ihn dem Volk und dem Senat vorzustellen ...«
»Du hattest eine Armee versprochen, als du dieses Land vor vielen Jahren verlie?est«, sagte Vatrenus, »und kehrst mit einem Kind zuruck. Was versprichst du dir davon?«
»Hort mich an. Da wir die Legion neu gegrundet haben, werden versprengte Soldaten aus allen Richtungen herbeieilen und sich um ihren Kaiser und das Drachenbanner scharen. Vielleicht mu? ich ihnen die Prophezeiung ins Gedachtnis zuruckrufen: >Ein junger Mann wird vom sudlichen Meer kommen und das Schwert tragen. Und wieder werden uber dem weiten Land Britannien Adler und Drache ihre Flugel ausbreiten!<«
»Das Schwert ...«, murmelte Aurelius und neigte den Kopf. »Ich habe es verloren.«
»Nicht fur immer«, antwortete Ambrosinus. »Du wirst es wiedergewinnen, das schwore ich dir.«
Am folgenden Tag verlie? Ambrosinus das Lager, um mit dem Land wieder in Verbindung zu treten, das er vor so langer Zeit verlassen hatte. Mit seinem Pilgerstab marschierte er allein los und durchquerte das Tal in Richtung Carvetia. Bei jedem Schritt spurte er, wie sein Innerstes von tiefen Gefuhlen erschuttert wurde. Der Duft des Grases, den der Wind herantrug, der Gesang der Vogel, mit dem sie die aufgehende Sonne begru?ten, und die liebliche Landschaft der Wiesen, die immer mehr gelbe und wei?e Blumen bedeckten: All das brachte ihm die fernen Tage seiner Jugend zuruck und erschien ihm wieder so nah und vertraut, als hatte er diese Gefilde niemals verlassen. Je weiter er vorankam, desto hoher stieg die Sonne strahlend am Himmel empor, erwarmte die Luft und lie? das Wasser der Bache funkeln, die gleich silbernen Bandern die Felder durchzogen. Er beobachtete, wie die Hirten ihre Herden zur Weide fuhrten und die Bauern auf den Feldern die Apfelbaume beschnitten. Es hatte den Anschein, als siege tatsachlich die Schonheit der Natur uber das Unheil, das uber den menschlichen Schicksalen lag. Welch ein gluckbringendes Vorzeichen fur sein Unterfangen.
Am spaten Nachmittag gelangte er in Sichtweite der Stadt und erkannte auf einem Hugel den vertrauten Umri? eines gro?en alten Landhauses wieder. In Aufbau und stattlichem Ausma? glich die Au?enmauer einer Festungsanlage, auch wenn sich ringsum die Weiden und Felder erstreckten, auf denen die Bauern und Arbeiter betriebsam ihren Verrichtungen nachgingen. Die einen bereiteten den Boden fur die Saat vor, wahrend andere die trockenen Aste aus den Baumen schnitten und wieder andere am Waldrand gro?e Stamme auf die von Ochsen gezogenen Wagen hoben. In einer Koppel lief eine Herde von Pferden umher, angefuhrt von einem wei?en Hengst mit langer Mahne, der in wildem Galopp dahinflog und mit seinem Schweif die Luft peitschte.
Ambrosinus schritt durch das Haupttor in den weiten Innenhof, in dem sich die Werkstatten der Schlosser, Hufschmiede und Tischler befanden. Als er das Haus betrat, wurde er von dem Freudengebell der Hunde und dem herrlichen Duft ofenfrischen Brotes empfangen. Niemand fragte ihn, wer er sei oder was er wolle. Doch bot ihm eine Frau als Gastgeschenk ein Stuck duftendes, knuspriges Brot an, und deutlich erkannte er, da? sich in dem noblen Hause nichts verandert hatte, seit er dort damals zum erstenmal Aufnahme gefunden hatte. Er fragte: »Ist Herr Kustennin noch immer der Herr dieses Besitzes?«
»Das ist er, Gott sei Dank«, antwortete die Frau.
»Dann melde ihm bitte, da? ein alter Freund aus langem Exil endlich nach Hause zuruckgekehrt ist und es kaum erwarten kann, ihn wieder in die Arme zu schlie?en.«
»Folge mir«, sagte die Frau zu ihm. »Ich werde dich zu ihm fuhren.«
»Nein, mir ist lieber, ich bleibe hier und warte auf ihn, wie es sich fur einen Wanderer gebuhrt, der an die Tur klopft und um Zuflucht und Aufnahme bittet.«
Die Frau verschwand in einem Torbogen und stieg rasch die Treppe empor, die ins Obergescho? der Villa fuhrte. Wenig spater hob sich im roten Licht des Sonnenuntergangs eine machtige Gestalt ab. Ein Mann um die Funfzig mit blauen Augen und graumelierten Schlafen, die breiten Schultern von einem schwarzen Umhang bedeckt, betrachtete ihn mit einem etwas unsicheren Gesichtsausdruck, als versuche er, den Pilger vor sich wiederzuerkennen. Ambrosinus ging ihm entgegen. »Kustennin, ich bin's, Myrdin Emreis, dein alter Freund. Ich bin zuruckgekehrt.«
Die Augen des Mannes fullten sich mit Tranen der Freude. Er lief ihm entgegen und rief: »Myrdin!«, dann umfa?te er ihn mit den Armen und hielt ihn lange an sich gepre?t. »Wie lange ist das her«, sagte er mit zitternder Stimme. »Mein alter Freund, wieviel Zeit ist vergangen. Oh, guter Gott, wie konnte ich dich blo? nicht auf den ersten Blick erkennen!«
Ambrosinus loste sich aus der Umarmung, um ihm ins Antlitz zu blicken, fast unglaubig, ihn nach so vielen Jahren wiedergefunden zu haben. »Ich habe viele Arten von Widrigkeiten erlebt, mu?te Hunger und Kalte erleiden und schreckliche Prufungen bestehen, mein Freund. Das hat mein Au?eres vollig verandert, meine Haare wurden wei?, und sogar meine Stimme hat ihre Kraft verloren. Doch bin ich glucklich, dich wiederzusehen, so glucklich ... Du dagegen hast dich uberhaupt nicht verandert, bis auf ein klein wenig Rauhreif an deinen Schlafen. Und deine Familie?«
»Komm«, sagte Kustennin, »und sich sie dir an. Egena und ich haben eine Tochter, Ygraine, die unser Augenstern ist.«
Und er schritt ihm voran die Treppe empor, bis sie durch einen Korridor in der Wohnung der Frauen ankamen.
»Egena«, sagte Ambrosinus, »ich bin Myrdin, erinnerst du dich noch an mich?«
Egeria sa? neben einem Fenster und war mit einer Stickarbeit beschaftigt; sie legte sie nieder und kam ihm entgegen. »Myrdin? Ich kann es nicht fassen. Wir dachten, du seiest schon lange tot. Doch die Gnade des Herrn hat dich uns zuruckgebracht, das mussen wir feiern. Du wirst nun fur immer bei uns bleiben und nie mehr fortgehen!« Sie wendete sich ihrem Gatten zu: »Hab ich recht, Kustennin? Nicht wahr, ich hab doch recht?«
»So ist es«, antwortete ihr Mann. »Das wurde uns sehr glucklich machen.«
Als Ambrosinus zu einer Antwort ansetzen wollte, wurde er von einem hubschen Madchen unterbrochen, das ins Zimmer eintrat. Sie hatte die blauen Augen vom Vater und die flammend roten Haare ihrer Mutter und sah zauberhaft aus in ihrem Kleid aus hellblauer Wolle, das ihr bis zu den Fu?en reichte. Es war Ygraine, die ihn anmutig begru?te.
Egena gab ihren Dienern den Befehl, das Abendessen und auch ein Zimmer fur den Gast zu richten. »Nur vorlaufig«, sagte sie. »Morgen werden wir dich in einem besseren Teil des Hauses unterbringen, in dem du mehr Sonne hast ...«
Ambrosinus unterbrach sie: »Wie gern wurde ich eure Gastfreundschaft annehmen, doch ich kann nicht bei euch verweilen, selbst wenn ich es mir von ganzem Herzen wunsche. Ich bin nicht allein, eine Gruppe von Freunden aus Italien ist mit mir unterwegs. Wir haben es gerade noch geschafft, einer erbarmungslosen, unablassigen Jagd zu entkommen.«
»Wer auch immer dich verfolgt«, antwortete Kustennin, »hier bist du in Sicherheit. Niemand wird es wagen, die Hand gegen dich oder deine Freunde zu erheben. Meine Diener sind alle bewaffnet und verwandeln sich, falls es notig ist, innerhalb kurzester Zeit in eine disziplinierte und kampfbereite Truppe.«
»Ich danke dir«, antwortete Ambrosinus. »Ich habe eine lange Geschichte zu erzahlen, und falls du die Geduld aufbringst, mir zuzuhoren, werde ich sie noch heute abend zum besten geben. Doch warum tragen deine Diener Waffen, und was ist aus der Drachenlegion geworden? Meine Gefahrten und ich haben in der alten Festung unser Lager aufgeschlagen und naturlich sofort erkannt, da? sie schon vor langem aufgegeben wurde. Wurden die Quartiere vielleicht woandershin verlegt?«
»Mein Gott, Myrdin«, antwortete Kustennin. »Die Legion gibt es seit vielen Jahren nicht mehr, sie hat sich aufgelost ...«
Ambrosinus Gesicht lief rot an. »Aufgelost? Ich kann das nicht glauben. Sie hatten beim verblutenden Korper des heiligen Germanus geschworen, bis zum letzten Atemzug die Freiheit unseres Vaterlandes zu verteidigen. Diesen Schwur habe ich nie vergessen, Kustennin, und jetzt bin ich zuruckgekehrt, um mein Versprechen einzulosen. Soll das denn hei?en, da? nicht einmal du mehr die Macht hast, dieses Land vor seinen Unterdruckern zu beschutzen?«
Kustennin seufzte. »Ich habe jahrelang versucht, die Konsulatswurde aufrechtzuerhalten. Solange die Legion existierte, war das auch irgendwie moglich, selbst wenn es schon damals genugend Leute gab, die mich mit dem ehrenruhrigen Titel eines Usurpators brandmarkten und mit jenen Verbrechern in einen Topf warfen, die dieses ungluckliche Land tyrannisierten. Doch dann loste sich die Legion auf, und Wortigern gelang es, einen Gutteil des Senats durch Korruption an sich zu binden. Und heute beherrscht er mit seinen grausamen Soldnern das ganze Land. Carvetia ist als Stadt noch vom Gluck begunstigt, da Wortigern unsere Pferdezuchten und den Hafen braucht. Allein aus dem Grunde schnurt er uns nicht vollig die Luft ab. Auch tritt noch immer der Senat zusammen, und die Richter uben, zumindest zum Teil, noch ihre Autoritat aus. Doch ist das alles, was von der Freiheit ubrigblieb, die