dein Dach begeben.«

»Dann kommt herein. Wenn ihr uber Nacht bleiben wollt, konnt ihr im Stall schlafen.«

»Ich danke dir«, antwortete Ambrosinus. »Du wirst es nicht bereuen.« Und er schickte Romulus los, ihre Gefahrten zu holen.

Als Batiatus erschien, ri? der Mann vor lauter Verwunderung die Augen auf und wich, von plotzlichem Schrecken ergriffen, einige Schritte zuruck. Seine Sohne drangten sich dicht an seine Seite.

»Habt keine Angst«, sagte Ambrosinus. »Er ist nur ein schwarzer Mann. In seinem Land sind alle so schwarz wie er. Wenn dort ein Wei?er hinkommt, ruft er das gleiche verbluffte Erstaunen hervor, wie ihr es jetzt verspurt. Doch ist er gutmutig und friedfertig, auch wenn er uber unglaubliche Krafte verfugt. Fur sein Abendessen mussen wir das Doppelte zahlen, da er den Appetit von zwei Mannern besitzt.«

Wilneyr bot ihnen einen Platz am Feuer an und gab ihnen Brot, Kase und Bier zum Mahl, was allen das Herz erwarmte.

»Fur wen zuchtest du deine Pferde?« fragte Ambrosinus. »Soweit ich gesehen habe, sind es Tiere, die kriegstauglich sind.«

»Das stimmt. Und es kommen auch immer mehr Nachfragen nach ihnen. In diesem Land gibt es keinen Frieden, nirgendwo, wohin ich auch gekommen bin. Deshalb fehlt niemals Brot auf meinem Tisch, ebensowenig wie Schaffleisch und Bier. Aber erzahl mir lieber von dir, du hast mir gesagt, du kamest in Frieden. Warum willst du dann aber Pferde kaufen und bist mit bewaffneten Mannern unterwegs?«

»Das ist eine lange, vor allem sehr traurige Geschichte«, antwortete der Alte. »Eine ganze Nacht wurde nicht ausreichen, um sie zu erzahlen. Wenn du sie jedoch horen willst, werde ich dir soviel sagen, wie ich kann. Ich habe vor niemandem etwas zu verbergen: au?er vor meinen Feinden, die uns verfolgen. Wie ich schon sagte, bin ich kein Fremdling. Ich stamme aus diesem Land, und zwar aus der Stadt Carvetia, und wurde von den Weisen des heiligen Hains von Gleva erzogen.«

»Das sah ich an deinem Schmuck um den Hals«, sagte Wilneyr, »und das war auch der Grund, warum ich dich eingelassen habe.«

»Ich konnte ihn gestohlen haben«, erwiderte Ambrosinus mit einem ironischen Lacheln.

»Das glaube ich nicht. Deine Person ebenso wie deine Worte und dein Blick geben mir klar zu verstehen, da? du dieses Symbol dir nicht widerrechtlich angeeignet hast. Erzahle also, wenn du nicht zu mude bist. Die Nacht ist lang, und wir haben nicht oft Gaste, die von so weit herkommen.« Wahrend er sprach, blickte er noch einmal auf Batiatus, dessen viel zu dunkle Augen und zu dicken Lippen, die eingedruckte Nase, der Stiernacken und die zwischen den machtigen Oberschenkeln verschrankten riesigen Hande ihn in hochstes Erstaunen versetzten.

Dann begann Ambrosinus zu erzahlen: wie er vor vielen Jahren aus seiner Stadt und dem Hain aufgebrochen war, um den romischen Kaiser um Hilfe zu bitten, der ihm den Helden Germanus und General Paullinus zur Seite gestellt hatte, den letzten Verteidiger des Gro?en Walls. Er erzahlte von den Irrfahrten und Beschwernissen, von glucklichen Tagen, aber auch endlosem Leid. Wilneyr und seine Sohne horten ihm wie gebannt zu, es war spannender als jede Geschichte, die sie je von einem der Barden gehort hatten, die von Stadt zu Stadt und von Gehoft zu Gehoft zogen, um von den Abenteuern der britannischen Helden zu erzahlen.

Doch schwieg Ambrosinus uber Romulus' Identitat und sein Schicksal, da die Zeit dafur noch nicht gekommen war. Als er geendet hatte, war es spat in der Nacht, und die Flammen des Herdfeuers verloschen langsam.

»Nun sag mir«, fragte nun Ambrosinus seinerseits, »wer teilt sich die Macht auf der Insel? Und wer von den Kriegsherren ist der starkste und wird am meisten gefurchtet? Was gibt es Neues uber die Stadte, die einst so bluhend und lebenskraftig waren, als ich dieses Land verlie??«

»Wir leben in einer Zeit wuster Tyrannei«, antwortete Wilneyr ernst. »Niemandem liegt das Wohl des Volkes am Herzen. Es herrscht das Gesetz des Starkeren, und fur den, der dabei unterliegt, gibt es kein Mitleid. Der beruhmteste, aber auch schrecklichste der Tyrannen ist gewi? Wortigern. Einst hatten ihn die Stadte darum gebeten, sie vor den Angriffen der nordischen Krieger zu beschutzen. Er dagegen unterwarf sie sich und belegte sie mit schweren Tributzahlungen, die sie kaum aufbringen konnten. Und obwohl es in manchen dieser Stadte noch den einstigen Altestenrat gibt, hat ihnen Wortigern doch jede Macht aus den Handen genommen. De facto haben die Stadte also ihre Freiheit gegen die Sicherheit eingetauscht, da sie heute hauptsachlich von Kaufleuten bewohnt werden, die den Frieden wollen: um Gewinne zu machen und sich am Warenaustausch und Handel zu bereichern. Doch je mehr Wortigern die Kraft seiner Jugend verlor, desto weniger konnte er noch die Aufgaben erfullen, auf die seine Macht einst gegrundet war. Deshalb hat er die Sachsenstamme um Hilfe gebeten, die auf dem Kontinent die Halbinsel Kymre bewohnen. Doch wie so oft war das Heilmittel schlimmer als die Krankheit, und die Unterdruckung verdoppelte sich, anstatt weniger zu werden. Nun haben die Sachsen nur noch eins im Sinn: so viele Reichtumer wie moglich anzuhaufen, die sie den heimischen Burgern stehlen. Die Uberfalle der Skoten und Pikten aus dem Norden haben damit aber langst nicht aufgehort. Und so kampfen die Barbaren wie Hunde, die sich um einen Knochen streiten, um die sparlichen Reste all dessen, was einst ein wohlhabendes, lebenskraftiges Land war und jetzt nur noch ein Schatten seiner selbst ist. Nur drau?en auf dem Land kann man noch uberleben, wie du siehst, aber vielleicht nicht mehr lange.«

Niedergeschlagen suchte Aurelius die Augen von Ambrosinus. War dies das so lang ersehnte Land? Worin war es besser als das blutige Chaos, dem sie eben erst entflohen waren ? Doch weilte der Blick des Weisen anderswo, als sei er auf der Suche nach Bildern einer Zeit, die weit hinter ihm lag und in der er sein Land einst verlassen hatte. Es schien, als bereite er sich darauf vor, den Ri? in der Zeit wieder zu flicken, der eine offene Wunde in seiner personlichen Geschichte und der seines Volkes darstellte.

Einer von Wilncyrs Sohnen zeigte ihnen den Weg in den Stall, wo sie sich erschopft neben den ruhig wiederkauenden Ochsen auf ein Bett aus Heu niederlegten und sich dem Schlaf uberlie?en. Die Hunde, die der Hausherr aus ihrem Zwinger gelassen hatte, bewachten sie: riesige Mastiffs, die mit eisernen Spitzen besetzte Halsbander trugen und es gewohnt waren, sich mit Wolfen und vielleicht noch schlimmeren Raubtieren herumzuschlagen.

Sie erwachten im Morgengrauen. Nachdem sie die warme Milch, welche die Frau von Wilneyr gemolken hatte, getrunken hatten, machten sie sich zur Weiterreise bereit. Sie kauften einen Maulesel fur Ambrosinus und sieben Pferde. Eines davon war etwas kleiner als die anderen, das andere ein riesiger Hengst, der aus Armorica stammte und die britannischen Stuten decken sollte. Als ihn Batiatus bestieg, wirkte er wie eines dieser kolossalen Reiterstandbilder aus Bronze, die einst die Foren und Triumphbogen der Hauptstadt der Welt zierten.

Wilneyr zahlte das Geld: Es war alles, was Livia noch hatte. Das gute Geschaft, mit dem er den Tag begonnen hatte, lie? ihn au?erst zufrieden auf der Turschwelle seines Hauses zuruck, von wo aus er ihrer Weiterreise zusah. Sie wirkten im ersten Licht dieses Morgens wie die Krieger aus alten Legenden, wobei der blasse Knabe, der ihnen auf seinem Fohlen vorausritt, wie ein junger Feldherr aussah und das Madchen wie eine Nymphe des Waldes. Welchen Abenteuern ging diese kleine Schar wohl entgegen? Er kannte nicht einmal ihre Namen, und dennoch schien es ihm, als seien sie ihm schon lang vertraut. Er hob einen Arm zum Gru?, wofur sie sich vom Gipfel des Hugels aus bedankten, uber den sie jetzt in langsamem Schritt wie dunkle Umrisse im perlfarbenen Licht des Morgens zogen.

Dieses an Gefahren so reiche Land barg fur Ambrosinus keine Geheimnisse, als hatte er sich erst vor wenigen Tagen und nicht vor vielen langen Jahren daraus entfernt. Er war mit der Sprache, der Landschaft und dem Charakter seiner Bewohner vertraut, er wu?te, wie man die Walder durchstreifte, ohne sich in ihnen zu verlaufen oder gar in Bedrangnisse wie einen Hinterhalt zu geraten. Er kannte die Tiefe der Flusse und die Lange von Tagen, Nachten und sogar Stunden. Aus den Farben des Himmels entnahm er, wann sich ein Sturm zusammenbraute oder das schone Wetter wiederkam, aus den Stimmen der Vogel prazise Botschaften von Alarm oder Frieden, und auch die knotigen Stamme der Baume sprachen zu ihm. Sie erzahlten von schneereichen Wintern und fruchtbaren Fruhlingszeiten, von ausgiebigen Regengussen und Blitzen, die vom Himmel herabschossen. Nur ein einziges Mal mu?ten sie sich einer Bedrohung stellen und den Kampf mit einer Rauberbande auf sich nehmen, die einen Uberfall plante. Doch die uberwaltigende Wirkung von Batiatus auf dem riesigen Hengst aus Armorica sowie die todliche Kraft von Aurelius und Vatrenus lie? sie bald mit den Angreifern fertig werden. Livias Pfeile, Demetrios blitzartige Schnelligkeit und Orosius ruhige Kraft taten das ubrige, um die Rauber in die Flucht zu schlagen, die sich seit langem nur aufs Plundern verstanden und nicht mehr wie Soldaten zu kampfen vermochten.

So durchritt die kleine Karawane fast ein Drittel des Landes in wenig mehr als zwei Wochen, bis sie ihr Lager unweit einer Stadt namens Caerleon aufschlug.

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