tapfersten Soldaten Roms, hierher entsandt worden war.«
Dieser unerwartete Auftritt loste gro?es Erstaunen aus und hullte den Saal in Schweigen, doch sogleich fuhr Ambrosinus fort: »Diese Aufgabe zu erfullen, war unmoglich. Auf der Reise verlor ich meine Gefahrten, die ein Opfer von Kalte und Hunger, von Krankheiten und Ubergriffen wurden. Wie durch ein Wunder konnte ich mich retten. Ich erreichte den Hof des kaiserlichen Palastes von Ravenna und verbrachte dort endlose Tage als Bittsteller: vergebens. Ich wurde nicht einmal zum Kaiser vorgelassen, der, unfahig und schwach, vollstandig unter dem Joch seiner barbarischen Milizen stand. Jetzt bin ich zuruckgekehrt. Spat, das ist wahr, aber nicht allein, vor allem nicht mit leeren Handen! Ihr alle kennt, wie ich glaube, das Orakel, das die Ankunft eines jungen Mannes von reinem Herzen verkundet. Er wird das Schwert der Gerechtigkeit mit sich fuhren und diesem Land die verlorene Freiheit zuruckbringen. Nun gut«, rief er, »edle Senatoren, diesen jungen Mann habe ich euch gebracht!« Und er lie? den Knaben vortreten und bot ihn - allein -ihren Blicken dar.
»Dies ist Romulus Augustus Casar, der letzte Kaiser der Romer!«
Seine Worte losten ein tiefes, verwundertes Schweigen aus, doch nur kurz, dann folgte aufgeregtes Stimmengewirr, das laut und lauter anschwoll, bis es zu einem diffusen Grollen wurde. Manche schienen betroffen von diesen Behauptungen, andere dagegen lachten oder machten sich uber den unerwarteten Redner lustig.
»Wo ist dieses Wunderschwert?« fragte ein Senator, der mit seiner Stimme den Larm ubertonte.
»Und wo sind die Legionen des neuen Casaren?« fragte ein anderer. »Wei?t du, wie viele Krieger Wortigern hat? Hast du uberhaupt eine Ahnung?«
Betroffen von diesen Worten zogerte Ambrosinus einen Moment, dann antwortete er: »Wir sind dabei, die zwolfte Legion, die Legion des Drachen, wieder neu zu bilden. Und wenn sich der Kaiser seinen Soldaten prasentiert, werden sie, dessen bin ich sicher, die Kraft und den Willen zum Kampf wiedergewinnen und sich der Tyrannei widersetzen.«
Ein tosendes Lachen hallte durch die Aula, dann erhob sich ein weiterer Senator. »Du bist wirklich eine ganze Weile weggewesen, Myrdin«, herrschte er ihn an, wobei er ihn bei seinem keltischen Namen nannte. »Diese Legion hat sich vor vielen Jahren aufgelost, und niemand kame auch nur im Traum auf die Idee, je wieder eine Waffe in die Hand zu nehmen.«
Die anderen Senatoren fielen gleichfalls in das Gelachter ein. Romulus fuhlte, wie ihn diese Woge aus Spott und Hohn uberschwemmte, ein weiteres Mal, doch er bewegte sich nicht. Er schlug seine Hande vors Gesicht und stand reglos und still in der Mitte der Aula. Bei diesem Anblick wurde der Larm langsam schwacher und verwandelte sich in ein Stimmengewirr aus Verlegenheit und plotzlicher Scham. Ambrosinus trat vor zu Romulus, legte ihm die Hand auf die Schulter und begann, flammend vor Emporung, erneut zu sprechen: »Lacht nur, edle Senatoren, nun macht schon, macht euch lustig uber dieses Kind. Ihm fehlt jede Moglichkeit, sich zu verteidigen, und er kann eure torichten Beleidigungen auch nicht erwidern.
Mit eigenen Augen mu?te er mit ansehen, wie seine Eltern niedergemetzelt wurden. Wie ein Tier ist er von allen Herrschern dieser Erde ohne Unterla? und ohne Erbarmen gehetzt worden. Seit Kindesbeinen an den kaiserlichen Prunk gewohnt, mu?te er wie ein echter, kleiner Held die hartesten Entbehrungen auf sich nehmen. Und immer verschlo? er den Schmerz und die angstvolle Verzweiflung, die bei einem Jungen seines Alters durchaus verstandlich sind, mit der Kraft und dem Mut eines republikanischen Helden aus alter Zeit in seinem Herzen.
Wo bleibt eure Ehre, ihr Senatoren von Carvetia? Und wo eure Wurde? Ihr verdient Wortigerns Tyrannei, es geschieht euch recht, diese Schmach zu erleiden, da in eurer Brust das Herz eines Sklaven schlagt! Dieser Junge hat alles verloren, au?er seiner Ehre und seinem Leben. Doch besitzt er die fuhlbare Majestat eines wahren Herrschers. Ich habe ihn zu euch gebracht als den letzten Samen eines sterbenden Baumes, damit aus ihm eine neue Welt entstehe, doch finde ich nichts vor als fauligen, unfruchtbaren Boden. Ihr tut gut daran, ihn zuruckzuweisen, denn ihr verdient ihn nicht. Nein! Ihr verdient nur Verachtung von jedermann, der Ehre und Glauben in sich tragt!«
Ambrosinus beendete sein von Gram erfulltes Pladoyer unter entgeistertem Schweigen. Auf der besturzten und verwirrten Versammlung schien das Gewicht von Blei zu lasten. Und dann spuckte Ambrosinus zum Zeichen seiner hochsten Verachtung auf den Boden, fa?te Romulus am Arm und verlie? emport die Aula, wahrend sich ein paar schwache Stimmen erhoben, um ihn zuruckzurufen. Kaum hatten sich die beiden einen Weg durch die Menge gebahnt und waren hinausgegangen, flammte die Diskussion erneut auf und wurde zusehends hitziger. Einer der Anwesenden jedoch eilte durch eine Nebentur, sprang auf einen Wagen und befahl dem Fahrer, sofort loszufahren. »Nach Castra Vetera«, sagte er. »Zu Worti-gerns Burg, rasch!«
Aufgebracht uber die erlittene Schmach, trat Ambrosinus auf den Platz hinaus und sprach Romulus Mut zu, sich den Beleidigungen des Schicksals ein weiteres Mal zu stellen, als ihn plotzlich jemand am Arm packte. »Myrdin!«
»Kustennin!« rief seinerseits Ambrosinus aus. »Mein Gott, hast du das gesehen? Was fur eine Schande? Warst du auch im Senat?«
Der Mann beugte das Haupt. »Ja, ich sah es. Verstehst du jetzt, warum ich dir sagte, es sei zu spat? Wortigern ist es gelungen, die meisten Senatoren zu korrumpieren. Und heute kann er sich sogar erlauben, den ganzen Senat aufzulosen, ohne auf Widerstand zu treffen.«
Ambrosinus nickte ernst mit dem Kopf. »Ich mu? unbedingt mit dir sprechen«, sagte er, »langer, wenn es moglich ist.
Aber jetzt mu? ich gehen. Ich kann hier nicht bleiben, sondern mu? den mir anvertrauten Jungen wegbringen ... Romulus, komm, gehen wir.« Er suchte ihn mit seinen Blicken, doch Romulus war nicht mehr da.
»O Gott, wo bist du? Wo ist der Junge hin?« rief er angstvoll.
Da trat Egeria zu ihm. »Mach dir keine Sorgen«, sagte die Frau mit einem Lacheln. »Schau, dort unten ist er, auf dem Weg zum Strand. Meine Tochter Ygrainc ist ihm nachgegangen.«
Ambrosinus atmete erleichtert auf.
»La? sie miteinander reden. Kinder mussen manchmal unter sich sein«, sagte Egeria wieder. »Aber sag mir, ist es wahr, was ich gerade von diesen Leuten aus dem Senat gehort habe? Ich konnte meinen Ohren nicht trauen. Es gibt nicht mehr genugend Anstand und Wurde, um die eigene Niedertracht zu verbergen.«
Zustimmend nickte Ambrosinus mit dem Kopf, ohne auch nur fur einen Augenblick den Jungen aus den Augen zu lassen, der dort unten an der Kuste des Meeres sa?.
Schweigend beobachtete Romulus, wie sich die Wellen zwischen den Steinen am Strand brachen, ohne das leidvolle Schluchzen, das ihm aus der Brust drang, unterdrucken zu konnen.
»Wie hei?t du? Und warum weinst du?« fragte eine Madchenstimme hinter ihm. Eine unbeschwerte, wohlklingende Stimme, doch sie storte ihn in diesem Augenblick. Gleich darauf verspurte er die Beruhrung einer Hand, die, zart wie ein Schmetterlingsflugel, auf seiner Wange eine angenehme Warme hinterlie?.
Ohne sich umzudrehen, antwortete er, denn fur einen Augenblick befurchtete er, die Stimme und die Liebkosung stunden vielleicht im Widerspruch zu dem Gesicht, das er sieh ertraumt hatte. »Ich weine, weil ich alles verloren habe: meine Eltern, mein Haus und mein Land. Vielleicht werde ich bald auch noch die letzten Freunde verlieren, die mir geblieben sind, und auch meinen Namen und meine Freiheit. Und ich weine, weil es auf dieser Erde keinen Platz fur mich gibt, an dem ich Frieden finde.«
Weise beantwortete das Madchen diese gewichtigen Worte mit Schweigen, doch sie horte nicht auf, ihm weiter mit der Hand uber Haare und Wangen zu streichen, bis sie bemerkte, da? er sich beruhigt hatte. Da sagte sie: »Ich hei?e Ygraine und bin zwolf Jahre alt. Kann ich ein wenig bei dir bleiben?«
Romulus deutete mit einem Nicken seine Zustimmung an, dann trocknete er seine Tranen mit dem Saum seines Armels, wahrend sie sich ihm gegenuber auf ihren Fersen im Sand niederlie?. Langsam hob er seinen Blick, um zu prufen, ob ihr Gesicht ebenso sanft war wie ihre Stimme und ihre Liebkosung. Er sah zwei blaue, glanzende Augen und ein Gesicht von anmutiger Schonheit vor sich, das von einem Wasserfall roter Haare eingerahmt wurde, die der Meereswind zerzauste und dadurch von Zeit zu Zeit ihre Stirn und Augen verbarg. Er spurte, wie sein Herz vor Freude erbebte und seine Brust eine Woge des Glucks durchflutete, wie er es noch nie erlebt hatte. Innerhalb eines einzigen Augenblicks wurde er gewahr, wieviel Schonheit, Warme und Annehmlichkeit ihm das Leben zu bieten vermochte. Gern hatte er ihr all das gesagt, was ihm sein Herz flusterte, doch vernahm er genau in diesem Moment, wie Ambrosinus und seine Begleiter sich naherten.
»Wo werdet ihr diese Nacht schlafen?« fragte Kustennin.
»In der Festung«, antwortete Ambrosinus.