Luft, in dessen Mitte man einen mit Moos begrunten Felsen erkennen konnte. Weiter hinten im Osten leuchtete der Gipfel eines Berges, der noch eine Schneehaube trug, und dahinter war auf einem Felsen ein verschanztes Lager zu sehen. Hingerissen betrachtete Ambrosinus diesen gro?artigen Anblick. Sein Blick schweifte uber die riesige, in gewundenen Linien verlaufende Befestigungsanlage, die ein Meer mit dem anderen verband, schweifte dann von dem See zu dem Gipfel des Berges, bis er zuletzt auf das Lager fiel, das ebenso grau wie der Felsen war. Er sagte: »Wir sind angekommen, mein Sohn und meine Freunde, unsere Reise ist zu Ende. Das hier ist der Gro?e Wall, der sich uber das ganze Land erstreckt. Dort seht ihr den Mons Badonicus und hier, zu unseren Fu?en, den Lacus Virginis, den Jungfrauensee, von dem es hei?t, da? ihn eine Wassernymphe bewohnt. Und dort oben, fast vollig in den Felskorper eingegraben, verbirgt sich das Feldlager der letzten Legion Britanniens. Die Drachenfestung!«

XXXIII

Sie ritten hinab in das menschenleere Tal und dann den Weg auf die Festung zu, die jetzt weiter entfernt zu sein schien, als es vom Gipfel des Hugels ausgesehen hatte. Dabei kamen sie an dem kleinen See von bezaubernder Schonheit vorbei, dessen felsiges Becken von schwarzen, wei?en und braunen Kieselsteinen umsaumt war, die im Schleier des transparenten Wassers funkelten und in Richtung des Hugels, auf dem sich die Festung erhob, zunehmend mehr wurden. Es war kein besonders hoher Hugel, der in einer Felsplattform endete.

»Der innere Bereich des Lagers«, erklarte Ambrosinus, »wurde aus dem Felsen herausgegraben, so da? eine ebene Flache entstand, auf der die Unterkunfte fur Truppen, Pferde und Ausrustungen errichtet werden konnten. Und rings um den Felsen wurde eine Trockenmauer erbaut und darauf die Palisade mit den Wachturmen.«

»Du scheinst dies alles sehr gut zu kennen«, sagte Aurelius.

»Gewi?«, antwortete Ambrosinus. »Ich habe hier lange Zeit als Arzt und Berater des Kommandanten Paullinus gelebt.«

»Und das, was ist das?« fragte Romulus. Er deutete mit seinem Finger auf eine Art Monument, das aus Megalithen bestand und jetzt hinter dem Hugel auf einer anderen Erhebung, die sich vorher den Blicken entzogen hatte, zu sehen war. Es wirkte wie eine riesige runde Steinplatte, die von vier gigantischen Felspfeilern, die sich nach den vier Himmelsrichtungen ausrichteten, umgeben war.

Ambrosinus blieb stehen. »Hier«, sagte er, »liegt einer der gro?en Krieger unseres Landes begraben, ein keltischer Furst namens KaL-gak, den die lateinischen Autoren Calgaeus nannten. Er war der letzte Held des hiesigen Widerstands, als die Romer vor dreihundert Jahren Britannien uberfielen.«

»Ich kenne die Geschichte«, sagte Romulus, »und habe sie bei Ta-citus nachgelesen, der Kalgaks Ansprache vor der letzten Schlacht niedergeschrieben hat. Ebenso die schrecklichen Worte, mit denen er die pax romana beschreibt.«

»>In hinterhaltiger Falschheit bezeichnen sie die Unterjochung der Welt mit dem Wort Imperium und nennen es Frieden, wenn sie eine Wuste geschaffen haben<«, zitierte Aurelius. »Aber denke daran«, fuhr er stolz fort, »in Wirklichkeit sind das nicht Calgaeus Worte, sondern Tacitus hat sie geschrieben, ein Romer, der den romischen Imperialismus kritisierte. Das beweist auch die Gro?e unserer Kultur.«

»Es hei?t, da? Kalgak einst an diesem Stein seine Ratsversammlungen abgehalten hat«, sagte Ambrosinus. »Seither wird er von allen Bewohnern des Landes, gleichgultig welchen Geschlechts, als ein Symbol der Freiheit betrachtet.«

Er stieg weiter hinauf zu dem au?eren Befestigungsgurtel des Lagers, doch war schon aus dieser Entfernung zu erkennen, da? der Ort menschenleer war. Verfallen lag die Palisade, die Turen waren aus den Angeln gehoben und die kleinen Turme langst baufallig geworden. Aurelius betrat als erster das Gelande, doch wo immer er auch seine Blicke hinschweifen lie?, stellte er nichts als die Zeichen von Vernachlassigung und Verwahrlosung fest.

»Eine Legion von Gespenstern ...«, murmelte er.

»Dieser Ort liegt seit Jahren verlassen, alles fallt hier in Stucke«, fugte Vatrenus hinzu, wahrend Batiatus prufte, wie stabil die Treppe war, die zum Wehrgang fuhrte, als plotzlich die gesamte Konstruktion krachend zu Boden sturzte.

Verloren blickte Ambrosinus auf dieses trostlose Bild, das ihn beinahe uberwaltigte.

»Hast du denn wirklich erwartet, hier noch jemanden anzutreffen?« bedrangte ihn Aurelius. »Ich kann das nicht glauben. Schau doch hinab auf den Gro?en Wall: Seit mehr als siebzig Jahren gibt es kein romisches Banner mehr auf diesen Mauern. Wie konntest du hoffen, da? ausgerechnet dieses winzige Bollwerk uberlebt? Sieh doch selbst: Es gibt keine Zeichen der Zerstorung oder des bewaffneten Widerstands. Sie haben sich einfach davongemacht, und das vor wer wei? wie langer Zeit.«

Ambrosinus ging auf die Mitte des Lagers zu. »Ich wei?, da? das alles so aussieht, als hatte es jede Bedeutung verloren, aber glaubt mir: Das Feuer ist nicht erloschen. Wir mussen es blo? anfachen, und die Flamme der Freiheit wird wieder auflodern.« Doch niemand horte ihm zu. Alle schuttelten nur erschuttert ihr Haupt in dieser unwirklichen Stille, die nur von dem leisen Pfeifen des Windes und den quietschenden Fensterladen in den von der Zeit und den Unbilden des Wetters verwitterten Baracken unterbrochen wurde. Ohne die trubsinnige Atmosphare weiter zu beachten, schritt Ambrosinus auf das Pratorium zu, die fruhere Behausung des Kommandanten, und verschwand in ihrem Inneren.

»Wo geht er hin?« fragte Livia.

Aurelius zuckte mit den Schultern.

»Und was sollen wir jetzt tun?« fragte Batiatus. »Wenn ich das richtig verstehe, haben wir zweitausend Meilen vollig umsonst zuruckgelegt.«

Romulus, der abseits in einer Ecke stand, schien in Gedanken versunken, selbst Livia wagte es nicht, zu ihm zu gehen. Sie verstand seine Gemutsverfassung und litt mit ihm.

»Wie die Dinge nun einmal liegen, sollten wir die Situation ganz realistisch betrachten«, begann Vatrenus.

»Realistisch? Das hier ist alles andere als realistisch. Sieh dich doch um, bei allen Gottern!« platzte Demetrios heraus. Doch kaum hatte er diese Worte gesprochen, als sich die Tur des Pratoriums offnete und Ambrosinus wieder erschien. Das Stimmengewirr erstarb, und alle starrten verblufft auf ihn, als er feierlich aus der Dunkelheit trat und einen wunderlichen Gegenstand in seinen Handen hielt - einen silberkopfigen Drachen mit weit aufgerissenem Maul und purpurnem Schweif, der an einer Stange befestigt war, von der ein Stoffstreifen mit einer Inschrift herabhing:

LEGIO XII DRACO.

»Mein Gott«, murmelte Livia. Romulus blickte starr auf das Banner und den mit goldfarbenen Schuppen bestickten Drachenschweif, der sich plotzlich in einem Windhauch so lebhaft bewegte, als sei er lebendig. Ambrosinus trat auf Aurelius zu und betrachtete ihn mit feurigen Augen. Sein Antlitz wirkte wie verklart, auch wenn die Linien darin so angespannt waren, als hatte sie jemand in Stein gemei?elt. Er hielt Aurelius das Drachenbanner hin und sagte: »Es gehort nun dir, Kommandant. Hiermit ist die Legion neu gegrundet worden.«

Aurelius zogerte. Reglos stand er der schmachtigen, fast ausgezehrten Gestalt gegenuber und nahm den gebieterischen Blick in sich auf, in dem ein geheimnisvolles, ungezahmtes Feuer loderte. Wahrend der Wind auffrischte und eine Staubwolke emporwirbelte, die alles verhullte, streckte er seine Hand aus und ergriff die Standarte.

»Jetzt geh«, befahl Ambrosinus. »Und pflanze sie auf dem hochsten Turm auf.«

Aurelius sah seine in Schweigen erstarrten Gefahrten an, dann setzte er sich langsam in Bewegung, kletterte die Galerie empor und befestigte das Banner auf dem Westturm, dem hochsten des gesamten Lagers. Unter dem Peitschen des Windes rollte sich der Schweif des Drachen auf, und seinem metallenen Maul entrang sich ein schriller Ton, jenes Pfeifen, das so oft in der Schlacht die Feinde in Schrecken versetzt hatte. Er blickte nach unten. Die Gefahrten standen nebeneinander aufgereiht und entboten in strammer Haltung den militarischen Gru?. Da fullten sich seine Augen mit Tranen.

Erneut begann Ambrosinus zu sprechen: »Wir werden uns hier niederlassen und den Ort wieder bewohnbar machen, der fur die nachste Zeit unser Zuhause sein wird. Inzwischen werde ich versuchen, den Kontakt zu den mir bekannten Menschen, die vielleicht noch hier in der Gegend leben, wiederherzustellen. Und wenn der richtige Augenblick gekommen ist, werde ich bei dem Senat von Carvetia vorstellig werden, sofern er noch existiert. Sobald die Zeit reif ist, werde ich die Leute im Forum zusammenrufen und dann mit Romulus vor sie treten, um

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