Germanus uns einst mit dem Stolz und der Wurde, Herr uber das eigene Schicksal zu sein, zuruckgegeben hatte.«

»Ich verstehe«, murmelte Ambrosinus und senkte dabei den Blick, um nicht zu zeigen, wie niedergeschlagen und verzagt ihn diese Worte machten.

»Aber erzahl mir von dir«, drangte ihn Kustennin. »Was hast du in all den Jahren erlebt, die du weg warst, und wer sind diese Freunde, von denen du gerade eben sprachst? Und warum hast du sie in das alte befestigte Lager gefuhrt?«

Da unterbrach Egeria ihr Gesprach mit der Mitteilung, da? das Abendessen angerichtet sei, und die Manner setzten sich zu Tisch. Ein prachtvolles Feuer aus Eichenscheiten brannte im gro?en Kamin, die Diener schenkten schaumendes Bier in die Becher und legten Scheiben gebratenen Fleisches auf die Teller. Sie a?en mit gro?em Appetit und sprachen uber die alten Zeiten. Als dann die Tafel aufgehoben wurde, legte Kustennin noch ein paar Holzscheite nach, bevor er su?en gallischen Wein in die Becher go? und den Freund dazu aufforderte, sich mit ihm ans Feuer zu setzen.

Die Woge der Erinnerungen ebenso wie der freundliche Empfang und der kostliche Wein brachten Ambrosinus dazu, sein Herz zu offnen und seine Geschichte zu erzahlen. Er begann an dem Punkt, als er Britannien verlassen hatte, um den Kaiser um Hilfe zu ersuchen. Es war spat in der Nacht, als er seine Erzahlung beendete. In hochster Verwunderung blickte Kustennin ihn an und murmelte: »Allmachtiger Gott ... Du hast den Kaiser hierhergebracht, in eigener Person ...«

»So ist es«, antwortete Ambrosinus. »Und in diesem Augenblick schlaft er an diesem einsamen Ort, in seine Felddecke gehullt, die das einzige ist, was er besitzt, und er wird von den edelsten und mutigsten Mannern bewacht, die je auf dieser Erde wandelten.«

XXXIV

Wulfila und seine Manner landeten am Tag nach der Ankunft Aurelius' und seiner Gefahrten in Britannien, als gerade der Abend hereinbrach. In ihrem Gefolge befanden sich ihre Pferde und Waffen, und sie verloren keinerlei Zeit bei der Ausschiffung. Der Steuermann war zwar ein Untertan des Syagrius, hatte sich aber davon uberzeugen lassen, ihnen zu folgen, da er in Britannien geboren war und ihnen dabei helfen konnte, sich in diesem unbekannten Land zu bewegen. Wulfila hatte ihm Geld gegeben, um ihn zur Desertion zu verleiten, und noch weiteres versprochen, falls er sich als nutzlich erwiese.

»Was willst du wissen?« fragte ihn der Steuermann.

»Wie ich diese Manner einholen kann.«

»Das ist nicht leicht. Ich habe gesehen, da? sie von einem Druiden gefuhrt wurden, oder zumindest von einem Mann, der von Druiden erzogen wurde. Das bedeutet, da? ihm dieses Land so vertraut ist wie einem Fisch das Wasser. Er kennt alle Geheimnisse und jedes Versteck. Wenn du noch dazurechnest, da? sie mehr als einen Tagesmarsch Vorsprung haben, wird es doppelt schwierig, ihre Spur zu verfolgen. Wenn wir wenigstens wu?ten, was ihr Ziel ist. Das ware etwas anderes, aber so ... Britannien ist gro?, die gro?te Insel der Welt.«

»Aber es kann doch nicht so viele Stra?en geben. Die Hauptrouten sind doch sicher bekannt.«

»Gewi?, aber wer sagt uns, da? sie sich an diese halten? Sie konnen auch durch die Walder streifen, den Pfaden der Hirten oder denen der Wildtiere folgen.«

»Aber sie konnen sich nicht ewig vor mir verstecken. Bisher sind sie mir noch niemals entkommen, und das wird ihnen auch auf dieser Insel nicht gelingen.«

Er marschierte uber den Strand, um die Bewegung der Brandung zu beobachten und sich seinem Zorn hinzugeben. Mit einem Wink bedeutete er plotzlich dem Steuermann, zu ihm zukommen: »Wer hat in Britannien das Kommando?«

»Wie meinst du das?«

»Gibt es einen Konig? Jemanden, der die hochste Macht innehat?«

»Nein, es streiten sich viele lokale Anfuhrer, die grausam und rauflustig sind, um dieses Land. Einen Mann allerdings gibt es, den alle furchten und der, unterstutzt von brutalen Soldnern, einen gro?en Teil des Gebiets vom Gro?en Wall bis nach Caerleon beherrscht. Er hei?t Wortigern.«

»Und wo befindet sich seine Residenz?«

»Im Norden. Er lebt auf einer unzuganglichen Festung, die auf dem ehemaligen romischen Feldlager Castra Vetera errichtet wurde. Einst war er ein mutiger Krieger, der bei dem Ansturm auf den Gro?en Wall gegen die Eindringlinge aus dem Hochland gekampft hatte. Er beschutzte die Stadte und ihre Institutionen, doch dann lie? er sich von der Macht korrumpieren und wurde zu einem blutigen Tyrannen. Seine Herrschaft rechtfertigt er damit, da? er die Nordgrenzen verteidigen mu?, aber das ist nur ein Vorwand. Tatsachlich bezahlt er Tribute an deren Anfuhrer, die er sich dadurch erwirbt, da? er das Land wie ein Gauner und Dieb in standigen Uberfallen ausnimmt oder den sachsischen Soldnern, die er vom Kontinent herkommen lie?, einen Freibrief zum Plundern gibt.«

»Du wei?t viel.«

»Weil ich lange Zeit in diesem Land gelebt habe. Dann habe ich mich vor lauter Verzweiflung nach Gallien abgesetzt und mich dort von Syagrius' Armee anwerben lassen.«

»Wenn du mich zu Wortigern fuhrst, wirst du es nicht bereuen. Ich werde dir Vieh, Landereien und Knechte geben, von allem soviel, wie du es dir nur wunschst.«

»Ich werde dich nach Castra Vetera bringen. Dort allerdings mu?t du dann selbst eine Moglichkeit finden, von Wortigern empfangen zu werden. Es hei?t, seine hervorstechendsten Eigenschaften seien Mi?trauen und Argwohn: zum einen, weil er viel Ha? gesat hat und daher wei?, da? ihm viele aus Rache fur erlittenes Unrecht den Tod wunschen. Zum anderen ist er mittlerweile alt und schwach und fuhlt sich daher nur allzuleicht angreifbar.«

»Dann la? uns gehen, verlieren wir keine Zeit.«

Sie uberlie?en das Schiff den rollenden Wogen der Brandung und marschierten den Weg an der Kuste entlang, bis sie auf die alte romische Reichsstra?e trafen, die sie am schnellsten an ihr Ziel brachte.

»Wie sieht er denn aus?« fragte Wulfila seinen Fuhrer.

»Das wei? man nicht. Seit Jahren hat ihn niemand mehr zu Gesicht bekommen. Die einen sagen, er sei von einer absto?enden Krankheit entstellt und sahe aus wie eine einzige eitrige Wunde. Andere meinen, da? er seinen Untertanen die Zeichen des Verfalls verheimliche, so seine glasigen, fast blinden Augen, den zahnlosen, sabbernden Mund und die Hangebacken. Sie sollen ihn weiterhin furchten, also versteckt er sein Gesicht hinter einer goldenen Maske, die ihn fur immer im Glanz seiner Jugend zeigt. Sie ist das Werk eines gro?en Kunstlers, der dafur das Gold eines Me?kelchs einschmolz. Durch diese Gotteslasterung, so hei?t es, bleibt Wortigern auf immer an seinen Pakt mit dem Satan gebunden, der ihm dafur bis zum Ende aller Jahrhunderte seine teuflischen Krafte garantiert.« Verstohlen warf er einen Blick auf seinen Gesprachspartner, da er befurchtete, ihn an seine eigene Mi?bildung erinnert zu haben. Doch seltsamerweise zeigte Wulfila keinerlei Groll.

»Du druckst dich zu gut aus, um ein Seemann zu sein«, sagte er. »Wer bist du wirklich?«

»Du wirst es nicht glauben, aber ich war selbst ein Kunstler und kannte den Mann, der die Maske gefertigt hat. Man sagt, da? ihn Wortigern nach ihrer Vollendung toten lie?, da er der einzige war, der sein verunstaltetes Gesicht aus der Nahe gesehen hatte. Die Zeiten sind vorbei, in denen man einem Kunstler Respekt entgegenbrachte, als sei er ein von Gott besonders bevorzugtes Geschopf. Ist denn in dieser Welt uberhaupt noch Platz fur die Kunst? Als ich selbst in Not geriet, forderte ich das Schicksal heraus. Ich begab mich an Bord eines Fischerbootes und lernte dort, wie man Steuerruder und Segel bedient. Ich wei? nicht, ob ich je wieder in meinem Leben die Gelegenheit habe, Gold und Silber zu schmieden, wie ich es einst tat, vielleicht auch ein Heiligenbild fur eine Kirche zu malen oder Mosaiksteine nach einem bestimmten Muster zu legen. Dennoch werde ich trotz meiner au?eren Erscheinung und meiner derzeitigen Lage fur immer ein Kunstler bleiben.«

»Ein Kunstler?« fragte Wulfila und blickte ihm dabei mit einem sonderbaren Ausdruck in die Augen, als sei ihm plotzlich eine Idee in den Sinn gekommen. »Kannst du vielleicht auch Inschriften lesen?«

»Ich kenne die alten keltischen Inschriften, die Runen der Schonen, ja selbst die lateinischen Epigraphe«, antwortete der Mann stolz.

Wulfila zog das Schwert aus der Scheide und legte es vor ihn hin. »Dann erklare mir, was die Buchstaben bedeuten, die in die Schwertklinge eingraviert sind. Und wenn wir am Ende unserer Reise angekommen sind, werde ich dich fur deine Dienste bezahlen und deiner Wege ziehen lassen.«

Verblufft betrachtete der Mann zuerst die Klinge und dann den Barbaren.

»Was ist denn?« fragte Wulfila unruhig. »Ist es vielleicht ein Zauber? Sprich!«

»Sehr viel mehr«, antwortete der Mann, »sehr viel mehr. Die Inschrift sagt, da? dieses Schwert Julius Casar

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