxelt ist.«
»Das kann ich nicht glauben«, erwiderte Batiatus.
»Und doch ist es so. Zu Tiberius' Zeiten wollte ein Fischer dem Kaiser eine riesengro?e Languste schenken, die er soeben gefangen hatte, und da man ihn nicht zum Hauptportal hereinlie?, kletterte er vom Meer aus die Felswand hoch.«
»Beim Herkules!« rief Vatrenus aus. »Und wie ist die Sache ausgegangen?«
Livia verzog ein wenig den Mund. »Das verrate ich euch erst, wenn die Mission beendet ist. Und jetzt wurde ich sagen, da? wir umkehren sollten, bevor der Wind sich dreht.« Sie holte die Leine ein, wahrend Demetrios mit dem Ruder so manovrierte, da? er das Segel an den Wind stellte, und das Boot wendete in einem weiten Bogen, so da? der Bug landeinwarts schaute. Aurelius warf einen letzten Blick auf die Stufen der Villa und sah dort deutlich eine gespenstische Gestalt auftauchen: einen hunenhaften Krieger, der in einen von der Brise geblahten Umhang gehullt war.
Wulfila.
Drei Tage spater fuhr gegen Abend ein Lastschiff in den kleinen Hafen ein. Der Kapitan rief den Ladearbeitern etwas zu und warf ihnen das Ankertau entgegen. Vom Heck schleuderte der Steuermann ein zweites Tau herab, und das Schiff legte an. Die Auslader gingen zum Landesteg, und die Trager begannen, die kleineren Frachtstucke zu entladen: Sacke mit Getreidekornern und Mehl, Bohnen und Kichererbsen sowie Amphoren, gefullt mit Wein, Essig und eingekochtem Most. Dann rollten sie ein Hebegerat fur die schwereren Lasten heran: sechs gro?e Tonkruge mit einem Fassungsvermogen von je funfhundert Litern, drei davon gefullt mit Olivenol und drei voller Trinkwasser fur die Bewohner der Villa.
Livia, die im Heck zwischen den Sacken kauerte, vergewisserte sich, da? niemand zu ihr herubersah, und kroch dann auf einen der Kruge zu. Sie hob den Deckel des ersten hoch und fand ihn mit Wasser gefullt. Sie warf eine Rolle Seil hinein, dann stieg sie selbst in den Krug und schlo? den Deckel uber ihrem Kopf. Etwas Wasser