zu werfen. Doch Wortigern machte keinerlei Anstalten dazu.
»Und die anderen Geschenke?«
»Die anderen?« Einen Augenblick lang wu?te Wulfila nicht, was er darauf antworten sollte, dann erhellte sich sein Blick: »Ich habe nur noch eines«, fuhr er fort, »doch handelt es sich dabei um ein so ungewohnliches Objekt, das du es dir kaum vorstellen kannst, ein Objekt, fur das die machtigsten Manner der Erde all ihre Reichtu-mer hergaben, um es zu besitzen. Es ist ein uberaus kostbarer Talisman, der einst Julius Casar gehorte, dem ersten Eroberer Britanniens. Wer ihn sein eigen nennt, ist dazu bestimmt, fur immer uber dieses Land zu herrschen, und sein Stern wird niemals sinken.«
Mit gespannter Aufmerksamkeit sa? Wortigern so kerzengerade auf seinem Thron, da? man ihn fur eine Statue hatte halten konnen, ware da nicht dieses kaum wahrnehmbare Zucken in seinen verkrummten Handen gewesen. Wulfila fuhlte formlich die grenzenlose Gier, die er mit seinen Worten entfacht hatte.
»La? es mich sehen«, sagte der Alte, und seine Stimme klang zugleich ungeduldig und gebieterisch.
»Das Geschenk wird dir gehoren, wenn du mir hilfst, unsere Feinde zu fangen. Gib mir die Erlaubnis, sie so zu bestrafen, wie sie es verdienen, und uberla? mir den Kopf des Jungen. Das ist der Preis fur das Schwert.«
Es folgte ein langes Schweigen, dann nickte Wortigern langsam mit dem Kopf. »Ich bin einverstanden«, sagte er. »Und fur dich hoffe ich, da? mich dein Geschenk nicht enttauschen wird. Der Mann, der dich vor meinen Thron gefuhrt hat, ist der Kommandant meiner sachsischen Truppen. Du wirst ihm das Aussehen der Gesuchten genau beschreiben, so da? er unsere Informanten, die ihre Augen und Ohren uberall haben, benachrichtigen kann.«
Nach diesen Worten erschlaffte sein Korper, als sei alles Leben aus ihm gewichen, und der Kopf sank ihm auf die Schulter. Durch die goldenen Lippen der Maske war nur noch ein schwaches Rocheln zu horen. Wulfila nahm an, da? damit die Unterredung beendet sei. Er verabschiedete sich mit einer angedeuteten Verbeugung und ging zur Tur.
»Warte!« rief ihn die Stimme plotzlich zuruck.
Er drehte sich zum Thron um.
»Rom ... hast du es jemals gesehen?«
»Ja«, antwortete Wulfila. »Und seine Schonheit ist unbeschreiblich. Dennoch werde ich dir sagen, was ich gesehen habe - Triumphbogen aus Marmor, so hoch wie Palaste, darauf bronzene Wagen, die von Rossern, gegossen aus dem gleichen Metall, gezogen werden. Und gelenkt werden sie von geflugelten Gottergestalten, die wie Wagen und Pferde mit Gold uberzogen sind. Riesige Platze mit Arkaden umstellt, die von Hunderten von Saulen getragen werden und aus einem einzigen Steinblock gehauen sind, eine jede so hoch wie dein Turm hier. Und alle leuchten in den herrlichsten Farben. Die zahllosen Tempel und Basiliken sind uber und uber mit Malereien und Mosaiken verziert. In den Brunnen gie?en Fabelwesen aus Marmor oder Bronze endlos Wasser in so riesige Steinbecken, da? muhelos hundert Manner darin Platz finden konnten. Und au?erdem steht dort ein Bauwerk aus Hunderten von aufeinandergestellten Bogen, in dem fruher die Romer die Christen den Raubtieren zum Fra? vorwarfen. Sie bezeichnen es als Kolosseum, und es ist so gro?, da? deine ganze Festung darin Platz findet.«
Er hielt inne, da aus der Maske ein klagendes Pfeifen und leidendes Rocheln klang, das er nicht einzuordnen vermochte: vielleicht der nie verwirklichte Traum ferner Jugendtage oder die unbandige Gier, die von der Vorstellung solch immenser Reichtumer angeregt wurde, vielleicht aber auch die qualende Gewi?heit, da? jede Vision wahrer Gro?e in diesem grauenhaft verunstalteten Korper, zerfressen von Alter und Krankheit, auf immer gefangen war.
Wulfila eilte hinaus, schlo? die Tur hinter sich und kehrte zu seinen Mannern zuruck. Er warf dem Dolmetscher eine Borse mit Geld zu und sagte: »Hier dein Lohn, wie ich es dir versprochen habe. Jetzt bist du frei zu gehen, wohin du willst, denn ich wei? alles, was ich wissen mu?te.« Der Mann nahm das Geld, beugte hastig den Kopf, um seinen Dank zu bezeigen, dann spornte er sein Pferd und galoppierte davon, um so weit wie moglich von dieser trubsinnigen Statte fortzukommen.
Von diesem Tag an wandelte sich Wulfila in den treuesten und grausamsten Schergen Wortigerns. Wo immer ein Aufruhr vermeldet wurde, erschien er an der Spitze seiner Krieger und sate blitzschnell und mit verheerender Macht Tod, Schrecken und Zerstorung. Niemand wagte uberhaupt noch von Freiheit zu sprechen oder sich seinen Freunden anzuvertrauen, er schwieg selbst innerhalb der vier Wande seines Hauses bei seinen Familienangehorigen. Die Gunst, die der Barbar bei dem Tyrannen geno?, stieg ins Unerme?liche, je mehr Fruchte aus seinen Beutezugen und Plunderungen er ihm zu Fu?en legte.
Wulfila verkorperte alles, was Wortigern langst verloren hatte: unerschopfliche Energie, kraftvolle Arme und ein blitzschneller Geist. Er schien die direkte Verlangerung seines Herrscherwillens zu sein, so da? er ihm nicht einmal mehr einen Befehl zu erteilen brauchte. Der Barbar sah die Wunsche des Tyrannen bereits voraus und fuhrte sie aus, noch bevor ihr Echo in dem gro?en kahlen Saal wiederhallte. Und dennoch furchtete Wortigern ihn - gerade wegen all dieser Fahigkeiten und der bosartigen Intelligenz, die aus Wulfilas eiskalten Augen funkelte. Er mi?traute der scheinbaren Unterwerfung dieses geheimnisvollen Kriegers, der ubers Meer gekommen war, auch wenn er vorgab, sein hauptsachliches Bestreben hege allein darin, das Kind zu finden und dessen Kopf nach Ravenna zu bringen.
Um zu veranschaulichen, wie er Verrat oder auch nur den Gedanken an Verrat zu ahnden in der Lage war, lie? ihn Wortigern eines Tages bei der Hinrichtung eines Vasallen zusehen, der nichts weiter verbrochen hatte, als einen Teil der auf einem Raubzug zusammengerafften Beute fur sich zu behalten. Es gab einen Hof, der an den Turm angrenzte und von einer hohen Steinmauer umgeben war. Hier waren die Mastiffs eingesperrt, jene furchteinflo?enden Tiere, die haufig in der Schlacht gegen die Feinde eingesetzt wurden. Wortigerns liebster und einziger Zeitvertreib war es, sie zweimal taglich zu futtern, indem er ihnen Fleischstucke aus dem Fenster zuwarf, das sich hinter seinem Thron befand. Die Hinrichtung begann, als man dem Verurteilten die Kleider vorn Leibe ri?. Dann wurde er an ein Seil gehangt und langsam in den Zwinger hinuntergelassen. Die Hunde, die zwei Tage gehungert hatten, sturzten sich auf ihn und fra?en ihn von den Fu?en her bei lebendigem Leib auf, wobei er von den Folterknechten immer tiefer herabgelassen wurde. Die Schmerzensschreie dieses Unglucklichen sowie das ohrenbetaubende Geklaffe der Mastiffs, die vom Blutgeruch und von dem erbitterten Streit um ihr Mahl au?er Rand und Band gerieten, hallten im Inneren des Turmes so markerschutternd und durchdringend wider, da? keiner, der auch nur ein wenig Menschlichkeit besa?, es aushalten konnte. Doch Wulfila zuckte nicht einmal mit der Wimper, vielmehr kostete er dieses brutale Schauspiel bis zum letzten aus, und hatte, als er seinen Blick auf Wortigern richtete, nur den Ausdruck beunruhigender Grausamkeit und hochster Erregung in seinen Augen.
XXXV
Inzwischen hatte der Fruhling begonnen, so da? nur noch der hochste Gipfel des Mons Badonicus, im ortlichen Dialekt Badon genannt, von Schnee bedeckt war. Wahrend die Bauern wieder ihrer Feldarbeit nachgingen und die Hirten die Herden auf die Weide fuhrten, sahen sie in der Ferne den im Wind flatternden purpurnen Drachen, dessen silbernes Haupt inzwischen gereinigt war und der auf dem hochsten Turm der Festung erglanzte: wie ein Signal, das ferne Erinnerungen an Tapferkeit und Ruhm in ihnen wachrief.
Wahrend sich Ambrosinus auf den Dorfmarkten unter die Leute mischte und die Bauern auf dem Land in ihren Hofen aufsuchte, erkannte er die Erregung, die der Anblick des Drachen ausloste. Viele Manner erbebten bei diesen Erinnerungen an eine vergessene, unterdruckte Vergangenheit, auch wenn sie es kaum wagten, ihre Gedanken offen zum Ausdruck zu bringen. Einmal, als ein Hirte stehenblieb und das Banner der Legion betrachtete, gab Ambrosinus sich fur einen Fremden aus und fragte: »Was ist das fur ein Banner? Warum weht es denn dort auf der verlassenen Festungsanlage?«
Der Mann sah ihn mit einem sonderbaren Ausdruck an. »Du mu?t von sehr weit her kommen«, sagte er, »wenn du dieses Banner nicht kennst. Jahrelang stand es als Zeichen fur die Ehre und Freiheit dieses Landes und fuhrte eine legendare Armee in die Schlacht: die zwolfte Legion, die Legion des Drachen.«
»Ich habe davon gehort«, antwortete Ambrosinus. »Aber ich glaubte immer, da? es sich dabei nur um torichtes Gerede handelte, das man absichtlich ausstreute, um die Barbaren des Nordens von ihren Raubzugen abzuhalten.«
»Da irrst du«, antwortete der Flirte. »Diese Abteilung hat es wirklich gegeben, und auch dein Gegenuber gehorte ihr in seinen jungen Jahren an.«
»Was ist aus der Legion geworden? Wurde sie vernichtet oder zur Aufgabe gezwungen?«
»Nichts von beidem«, entgegnete der Hirte. »Sie wurde verraten, gerade als wir uber den Wall hinaus einer Bande Skoten nachjagten, die Frauen aus einem unserer Dorfer geraubt hatten. Wir lie?en einen mit uns verbundeten Stammesfuhrer zuruck, damit er den Durchgang am Gro?en Wall bewachte, durch den wir bei