Besorgt erwiderte Kusteninn: »Pa? auf! Deine Rede ist nicht unbemerkt geblieben.«
»Genau das wollte ich erreichen«, entgegnete Ambrosinus trocken. Doch begriff er in seinem Herzen die Bedeutung dieser Worte und furchtete sich.
»Komm, Ygraine«, sagte Egena. »Es gibt vor dem Abend noch viel zu erledigen.« Schweren Herzens erhob sich das Madchen und folgte ihrer Mutter, drehte sich aber immer wieder um und warf ihren Blick auf den jungen Fremden, der so anders war als alle Jungen, die sie kannte: Nie zuvor war ihr jemand begegnet, der ein so erschopftes, blasses Gesicht, solche Vornehmheit in Aussehen und Stimme, soviel Intensitat in seinen Worten und schmelzende Melancholie in den Augen besa?. Kustennin verabschiedete sich ebenfalls und brach zusammen mit seiner Familie auf.
Egeria lie? Ygraine vorausgehen und wartete auf ihren Mann, um mit ihm zu sprechen. »Sie sind es, die das Emblem des Drachen auf der alten Festung gehi?t haben, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete Kustennin. »Wirklich ein Wahnsinn. Und heute hat Myrdin im Senat verkundet, da? die Legion neu gebildet wird, obwohl sie in Wirklichkeit nur aus sechs oder sieben Personen besteht. Und schlie?lich offenbarte er den Senatoren die Identitat dieses Jungen. Ist dir klar, was das hei?t?«
»Ich kann mir die Reaktionen auf diese Enthullung nicht vorstellen«, erwiderte Egeria, »doch wei? ich, da? dieses Banner gro?e Aufregung und Erwartung schurt. Es hei?t, einige seien schon dabei, ihre Waffen wieder auszugraben, die sie vor Jahren versteckten, und nicht wenige junge Manner wollen sich diesen Fremden anschlie?en. Auch geht das Gerucht von seltsamen Lichtern, die nachts uber den Wallen aufblitzen, und von Donnergrollen, das an dem Berg widerhallt. Ich mache mir wirklich Sorgen, da ich befurchte, dieses Trugbild des Friedens und unser beschwerliches Uberleben wird erneut von Zusammensto?en, Turbulenzen und Blutvergie?en erschuttert werden.«
»Es sind nur ein paar Fluchtlinge, Egeria, ein alter Traumer und Visionar und ein Junge«, antwortete Kustennin. Und er warf noch einen letzten Blick auf seinen Freund, der nach so vielen Jahren wie durch ein Wunder wiederaufgetaucht war.
Der alte Mann und der Junge standen nebeneinander und betrachteten schweigend die Wellen, die sich unter einer Krone wei?en Schaums an der Klippe brachen.
Tags darauf hielt gegen Abend der Wagen des Senators vor den Toren von Castra Vetera. Er wurde in Wortigerns Residenz gefuhrt, zunachst aber Wulfila vorgestellt, der mittlerweile das vollstandige Vertrauen seines Herrn geno?. Die beiden tuschelten eine Weile miteinander, und ein befriedigtes Grinsen verzog die Gesichtszuge des Barbaren.
»Folge mir«, sagte er. »Du mu?t unserem Herrscher personlich Bericht erstatten, er wird dir dafur mehr als dankbar sein.« Dann fuhrte er ihn in die weiter innen gelegenen Bereiche der Burg. Der alte Mann empfing sie, auf seinem Thron mehr liegend als sitzend; die goldene Maske war das einzige, das in dieser dusteren Atmosphare ein wenig leuchtete.
»Sprich«, befahl Wulfila, und der Senator hob an:
»Edler Wortigern«, sagte er, »gestern hat sich im Senat von Carvetia ein Mann erdreistet, offentlich seine Stimme gegen dich zu erheben. Er nannte dich einen Tyrannen und rief zum Aufstand auf. Dann sagte er, da? die alte aufgeloste Legion dabei sei, sich wieder neu zu formieren, und stellte schlie?lich ein Kind vor, von dem er behauptete, es sei der Kaiser ...«
»Das sind sie«, unterbrach ihn Wulfila. »Es besteht kein Zweifel. Immer wieder faselt der Alte von dieser Prophezeiung, nach der ein junger Regent ubers Meer kommen soll. Aber glaube mir, das bedeutet Gefahr. Er ist bei weitem nicht so verruckt wie er aussieht, sondern ein Schlaukopf, der seine Hebel sehr genau anzusetzen wei? - bei ihrem Aberglauben und den uralten Sehnsuchten nach der keltisch-romischen Aristokratie. Auch ist sein Ziel sonnenklar: Er will diesen kleinen Schwindler zum Symbol erheben, um es gegen dich zu verwenden.«
Wortigern hob seine hagere Hand zum Zeichen des Abschieds, der Senator zog sich zuruck und krummte dabei seinen Rucken in einer nicht enden wollenden Verbeugung, bis er die Tur erreichte und hastig verschwand.
»Was schlagst du vor?« fragte der Tyrann an Wulfila gewandt.
»La? mir freie Hand! Gewahre mir, da? ich mich mit meinen Mannern, den einzigen, denen ich traue, auf die Suche mache. Ich kenne diese Leute und werde sie aufstobern, wo auch immer sie sich versteckt halten. Und dann bringe ich dir die Haut des Alten, die du ausstopfen kannst, den Kopf des Jungen aber behalte ich.«
Wortigern schuttelte langsam den Kopf. »Die Haut des Alten interessiert mich nicht, unsere Abmachung war eine andere.«
Wulfila zuckte zusammen. Das genau war der Augenblick, in dem ihm das Schicksal eine unbezahlbare Gelegenheit bot und sich alles erfullte in einem seit langem erdachten Plan. Er mu?te ihm nur den letzten Schliff geben, dann wurde sich vor seinen Augen eine Zukunft der grenzenlosen Macht eroffnen. Nur mit Muhe gelang es ihm, seiner Erregung Herr zu werden, als er antwortete: »Du hast recht, Wortigern. Vor lauter Begeisterung, da? die lange Jagd endlich ein Ende nimmt, verga? ich einen Augenblick lang mein Versprechen. Es stimmt, du gewahrtest mir den Kopf des Jungen und die Moglichkeit, endlich die Deserteure und Morder, die ihn beschutzen, zu vernichten. Genauso, wie sie es verdienen. Und dafur wirst du das versprochene Geschenk erhalten.«
»Ich sehe, da? du noch immer meine Gedanken zu deuten verstehst, Wulfila. Also la? dieses Geschenk kommen, auf das du mich so lange hast warten lassen. Doch zuerst sag mir eins.«
»Sprich.«
»Unter den Mannern, die du zu vernichten beabsichtigst, ist da auch derjenige, der dir das Gesicht zerschnitten hat?«
Wulfila senkte die Augen, um den Blitz zu verbergen, der ihn in diesem Augenblick durchzuckte, und antwortete au?erst widerwillig: »So ist es, es ist wie du sagst.«
Ein weiteres Mal hatte der Tyrann seine Genugtuung gehabt und die Uberlegenheit der vollkommenen goldenen Maske gegenuber dem mi?gestalteten Fleisch seines Untertanen und moglichen Widersachers demonstriert. Diese ha?liche Narbe war das Werk eines Menschen, wahrend der Brand, der sein Gesicht entstellte, nichts anderes sein konnte als das Werk des einzigen Gottes.
»Ich warte«, sagte Wortigern, und seine Wort klangen dumpf wie ein Urteilsspruch aus der Maske.
Wulfila eilte hinaus, lie? einen seiner Krieger rufen und befahl ihm, ihm sofort das zu bringen, was er verlangte. Kurz darauf tauchte der Mann wieder auf und trug eine lange schmale Kiste aus Eichenholz, die mit Nieten aus gebrauntem Eisen verziert war. Er legte sie Wortigern zu Fu?en.
Wulfila gab ihm Zeichen, sich wieder zu entfernen, dann trat er zum Thron und kniete sich nieder, um das kostbare Behaltnis des versprochenen Geschenks zu offnen. Er hob seinen Blick auf zu der undurchdringlichen Maske, die drohend uber ihm verharrte. In diesem Augenblick hatte er alles dafur gegeben, den Ausdruck zugelloser Gier in Wortigerns darunter verborgenem Gesicht zu sehen.
»Hier ist mein Geschenk, Herr«, sagte er und offnete mit einer raschen Handbewegung den Deckel. »Hier ist das von den Chalybern geschmiedete Schwert Julius Casars, des ersten Herrn der Welt und des Eroberers von Britannien. Es ist dein!«
Wortigern konnte der Faszination dieser herrlichen Waffe nicht widerstehen und streckte stohnend die Hand danach aus. »Gib es mir, gib es mir!«
»Sofort, mein Herr«, antwortete Wulfila, und in seinem Blick erkannte der Tyrann - zu spat! - das todliche Schicksal, das darin eingepragt war. Er versuchte zu schreien, doch schon stie? das Schwert in seine Brust, durchbohrte sein Herz und pre?te sich in die Ruckenlehne des Throns. Ohne einen Laut sank Wortigern in sich zusammen, und aus der Maske troff ein Rinnsal aus Blut, das einzige Zeichen des Lebens, das auf diesem unwandelbaren Antlitz durch die letzte Ironie des Schicksals im Augenblick des Todes in Erscheinung trat.
Wulfila zog das Schwert aus dem leblosen Korper, packte Wortigerns goldene Maske, und ein kaum noch erkennbares Gesicht kam zum Vorschein. Er kerbte die Haut des Schadels rings um das Haupt ein und ri? mit einem einzigen Ruck die wei?e Mahne herab. Den leblosen Korper, der nur noch ein Schatten seiner selbst war, schleifte er bis zum Fenster, das sich hinter dem Thron in der Turmmauer befand, und warf ihn hinab in den Hof. Das Geklaffe der in ihrem Zwinger eingesperrten, hungrigen Mastiffs erfullte den Saal wie Hollengetose, doch dann hallte plotzlich ihr dumpfes Knurren wider, wahrend sie sich um die klagliche Fleischration ihres ehemaligen Herrn stritten.
Nun legte Wulfila die goldene Maske an. Er pre?te Wortigerns wei?e Mahne auf sein Haupt, griff nach dem leuchtenden Schwert und erschien, einem Damon gleich, mit blutuberstromten Schlafen vor seinen Kriegern, die im gro?en Hof bereits auf ihren Pferden sa?en. Verblufft sahen sie ihn mit gro?en Augen an, als er auf seinen