unserer Ruckkehr wieder hereinkommen wollten. Doch als wir ihn erreicht hatten, von einer Horde wutender Feinde verfolgt, war der Durchgang versperrt, und unsere Verbundeten richteten ihre Waffen gegen uns. Wir waren eingekesselt! Viele von uns fielen im Kampf, doch manch einer konnte sich retten, weil plotzlich dichter Nebel aufstieg, der uns verbarg und uns half, durch ein verborgenes Tal in Sicherheit zu gelangen, das zwischen hohen Felswanden eingebettet lag. Wir beschlossen, uns einzeln durchzuschlagen und getrennt in unsere Hauser zuruckzukehren. Der Verrater hie? ubrigens Wortigern, der uns noch heute unterdruckt, uns mit Steuern und Raubzugen ausblutet und uns mit seiner Schreckensherrschaft knechtet. Seit damals leben wir in Schande und Dunkelheit. Wir gehen unserer Arbeit nach und versuchen zu vergessen, was wir einst waren. Doch jetzt tauchte wie durch ein Wunder dieses Banner aus dem Nichts wieder auf und erinnert uns daran, da? niemand, der je fur die Freiheit kampfte, als Sklave sterben darf.«

»Sag mir doch noch«, fuhr Ambrosinus fort, »wer es war, der die Legion aufgelost hat? Wer hat euch geraten, zu euren Familien heimzukehren?«

»Nachdem unser Kommandant im Kampf gefallen war, schlug uns sein Stellvertreter Kustennin diese Moglichkeit vor, ein weiser, tapferer Mann, der fur uns das Beste wollte. Seine Frau hatte ihm kurz zuvor ein Kind geboren, ein Madchen so schon wie eine Rosenknospe, vielleicht erkannte er deshalb in diesem Augenblick, da? das Leben das kostbarste Gut auf Erden ist. Auch wir dachten an unsere Frauen, unsere Hauser und unsere Kinder. Doch war uns nicht klar, da? wir sie nur dann verteidigen konnten, wenn wir unter dem Banner vereint blieben ...«

Ambrosinus wollte die Unterredung gern noch weiterfuhren, doch der Mann, dem die Kehle wie zugeschnurt war, verstummte. Er warf einen langen Blick auf das Banner, das im Wind flatterte, dann entfernte er sich still.

Betroffen von diesen Enthullungen, sprach Ambrosinus noch mehrere Male bei Kustennin vor und versuchte, ihn fur seine Sache zu gewinnen. Doch vergebens. Unter diesen Voraussetzungen Wortigerns Macht herauszufordern, kam nach Kustennins Ansicht einem Selbstmord gleich. Der Anschein von Freiheit, uber die sein Volk jetzt noch verfugte, schien im Vergleich zu den Risiken eines Aufstands sehr viel mehr Vorteile zu bieten. In diesen Zeiten mu?te ein solcher Schritt unweigerlich ins Verhangnis fuhren, also weigerte sich Kustennin, die Neuankommlinge seinerseits zu besuchen.

Carvetia war mittlerweile die einzige Stadt in Wortigerns Herrschaftsgebiet, in der noch ein Trugbild der Freiheit herrschte, und das nur, weil dem Tyrannen ihre Markte am Herzen lagen, vor allem aber der Hafen, in dem seltene Guter umgeschlagen wurden. Besonders schatzte er diesen Ort wegen des Austauschs von Nachrichten, die er fur den Erhalt und die Ausdehnung seiner Macht ebenso benotigte wie die Schwerter seiner Soldner.

Die Manner waren inzwischen dabei, die Verteidigungsanlagen im Inneren der Festung wieder instand zu setzen. Sie bauten die Galerien und Turme auf und errichteten zur Abwehr auf Wallen und Graben spitze Pfahle, die im Feuer gehartet worden waren. Batiatus nahm die Schmiede in Betrieb, und sein Hammer drohnte unaufhorlich auf dem Ambo?. Vatrenus, Demetrios und Orosius brachten die Soldatenunterkunfte und Stalle in Schu? und reparierten den Ofen und die Muhle, so da? Livia sie mit dem Duft und Geschmack von ofenfrischem Brot und frisch gemolkener Milch uberraschen konnte. Nur Aurelius' Stimmung schien sich nach der ersten Begeisterung jeden Tag mehr zu verdustern. Bis an die Zahne bewaffnet, verbrachte er lange Stunden der Nacht auf dem Wall und spahte in Erwartung eines Feindes in die Dunkelheit hinaus. Eines Feindes, der nie kam, vor dem er sich allerdings schon jetzt verloren und ohnmachtig fuhlte, wie ein Gespenst, das oftmals sogar seine eigenen Gesichtszuge annahm, die Zuge eines Feiglings, oder, noch schlimmer, die eines Verraters. Wieder befand er sich auf den Bollwerken einer kleinen Zitadelle, deren Verteidigung er aufbaute. Wann wurde sich dieser Belagerungsring zuziehen und wann die Horden zu Pferde am Horizont erscheinen? Wann wurde am blauen Himmel die Stunde der Wahrheit ertonen und wer dieses Mal dem Feind die Tore offnen? Wer war es, der dieses Mal den Wolf in den Schafstall fuhrte?

Ambrosinus, der diese Gedanken erahnte, spurte Aurelius' Schmerz, der so machtig war, da? nicht einmal Livias Liebe ihn lindern konnte. Doch war er nicht langer gewillt, dabei zuzusehen, sondern machte sich bereit einzuschreiten, um dem Schicksal, das sich bisher als so hohnisch und fluchtig erwiesen hatte, eine neue Richtung aufzuzwingen. Wahrend er uberlegte, wie er das am besten anstellen sollte, erschien Kustennin auf dem Rucken seines Schimmels. Er brachte schlechte Neuigkeiten. Wortigern hatte befohlen, da? der Senat bis zum Ende des Monats aufgelost werden und der Magistrat zurucktreten musse, da eine Garnison Soldner vom Kontinent, die als sehr grausam bezeichnet wurden, sich innerhalb der Stadtmauern aufhielte.

»Vielleicht hast du recht, Myrdin«, sagte Kustennin. »Die wahre Freiheit mu? mit Schwei? und Blut erobert werden, doch leider ist es dafur zu spat.«

»Das stimmt nicht«, erwiderte Ambrosinus. »Morgen, falls du der Sitzung des Senats beiwohnst, wirst du mehr daruber erfahren.«

Kustennin schuttelte nur das Haupt, als ergaben diese Worte fur ihn keinen Sinn, dann bestieg er sein Pferd und galoppierte durch das verlassene Tal davon.

Tags darauf, als es noch dunkel war, bat Ambrosinus Romulus, ihn zu begleiten und machte sich auf den Weg zur Stadt.

»Wohin gehst du?« fragte Aurelius.

»Nach Carvetia«, bekam er zur Antwort, »in den Senat, vielleicht aber auch auf den Marktplatz. Ich will das Volk zur Versammlung aufrufen, wenn es notwendig sein sollte.«

»Ich komme mit dir.«

»Nein, dein Platz ist hier, an der Spitze deiner Manner. Hab Vertrauen«, sagte er und machte sich mit seinem Pilgerstab auf den Weg, der ihn durch Wiesen fuhrte und am Ufer des Lago della Virgo entlang in Richtung Stadt.

Carvetia wirkte mit seiner Sprache, seinen Sitten und Gebrauchen, aber auch seinen Stra?en und Gebauden noch immer wie eine romische Stadt. Auf den Stadtmauern, die aus behauenen Steinquadern gefertigt waren, patrouillierten die Posten und wachten uber die Einwohner. Kurz darauf traf Ambrosinus vor dem Senatsgebaude ein und beobachtete, wie die Volksvertreter nahten, um an der Ratssitzung teilzunehmen. Andere Burger folgten und drangten sich ins Atrium, bevor die Turen geschlossen wurden.

Einer der Redner erhob sich, um eine Ansprache zu halten, ein wurdevoller Mann, der durch schlichte Kleidung und ehrliche Gesichtszuge auffiel. Er mu?te Respekt und Anerkennung genie?en, denn als er mit seiner Rede begann, herrschte sofort Stille.

»Senat und Volk von Carvetia!« begann er. »Unsere Lage ist unertraglich geworden. Der Tyrann hat auslandische Soldner angeheuert, die unerhort grausam sind. Und er tat dies zum Schutz der Bevolkerung in unserer Stadt, die sich doch immer selbstandig verwalten konnte. Zur gleichen Zeit schickt er sich an, auch den letzten Anschein der Versammlungsfreiheit von uns Burgern Britanniens zu vernichten: unseren Senat!« In den Sitzreihen und zwischen den Menschen, die sich im Atrium drangten, wurde besturztes Stimmengewirr laut.

»Was bleibt uns zu tun ubrig?« fuhr der Redner fort. »Unser Haupt beugen, wie wir es bisher getan haben? Noch mehr Mi?brauch und Schmach erdulden und zulassen, da? unsere Wurde und Rechte noch weiter mit Fu?en getreten werden? Unsere Hauser entehrt und unsere Frauen und Tochter unseren Armen entrissen werden?«

»Leider haben wir keine andere Wahl«, sagte ein anderer. »Sich Wortigern zu widersetzen, kame einem Selbstmord gleich.«

»Das stimmt«, sagte ein dritter. »Wir mussen alles tun, um seinen Zorn nicht heraufzubeschworen. Fr wurde uns einfach hinwegfegen. Wenn wir uns ihm weiterhin unterwerfen, konnen wir zumindest darauf hoffen, einige unserer Vergunstigungen zu behalten.«

Da trat Ambrosinus vor, der Romulus an der Hand hielt, und rief: »Ich bitte ums Wort, edle Senatoren!«

»Wer bist du?« fragte der Prasident der Versammlung. »Warum storst du diese Ratssitzung?«

Ambrosinus enthullte sein Haupt und schritt in die Mitte der Aula vor. Noch immer hielt er Romulus an der Hand, obwohl er die Scheu des Jungen bei dieser Zurschaustellung durchaus bemerkte.

»Mein Name ist Myrdin Emreis«, begann er, »Druide des heiligen Hains von Gleva und romischer Burger' mit dem Namen Mendius Ambrosinus, solange in diesem Lande romisches Gesetz herrschte. Vor vielen Jahren habt ihr mich nach Rom mit einem Auftrag entsandt. Ich sollte den Kaiser um Hilfe anflehen und mit einem Heer zuruckkehren, um Ordnung und Wohlstand in diesem gepeinigten Land wiederherzustellen, wie sie einst herrschten in den ruhmreichen Zeiten des Helden und heiligen Germanus, der von Aetius, dem letzten und

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