»Ein seltsamer Name«, sagte Romulus, der sie aus der Ferne betrachtete und uber die merkwurdige Mischung aus beeindruckenden antiken Bauten und armlichen Hutten verblufft war.
»Das ist nur die ortliche Verballhornung von
Auch Aurelius und die anderen betrachteten die Stadt. Es beruhrte sie seltsam, da? die Spuren Roms trotz ihres Verfalls und der beginnenden Auflosung noch so beeindruckend waren.
Ihr Ritt dauerte noch weitere zwei Wochen an, bis sie die ersten Anhohen am Rande weitlaufiger Walder erreichten. Eines Abends, als sie im Lager am Feuer sa?en, befand Aurelius, es sei nun die Zeit gekommen, um das Ziel ihres langen Marsches zu erfahren, die Zukunft, die sie in diesem von aller Welt so weit entfernten Gebiet erwartete.
»Wohin gehen wir, Meister?« fragte er unvermittelt. »Meinst du nicht, da? du es uns endlich sagen solltest?«
»Ja, Aurelius, du hast recht. Wir gehen nach Carvetia, von wo ich vor vielen Jahren mit dem Versprechen aufbrach, mit einem kaiserlichen Heer wieder zuruckzukehren, um dieses Land von den nordischen Barbaren und von Wortigern zu befreien, dem Tyrannen, der es damals unterdruckte und es noch heute tut, wie wir erfahren haben. Auch wenn er jetzt alt und schwach ist. Machtgier ist eine sehr kraftvolle Medizin: Sie halt auch einen Sterbenden weiter am Leben.«
Sie sahen einander in gro?ter Verwunderung an.
»Mit einer Armee wiederzukommen, hast du versprochen. Und wir sind alles, was du zuruckbringst?« meinte Vatrenus und deutete dabei auf sich und seine Gefahrten. »Furchtest du nicht, da? sie uns mit einem unbandigen Lachen empfangen werden? Ich dachte, du fuhrtest uns an einen ruhigen Ort, an dem wir in Frieden leben konnten. Das haben wir uns doch verdient, oder etwa nicht?«
»Wenn ich ehrlich bin«, fugte Demetrios hinzu, »habe auch ich etwas ahnliches erwartet, einen Ort au?erhalb der geschaftigen Welt, vielleicht auf dem Lande, an dem man eine Familie grunden kann und das Schwert nur noch dazu benutzt, um Brot oder Kase zu schneiden.«
»Ja, solch ein Ort wurde auch mir gefallen«, sagte Orosius. »Wir konnten ein kleines Dorf bauen und uns gelegentlich treffen, um bei einem gemeinsamen Mahl uber die Muhen und Gefahren zu sprechen, die wir durchgestanden haben. Ware das nicht schon?«
Auch Batiatus schien mit dieser Vorstellung einverstanden. »Mir ist aufgefallen, da? sie in dieser Gegend noch nie einen Schwarzen gesehen haben. Dennoch glaube ich, sie konnten sich an mich gewohnen. Und vielleicht finde ich ein Madchen, das mit mir leben mochte, was meint ihr?«
Ambrosinus hob die Hand, um die Gesprache abzuschneiden. »Im Norden steht noch eine Legion unter Waffen, die den Kaiser erwartet. Man nennt sie die Legion des Drachen. Ihr Banner zeigt einen silbernen Drachen mit purpurnem Schweif, der, wenn er vom Wind bewegt wird und sich aufblaht, ganz so wirkt, als sei er lebendig.«
»Du phantasierst«, antwortete Aurelius. »Die letzte Legion war die unsrige, und wir sind, wie du genau wei?t, ihre einzigen Uberlebenden.«
»Das stimmt nicht«, entgegnete Ambrosinus, »es gibt sie tatsachlich, und gegrundet wurde sie von Germanus. Als er starb, nahm er meinem Volk das Versprechen ab, diese Legion stets unter Waffen zu halten, um die Freiheit des Landes bis zu meiner Ruckkehr zu schutzen. Ich bin sicher, da? sie dieses Versprechen, das sie einem Helden und Heiligen gaben, niemals gebrochen haben. Vielleicht mogen euch meine Worte unsinnig erscheinen, doch habe ich euch je hintergangen oder getauscht, seitdem ihr mich kennt?«
Vatrenus schuttelte noch verwirrter den Kopf. »Bist du dir klar daruber, was du da sagst? Selbst wenn das wahr ware, sind die Soldaten mittlerweile doch uralt, haben wei?e Barte und langst keine Zahne mehr.«
»Meinst du?« antwortete Ambrosinus ironisch. »Sie sind ebenso alt wie du, Vatrenus, und du, Aurelius. Sie haben das Alter abgeharteter, ungebeugter Veteranen. Ich wei?, da? euch das alles absurd vorkommen mag, doch hort auf mich, um Gottes willen! Ihr werdet erhalten, was ihr begehrt. Sicher konnt ihr euer Leben an einem friedlichen Ort verbringen, ich werde euch selbst dorthin fuhren. Ein fruchtbares, verstecktes Tal, ein richtiges kleines Paradies, durch das ein kristallklarer Bach flie?t. Kurz, ein Ort, an dem ihr von der Jagd und vom Fischfang leben konnt und auch die Frauen bekommt, die ihr begehrt. Ihr mu?t nur mit den Nomaden verhandeln, die jedes Jahr dort mit ihren Herden voruberziehen. Doch mu?t ihr erst euer Werk zu Ende bringen, wie ihr es mir und dem Knaben versprochen habt. Weiter verlange ich nichts von euch. Begleitet uns bis zu dem befestigten Lager, das unser endgultiges Ziel sein wird, anschlie?end konnt ihr ganz nach Belieben eure eigenen Entscheidungen treffen. Und ich verspreche euch, alles zu tun, was in meiner Macht steht, um euch dabei zu unterstutzen.«
Aurelius wandte sich an seine Kameraden: »Ihr habt es vernommen. Unsere Aufgabe ist es, den Kaiser zu seiner Legion zu fuhren, sofern es diese noch gibt. Danach sind wir von unserer Verpflichtung entbunden. Vielleicht konnen wir unter seinem Befehl weiterdienen, oder wir nehmen unseren verdienten Abschied.«
»Und wenn es sie nicht mehr gibt?« fragte Livia, die bis zu diesem Moment geschwiegen hatte. »Was tun wir dann? Sollen wir ihn seinem Schicksal uberlassen? Vielleicht auseinanderlaufen, der eine hierhin, der andere dorthin, oder bleiben wir alle gemeinsam an diesem herrlichen Ort, den uns Ambrosinus beschrieben hat?«
»Wenn es diese Legion nicht mehr gibt, steht es euch frei zu tun und zu lassen, was ihr wollt. Auch du, mein Sohn«, sagte Ambrosinus zu Romulus gewandt. »Du kannst mit ihnen zusammen leben, falls sie sich zum Verweilen entscheiden, was ich mir sehnlichst erhoffe. Dann kannst du in Frieden zu einem Mann heranwachsen, vielleicht ein Hirte, ein Jager oder Bauer werden, das eben, was dir am meisten zusagt. Doch bin ich sicher, da? Gott dir ein anderes Schicksal zuerkannt hat, der diese Manner und auch diese Frau zum Instrument deines Schicksals erwahlte, ganz so, wie auch mir es vergonnt ist. Was wir erlebten, entsprang nicht dem Zufall. Da? es uns gelang, so viele Herausforderungen zu bestehen, auch wenn es kaum moglich schien, geht weit uber das menschliche Ma? hinaus. Hier offenbart sich die Hand Gottes, gleich an welchen Gott ihr auch immer glauben mogt. Sie hat uns gelenkt und wird uns auch weiterhin lenken, bis sich seine Plane erfullt haben.«
Aurelius betrachtete seine Gefahrten einen nach dem anderen, dann richtete er voll tiefen Gefuhls seinen Blick auf Livia, damit sie die Leidenschaft in seinem Inneren erkannte, die so oft von der Angst und Zerrissenheit seines Herzens erstickt worden war. Und alle gaben ihm eine unmi?verstandliche Antwort, auch wenn sie nicht laut ausgesprochen wurde.
»Wir werden euch nicht allein lassen«, sagte er. »Weder vor noch nach diesem wahnsinnigen Unternehmen. Auch finden wir sicher eine Moglichkeit, um unser Leben gemeinsam zu verbringen. Der Tod hat uns so viele Male verschont, also ist es nur recht und billig, eines Tages das zu genie?en, was uns vom Leben noch ubrigbleibt, sei es nun kurz oder lang.«
Er erhob sich und ging davon, da er, wie er deutlich fuhlte, dem leidenschaftlichen Aufruhr in seinem Inneren nicht mehr Herr wurde. Dazu waren seit einiger Zeit die Alptraume und Bilder zuruckgekehrt, die ihn seit Jahren qualten, auch die schmerzhaften Stiche in seinem Kopf traten wieder haufiger auf und verdunkelten manches Mal seine Fahigkeit, sich und seine Gefuhle zum Ausdruck zu bringen. Vor allem gegenuber Livia. Ihm war, als sei der Kreis seines Lebens dabei, sich zu schlie?en, als mu?te er hier, an den au?ersten Grenzen der Welt, Rechenschaft ablegen gegenuber dem Schicksal und auch sich selbst.
Ambrosinus wartete, bis das Feuer verloschte und alle sich niedergelegt hatten, dann ging er zu ihm. »La? den Mut nicht sinken, ich bitte dich«, sagte er zu ihm. »Hab Vertrauen. Und vergi? nicht, die gro?ten Unternehmungen wurden immer nur von einer Handvoll von Helden vollbracht.«
»Ich bin kein Held«, antwortete er, ohne sich auch nur umzudrehen. »Und das wei?t du.«
In dieser Nacht schneite es, und das war der letzte Schnee in diesem Winter. Von da an marschierten sie im Schein der Sonne, unter einem Himmel, dessen Wolken so rein und wei? waren wie das Fell der Lammer, die zum erstenmal mit den Herden auf die Weide gingen. Und mit jedem Tag, der verstrich, erbluhten an den Sudhangen noch mehr Veilchen und Margeriten als zuvor. Dann endlich hielt Ambrosinus eines Tages am Fu? eines Hugels an und stieg von seinem Maulesel. Er ergriff seinen Wanderstab, der aussah wie der eines Pilgers, und stieg unter aller Augen hinauf bis zur Spitze. Oben wandte er sich um und rief: »Kommt! Worauf wartet ihr? Los, nun macht schon!«
Verschwitzt und keuchend erreichte Romulus ihn als erster, ihm folgten Livia, Aurelius und Vatrenus und all die anderen. Vor ihnen, in ein paar Meilen Entfernung, erstreckte sich der Gro?e Wall wie ein machtiger steinerner Gurtel von einer Seite des Horizonts bis zur anderen, lediglich von wenigen Turmen und Kastellen unterbrochen. Unten, zu ihrer Rechten, glanzte nicht weit von ihnen das Wasser eines kleinen Sees klar und durchsichtig wie die